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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 10 (Oktober 1932)
DOI Artikel:
Parnitzke, Erich: "Photographie und Kunstunterricht"
DOI Artikel:
Goethe, Johann Wolfgang von: Das Unbewusste. Das Dämonische
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0184

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seherische Neu-Verhältnis einer Epoche zur Natur
Verbreitung gefunden hat, er ist ein Gradmesser
lüi die Ausbreitung eines neuen Naturgefühls, das
gewiß immer und auch heute der Formwandlung in
dei Kunst zugrundelag, das aber wahrhaft dichterisch
vorausempfunden und besungen wurde von den schaf-
lenden „Sehern". Es ergibt sich indes aus der weiten
Verbreitung der zeitgemäßen Photographie durch
lageszeitung und Buch, und aus der viel weniger all-
gemeinen Bekanntschaft mit jenen Bildschöpfungen
— geschweige denn einer Kennerschaft ihrer For-
mung —, daß die maschinellen Produkte eher ge-
schmeckt werden als die eigentlich „vitamin"-haltige
Augenspeise. Es wiederholt sich hundertfach jener
Vorgang einer Umkehrung der Urteilsbildung, der
einmal in dem bezeichnenden „Witz" zum Ausdruck
kam, wonach ein Dunge, der bisher nichts als Mar-
garine auf dem Brot hatte, beim ersten Schmecken
von Butter sagte: „Beinahe wie Margarine!". — Oder,
wie ichs selber neulich erlebte: ein Student sagt zu
C. D. Friedrich-Bildern, die ihm im Photo Vorlagen:
„Wie Photos von E." (womit er einen feinfühligen
schottischen Photographen meinte) und zu Bildern
von Leger: „Wie Photomontagen". Von da aus bedeu-
tet die Photographie geradezu eine Gefahr, wo sie
sich als künstlerisch eigenwertig gebärdet und in
ilner Presse, der man Zeile für Zeile das herbeigeholte
Rüstzeug aus dem Atelier des freien Künstlers an-
merkt, Photos preis-krönt des angeblich originalen
Kunstverhalts wegen.
Vom Wissens-Interesse an Naturverhalten und den
Eischeinungen des Daseins her gab es schon im 15. Jahr-
hundert den Auftakt zum „künstlichen Auge": den
Netz-, Schleier-, oder Glastafel-Projektionsapparat.
Später folgte die camera obscura und im selben
Maße, wie alle maschinellen Werkzeuge den Weg von
primitiver Mechanik zu differenzierter Physik und
dann Chemie nahmen und nehmen, entstand eines
lages ohne alle „Zufälligkeit" das chemisch fixierbare
Lichtbild. Wie sich damals die konstruktiven Vermes-
sungsverfahren abzweigten vom Wege der Kunst, so
kann man das, was heute die Photographie ausmacht,
nur als Verfeinerung natur-statistischer Methoden be-
zeichnen, als derzeitig exakteste „Vermessung" von
Naturverhalten. Sie bleibt hierin dem Lebensstil der
Zeit verhaftet. Genau wie alle früheren und heutigen
Fieihand-konstruktionen, Werkzeichnungen, Architek-
lurrisse, in denen stets eine bestimmte „dekorative"
Haltung mitspricht.
Wenn nun — wie es z. B. Moholy Nagy tat — das
Photogramm ohne Linse gesucht wird, also Schwarz-
Giau-Weiß-Stufungen und Musterungen aus der Platte
geholt werden durch unmittelbares Auflegen formal
ausgesuchter Objekte und das „optische Erlebnis"
als Kunstwerk gemeint wird, dann bedeutet das nichts
wesentlich anderes, als wenn ich etwa in perspek-
tivischen Konstruktionen auch „Innentöne" entdecken

kann, Reize des Linearen usw. und mit der Reißschiene
solche Dinge selber erzeuge. Wenn ich mich darum
bemühe, kann ich in Achat oder Onyx, in Holzfladern
und im Kaffeegrund „Bilder" finden, die beinahe „fer-
tig" sind. Aber dies Beinahe bleibt durch eine Mauer
getrennt vom „Ganz", vom ganz ausgetragenen Bild.
Es kennzeichnet die Anwendung, so, wie es den
Kunstschüler kennzeichnet, daß er befangen bleibt
in den „Motiven" seiner Lehrer und glaubt, indem er
das gleiche Modell bearbeitet, die gleiche Kunst ein-
zufangen.
Das Beispiel, das Lorenz vom „modernen Lichtbild:
Gläser" bringt, zeigt den Natur-kult mit den Eigen-
schaften der Materie, der heute so vielfach als Kunst-
kult aufgebauscht wird, Außerdem ist es irrig, gerade
bei diesem Beispiel den Formreiz bei der gedrängten
Wahrheit der G I a s eigenschaften zu sehen. Vielmehr
liegt er bei dem Muster der Schattierung, das uns als
„dekoratives Schema" anspricht. Nur leider bei län-
gerem Zusehen als ein solches, das nicht zuliefst er-
füllt ist mit Leben. Ich rate Jedem, der trotzdem an
die „Kunst" in solchen „modernen Lichtbildern" glaubt,
sich einmal solche Gebilde an die Wand zu hängen
Und die Wirkung abzuwarten.
Ich behaupte, sie reicht nicht weiter als die opti-
schen Reize gewisser Studien, auf denen handwerk-
lich experimentiert und geübt wurde, „Passagen und
Triller und Kadenzen usw." fließend herauszubekom-
men.
Womit in andrer Wendung wiederholt sei, daß in
Hinsicht der künstlerischen Wirkung kein Photo mehr
als eine Etüde und Paraphrase über ein Bildthema ist,
das die Photographie niemals selber beweiskräftig
schaffen kann. Daß eine vollbürtige Glaubwürdigkeit
der Photographie nur auf dem Gebiet der Erfassung
von Naturverhallen liegt. Die Fähigkeit, hier forsche-
risch zu arbeiten, ist aber eine solche der naturwissen-
schaftlichen Begabung (das Wissen um den heutigen
Menschen und seine Umgebung einbegriffen). Es
führt zu unnötiger Verwirrung, wenn man jede Hoch-
leistung auf jedem Gebiet als „Kunst" anspricht und
derart die sehr unterschiedlichen Wege der Intuitionen
zusammenwirft mit dem besonderen der bildenden
Kunst.
Es fällt heute niemandem mehr ein, aus der bau-
technischen Findung des Spitzbogens die Kunst dei
Gotik abzuleiten. Hüten wir uns, eine neue Bildkunst
bei der Photographie zu verankern und das eigent-
liche bildnerische Geschehen als an dieser kausalen
Kette hängend zu betrachten, in Umkehrung des
Verhalts und in Geringschätzung der wesenhaften Vor-
geburt.
Vom Film ist — wohlverstanden — hier nicht die
Rede. Ihm ist eine eigne Kunstleistung erreichbar als
Spannungsaufbau der Bildform zugleich in Zeit-Rhyth-
men. —

Das Unbewußte. Das Dämonische

Alles, was wir Erfinden, Entdecken im höheren Sinne
nennen, Ist die bedeutende AusüDung ... eines ori-
ginalen Wahrheitsgefühls, das, im Stillen längst aus-
yobildet, unversehens mit Blitzesschnelle zu einer
Sichtbaren Erkenntnis führt. Es ist eine aus dem In-
nern am Äußern sich entwickelnde Offenbarung.
Jeder große Gedanke, der Früchte bringt, und Folge
hat, steht in niemandes Gewalt. Dergleichen hat
der Mensch als unverhoffte Geschenke ... zu betrach-
ten. Es ist dem Dämonischen verwandt, das über-
mächtig mit ihm tut, wie es ihm beliebt, und dem er

sich bewußtlos hingibt, während er glaubt, er handle
aus eigenem Antriebe.
Der Mensch kann nicht lange im unbewußten Zu-
stande verharren; er muß sich wieder ins Unbewußte
flüchten, denn darin lebt seine Wurzel.
Aber so ist es mit uns allenl Des Menschen Ver-
düsterungen und Erleuchtungen machen sein Schick-
sal. Es täte uns not, daß der Dämon uns täglich am
Gängelband führte und uns sagte und triebe, was im-
mer zu tun sei. Aber der gute Geist verläßt uns, und
wir sind schlaff und tappen im Dunkeln. Goeihe.

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