Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 18.1938

DOI Heft:
Heft 12 (Dezember 1938)
DOI Artikel:
Friese, Hans: Goethes Farbenlehre in der Kunstbetrachtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28172#0253
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
rcale Bcfriedigung". Es müßte eine lohnende Aufgabe für
den Deutschlehrer sein, an cincin solchen Beispiel dcn
Schülern klarzumachen, ivorin „Stil" eigentlich bcstehti
in gan; schlichten, mit den Sachen möglichst genau zusam-
mentrefsenden worten Zcugnis abzulegen von eincm Gc-
genstande, den man gründlich kennt, weil man ihn liebend
durchdrungen hat. Meines wissens besitzen wir keine ge-
druckte Auswahl von Abschnitten dcr Farbenlehre für
Schulzwcckc; vielleicht schafft einer unsercr rührigen Ver-
lage bald cinmal Abhilfe.

Auch in der Runstbctrachtungsstunde kann man von der
Lektüre der „Sinnlich-sittlichen wirkung der Farbe" aus-
gehen, indem man entwcdcr sclbst dic Paragraphen wort
sür wort durchgcht oder einzelne Schülcr über dic Grup-
pen der zusammengehörigen Paragraphcn kur; berichten
läßt. Viel wichtigcc ist es aber, daß man in irgend wel-
chcm Anschluß an Goethes vorbildliche Schilderung der
Farbcn und ihrer wirkung Farben sclbst zcigt, sich über
Farben unterhält, dcn Farbensinn der Schüler in Tätigkcit
bringt. Ach habe dies aus solgcnde weisc versucht. Für
eine ganzc Reichsmark licferte mir ein Papierhändler cine
Reihe großer stcif-pappener Farbentaseln, wie sie die
Drogisten beim Farbenhandel brauchen (etwa qo.docm).
Farbige Flächen dieser Größe „bohren" sich in die Augen
und nötigen das Grgan, sich mit der Farbe zu „identifi-
ziercn"; wir nähern uns dem an, was Goethe im § 76;
sagt: „Die Farbe stimmt Aüge und Gcist mit sich uni-
sono". Aede dieser Farbentafeln hielt ich längere Zeit der
'Llasse vor, so daß sich die Augen gewiffermaßen voll-
trinken konnten. Dann suchten wir in vereinter Mühe nach
dcutschen Eigenschastswörtern, dic den Eindruck der Farbc
aus das Gemüt bezeichnen. Bcsondcrs seffelnd aber wird
so ein Gespräch, wcnn man vcrschiedenc Tafeln zusammen-
stellt und nach Goethes Ausdruck „harmonische", „charak-
teristische" und „charakterlose" wirkungen herstellt. Ab-
gcschen von kleineren Unterschieden herrscht hierbei gc-
wöhnlich Uebercinstimmung im Urteil. Dabei ist die Fest-
stellung am platze, daß mindestens aus dicsem Gebiet dcr
Gcschmack, entgcgcn dem latcinischen Sprichwort, seine
festen Gesctzc kennt. wie abcr horchen die Schüler crst
aus, wenn ste crsahren, daß sich von ihnen gefundene
Urteile ;. T. mit dcnen Goethes decken! Am Schluffe sol-
cher Ucbungen wcrden dann die §§ unseres Abschnittes
vorgclesen. Sollten die Schüler aus eincr solchen Stunde
nicht das sreudige Gesühl mitnehmen, unserem großcn
Dichter cin wenig von einer Seite nahc gekommen zu
scin, dic man an ihm weder gekannt noch vcrmutct hat?

Manchcr Leser mcint viellcicht: „wozu solche Dingc
trciben;" Und ich bin aus dcn Vorwurs dcs „Acsthetizis-
mus" gesaßt. Abcr man wolle folgcndcs bcdcnkcn. Gerade
unscrcn höheren Schulcn wird immer wieder vorgeworfen,
daß sie einseitig das Denkvermögen ausbildctcn, also „intel-
Icktualistisch" seien. Vorwürfcn soll man nicht widersprc-
chcn, sondern sic durch die Dat entkrästcn. wic der Turn-
und Sportunterricht den gesamten Rörper stählt, so übt
dcr Gesang-, wcrk-, Zeichcn- und Runstbetrachtungsunter-
richt die höhcren Sinncsorgane, Augen und Ghren. Rci-
ncswegs, uin wcichliche Runstschlcmmcr heranzuzichcn.
Denn gcschulte Augen und Ghren brauchen unscrc Aungen
überall im Lcbcn, vor allcm im Heer, aus See und in dcr
Luft. Auch solche Ucbungen, wie ich sie hicr cmpsehlc, bei
dcncn die Augen einmal weitcr blickcn sollcn als bis ins
ausgeschlagene Buch, ordncn sich dcm Strebcn, das uns
allc beseclt, cin, unscre Augcnd zur vollen körpcrlichcn und
gcistigcn wchrhastigkcit ;u erzichen.

Abcr ivir brauchen die Berechtigung unscrer Farben-
übungcn gar nicht so weit außcrhalb des ästhetischcn Be-
reiches zu suchen. Es gchört ;u dcr Eigentümlichkeit dcr
„Sitnation dcr Zcit"/ die wir dnrchlcben, daß cine bis
ins einzelne ausgedel'ntc planmäßigkcit unscr gcsamtcs

Eebcn in allcn scinen Bcdingungen und Entsaltungcn rcgelt;
das Rindlich-unbewußte, Gcfühlsnräßig-naive, Gnstinkt-
und blutmäßige tritt irnmcr mehr zurück. Die Farbe aber
dieser rationalisierten und technisizierten welt ist ein ein-
töniges Grau. Die Menschen jcdoch cmpsinden noch immer,
wic § drr Farbenlchre sagt, eine „große Frcude an der
Farbe", welche gleichsam ein Sinnbild der Heiterkeit ist.
Darum hat in unserer bildenden Runst und im Runsthand-
wcrk schon längst die Gegenbewegung mit der Losung„Zu-
rück zur Farbe" eingesetzt. Aber cs genügt nicht, daß durch
gcschickte Hände unsere Außen- und Annenwände, unserc
Möbel und Geräte wicder särbige Gbcrslächen crhalten.
Unscre der Farben entwöhntcn Augen müffen auss ncuc
dazu erzogen werden, Farben ;u sehen, ;u unterscheiden, ;u
bcurteilen, sich an ihnen ;u srcucn. Und wer sich an Far-
bcn zu crquicken versteht, ist ein bcglücktcr Mensch; denn
diese Freude kostct nichts und ist ost ;u haben. Es ist
kcine Großstadtstraße so cng, daß sie nicht ein Stück des Him-
mcls sehcn ließe, der auch in unserem nordischen Rlima
so prächtig gefärbte wolkenbildungen zeigt. ilZach solchcn
Freudenqucllen dürstet die Menschheit des Maschinenzeit-
altcrs mehr als mancher glaubt. Unser Führer weiß wohl,
warum er seine Ausmerksamkeit immcr wiedcr der bildcn-
den Runst schenkt. Alle Erziehung ;u dieser aber"beginnt
mit der Schulung des Auges. Und das Auge bedarf der
Farbe, „wie es des Lichtes bedars". So wird in Goethcs
mythenschaffendem Denkcn die Farbe ein Sinnbild dcr
Ausgleichung, dcr, Vcrsöhnung, dcr liebcvollen Vereini-
gung." Als das All auf Gottcs Schöpserwort in die wirk-
lichkeiten auseinandergebrochen ist und die Elemente schei-
dend auseinanderfliehen, da führt die in Farben crglühendc
Morgcnröte das Getrennte zusammen.

„Stumm war alles, still und ödc,

Einsam Gott zum erstenmal!

Da erschus er Morgenröte,

Die erbarmte sich der Guak;

Sic cntwickelte dem Trüben
Ein erklingcnd Farbcnspiel,

Und nun konnte wicdcr licbcn,
was erst auscinandcrsicl."

' qobändigc Ausgabe von Gocthcs werkcn bci Bong 8- Eo.
(Erneuerung dcr Hempclschen Ausgabe), Band ;y, S. l.1.

- An der bci Diedcrichs in Acna crschcincndcn „Schris-
tcnrcihe zur iTlcubegründung dcr iTlaturphilosophic".

- Goethes werke in scchs Dänden, ausgewählt und hcr-
ausgcgebcn von Erich Schmidt; erwcitcrt von Gustav
Roethe, Lcipzig, Anselvcrlag, syop fs.

^ vleue Iahrbüchcr sür wiffenschaft und Augcndbil-
dung, Lcipzig, B. G. Dcübncr, Aahrgang io;4, S. ss.

' wcimarcc Ausgabe ll. Abt. Bd. 1; Eottaische Aubi-
läumsausgabe Bd. 40, S. S»)ss.; Bongs ^obändigc Aus-
gabc Ld. ;»), S. :55 ss.

" „Gcmcin" hcißt sür Gocthe „das zusällig wirkliche,
an dem wir wcdcr cin Gcsetz dcr vlatur noch dcr Freihcit
sür dcn Augcnblick entdccken".

' So nennt Gocthc nach dcm Sprachgebrauchc scincr
Zcit das Schwarz-weiß.

''Rarl Aaspers, Dic geistigc Situation der Zcit, Bcrlin,
Leipzig 10;;, Sammlung Göschcn, Bd. 1000.

" An dem Diwangcdicht „wicdersinden" (Buch Siilcikal.
 
Annotationen