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nnst-Vlatt.

***-

Dienstag, den 3. Januar 1837.

Landschaften aus der Odyttee

von

Friedrich Prrller.

Die Kunst der Landfchastmalerei hat sich in neuester
Zeit fast ausschließlich der Darstellung des Wirklichen
zugewendet. Je mehr man einsah, daß nur ein gründ-
liches Studium der Natur zur Vortrefflichkeit führen
könne und daß es deßhalb auch nöthig sey, mit dem geo-
logischen und klimatischen Charakter vertraut zu werden,
welcher die landschaftlichen Formationen in verschiedenen
Ländern und Gegenden unterscheidet, desto mehr gab
man sich Mühe, diese mannichsaltigcn Erscheinungen zu
durchforschen und jede in ihrer Eigenthümlichkeit darzu-
stellen. Es zeigte sich auch hierin die Richtung der zu
Naturstudien im umsassendsten Sinne geneigten Zeit, der
erweckte Scharfblick in Erspähung und Sonderung des
Charakteristischen und die Achtung vor der Wahrheit,
welche allein zur rechten Erkenntniß führen kann. Seit-
dem diese Richtung herrschend geworden ist, haben wir
nicht mehr ausschließlich wie früher die italienische Natur
in Bildern gesehen, auch die deutsche und nordische ist
uns in ihren malerischen Situationen bekannt geworden,
und Ansichten der Gegenden aller- Welttheile und Him-
melsstriche haben uns wenigstens die allgemeine Beschaf-
fenheit der dortigen Landschaften vor Augen geführt.
Diese umfassenden Studien konnten in Beziehung auf
höhere Kunst als treffliche Vorbereitung betrachtet wer-
den, sie waren geeignet, der erfindenden Phantasie das
reichste Material zu liefern, um eigenthümliche Schöpfun-
gen zu gestalten, da sie zugleich das Allgemeine und das
Speziellste ins Auge faßten; nur als Zweck und Ziel der
Kunst hätten sie nicht betrachtet werden sollen. Leider
jedoch ist ein großer Theil unsrer Landschaftmaler bei der
bloßen Nachbildung der Wirklichkeit stehen geblieben.
Man begnügt sich, malerische Punkte zu suchen, welche
den besonder» Charakter des Landes deutlich aussprechen,
ja dem Gemüth eine entschiedene Stimmung mittheilen,

und glaubt genug gethan zu haben, wenn man sie mit
Wahrheit und frappanter Wirkung darstellt. Die Wahl
der Jahres- und Tageszeit, des Wetters, der Beleuchtung
gibt oft unbedeutenden Punkten einen wahrhaft poetischen
Reiz, aber diese glückliche Wahl und die naturgemäße
Ausführung im Bilde ist dann das Einzige, was dem
Künstler selbst angehört. Er sucht und lockt nur das
Schöne aus der Natur heraus und ahmt cs nach; er
schmückt sein Werk mit allen Reizen der Erscheinung,
aber doch bleibt cs nur ein Stück Natur, und während
man das Gelungene der Nachahmung preisen muß, ver-
mißt man den eigenthümliche» Gedanken.

Wie die landschaftliche Natur in jeglicher Beschaffen-
heit eines Anklangs an menschliche Seelenstimmung fähig
ist, so liegt es im Vermögen der poetischen Cvmposition,
menschliche Anstände und die Stimmungen, welche sie
Hervorrufen, mit dem Charakter der Landschaft zu ver-
einigen und den Ausdruck des Lebenden auf das Unbe-
lebte zu übertragen. Die menschliche Scene gibt hier die
Bedeutung und den Grundton der Landschaft an, und
Felsen und Bäume, Gewässer, Gründe, Luft und Wolken
sind gleichsam die Melodie, in welcher sich derselbe erwei-
tert und im Wiederhall vervielfacht. Der Künstler, der
eine solche freie Schöpfung unternimmt, muß des eigen-
thümlichen Charakters der landschaftlichen Erscheinung,
deren er zu Begleitung seiner Scene bedarf, sehr mächtig
seyn; er darf nicht aus ersahrungsleerer Phantasie, nach
Einfällen und willkührlichen Vorstellungen componiren,
sondern muß aus klimatischer und geologischer Wahrheit
fußen, ohne sich deßhalb an topographische Wirklichkeit zu
binden. Er wird nordische Geschichten in nordischer,
griechische Scenen in griechischer Naturumgebung schil-
dern, aber vernünftigerweise darauf Verzicht leiste», daß
das Felsgestade, auf welchem Polyphem sizt, eine wirk-
liche Ansicht der sicilischen Küste sey, oder die Taufe im
Jordan gerade den Prospect der Stelle darbiete, welche
noch jezt den Pilgern als der Ort dieses heiligen Vorgangs
gezeigt wird.
Register
Friedrich Preller: Landschaften aus der Odyssee.
 
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