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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 4 (April 1932)
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Sommer, P. K.: Kunst und Alltag
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Kellermann, Elisabeth: Qualitätsgefühl
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0070

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Dinge des Alltags hindurch g e k ä in p I I haben, zum
Gestalten, zum Darstellen, zum Festhallen dessen, das
die Dinge umweht — „die Kunst". Ein Kunstwerk ist
also eingefangene Kunst. Sie bringt nichts
Neues, sondern ein Erlebnis künstlerischen Inhalts hat
einen Ausdruck gefunden. Übermoderne nennen das
„Ausstopfen''. Nun, wenn man unter Ausstopfen —
Festhalten und „vor dem Vergehen schützen" versteht,
dann lassen wir Morgigen das Wort sogar gelten. So
wollens aber die Heutigen nicht; sondern sie wollen
diese Kunstwerke herabsetzen als tote Erstarrung.
Wenns das ist, dann ists eben ohne den lebendigen
Odem, der auch im naturhaften Gestalten und Darstel-
len steckt. Es ist ein gewaltiger Irrtum und mensch-
liche Vermessenheit, die glaubt, um ihre Neuschöp-
fung einer verrenkten Natur wehe derselbe göttliche
Odem, ja viel, viel mehr. Menschliche Vermes-
senheit und Eitelkeit konnte solche Verwirrung er-
zeugen. So entstanden jene gemalten Blumen, die den
Typ einer Dahlie darstellen, das Symbol einer
Blüte gestalten sollten, und der arme Beschauer nicht
wußte, ob das Gemalte Papierschnipfel oder Woll-
llicken sein sollten, und Landschaften entstanden, bei
deren Anblick man das Gefühl hat, lieber tot sein,
als in einer solchen Landschaft leben, und Menschen
wurden gestaltet, denen man nicht allein im Walde
begegnen möchte oder in solchen Situationen, wie
man sie widerlich empfindet. Die Priester dieser Kunst
nennen das die „höhere Reinheit", während sie uns
als unsittlich abtun. Welche Verwirrung! Der Wert eines
Kunstwerks ist absolut nicht davon abhängig, wieweit
es der Natur nahe kommt. Je näher, desto leichter ist
es möglich, auch den göttlichen Odem einzufangen,
der die Dinge umweht.
Ohne diese Naturgestaltung gäbe es keinen „Erl-
könig" und kein „Heideröslein". Sie sind uns echte
Kunstgestallung, nicht aber die Dichtung moderner
Jünglinge mit ihren hundert Gedankenstrichen und
Ausrufen einer poesiegeschwängerten Brust, die er-
haben ist über alle Dinge der Welt, die ihr fade, ab-
geschmackt, überlebt erscheint. Das ist das Ende aller
Kunst, Abstieg, Verfall, während gesunde Poesie, ge-

sunde Kunst immer und ewig jugendirisch sein wird
wie der alljährlich wiederkehrende Lenz.
Maler, Bildhauer, Dichter sein heißt also nicht Neu-
sondern Umschöpfer sein, bescheidener Diener der
Kunst und großer Könner sein. Nur so bewundern wir
sie als große Menschen, während der Ichkünstler unser
Mitleid und unsere Ablehnung erfahren, es sind
falsche Priester. Und Kunsterziehung umfaßt danach
ein viel, viel größeres Gebiet, als nur Maler, Musiker
und Dichter und ihre Werke kennenlernen.
Künstlerisch sehen heißt mit Dichteraugen sehen und
zwar nicht nur im Museum, sondern im Alltag. Das
kommt allen zugute, nicht bloß den wenig Begnade
ten, die Museen besuchen können. Diese Einstellung
ergibt aber auch ein Gebiet von ungeheurem Umfang
und von ungeheurer Bedeutung, die alle Pädagogen,
nicht bloß den Kunst- bzw. Zeichenlehrer oder Mu-
siklehrer angeht.
Eine schwere Aufgabe ists, da gerade für diese
Dinge die Worte fehlen. Nur der Dichter findet sie,
darum ist der Künstler der Übersetzer, d?r den
Ausdruck findet. Der Maler, der Musiker findet den
richtigen Ausschnitt, die richtige Farbgebung, um das
auszudrücken, was sich eigentlich nur gefühlsmäßig
erfassen läßt.
Es ist das, was auch ein Dürer selbst für den Künst-
ler als das Schwerste empfand, dieses Herausreißen
der Kunst aus der Natur. Und nun die Frage: Wie he-
ben wir mehr unser Fach, dadurch, daß wir unsre
künstlerische Veranlagung in den Dienst solcher Kunst-
auffassung stellen oder dadurch, daß wir menschliche
Finessen der Kunstrichtungen bewundern lehren? Hört'
man nicht den Schrei: Alle Mann an Bord, um dem
si,ch gegenseitig zerfleischenden, Gott und das Le-
ben verfluchenden Geschlecht wieder eine höhere
Lebensauffassung zu geben, die mehr benötigt
als Essen und Trinken und Geld und Vergnügen?
So müßte der Kunstunterricht eins der wichtig-
sten Erziehungsfächer werden, wenn wir diese Auf-
gabe lösen helfen. Jedes Fach muß im Dienst der
Staatsbürger erziehung stehen, sonst hat es keine
Berechtigung in der Schule.

ELISABETH K E L L E R IVI A N N -1TZ E H O E i.H.: Q U A LITÄTS G E FÜ H L

Qualitätsgefühl" —: ein häßliches Wort, aber als
Sinn und Sein in allem künstlerischen und
menschlichen Handel und Wandel unentbehrlich —
und damit e i n Blatt von jenem grünen Zweig, von
dem aus wir Kunsterzieher gern alle unsere Schüler-
herzen die bunte Welt erschauen lassen möchten.
Wieviele Umwege zum Besseren und Besten wür-
den erspart, wenn eine schärfere Witterung da wäre
lür das Echte in Ding und Mensch. Steht also die
Frage auf: „Kann man Qualitätsgefühl anerziehen?"
Weil es ein Sinn, ein Gefühl ist, ist's nichts Fremdes,
das man von außen, wie eine fremde Vokabel, als
„Stoff" heranbringt, man kann es nur von innen ho-
len, es ist da, aber es schläft und bei vielen wacht es
niemals auf, weil niemand rief: es ist Tag!
Bei welchen Gelegenheiten braucht der Mensch im
.praktischen Leben" Qualitätsgefühl? Bei fast allent,
bei unzähligenl handle es sich um jegliche Art von
Einkauf und Erwerb, handle es sich um jegliche Art
Museumsbesuch und Kunstschau. Und im „unprak-
tischen Leben"? im geistig-seelischen Bereich? Da ist
us von noch viel größerer Tragweite — Tragweite
auf Generationen! — Qualitätsgefühl zu haben oder
nicht, handelt es sich doch um den Menschen, um die
Erfassung des Wesens. Nicht Haarfarbe, sondern Ge-
sinnungsfarbe gilt es, zu erkennen, wenn ein neues
Gesicht in unseren Kreis tritt.

So kommt es immer und immer wieder auf eines
hinaus, das unerläßlich scheint: schärfste Beobach-
tung! Es gibt keine Kleinigkeiten, alles gehört zum
Ganzen, ob wir eine Hand erkennen oder eine Hand-
schrift oder ein Ulmenblatt, es ist v/esentlich, zu wis-
sen: s o und nicht anders i s t das, denn vor unserm
geistigen Auge gellt das Bild weiter bis in Wurzel
und Krone, bis in Schritt und Angesicht und Tat, auch
so gibt es Erkenntnis, Erfassung, denn nicht allen
schenkt sich der Himmel in einer einzigen, allgül-
tigen Offenbarung. „Wer eines erkennt, erkennt über-
haupt, denn in allem sind dieselben Gesetze," sprach
Kodin einmal. An anderer Stelle, in dem „blauen Buch"
von den zoologischen Gärten, findet sich im Eingang
der leider nur allzu wahre Satz:
„Dies scheint die Lage: nachdem es uns in einem
jahrhundertelangen Prozeß jetzt bis zur Vollkommen-
heit gelungen ist, die Natur in uns zu erdrosseln,
beginnen wir zu fühlen, daß man so nicht leben kann
und suchen wenigstens die Hand der Natur außer
u n s zu erfassen. So wenden wir uns in unbewußter
Sehnsucht auch der Welt der Tiere zu . . ."
Der Zauber des Tieres — —? seine Natürlich-
keit, die Anmut seiner Wesensfreiheit!
Der Zauber des Menschen —? Hand aufs Herz!: gibt
es da nicht in erster Linie die gleiche Antwort?
Aber wer ist noch natürlich? Sicherlich nur, wer —

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