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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 20.1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.3207#0417
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Die Quecksilberdämpfe sollten sie erst ans Tagslicht bringen.
Die Platte wurde zu dem Ende in einem schiefen Winkel
von 45^ Graden in einen zweiten Apparat mit einem Ki-
logramm Quecksilber gethan, welches mit einer Lampe zu
65 Grad geheizt wurde. Die Hitze trieb so Quecksilber-
theile vom Boden in die Höhe, welche sich an die Platte
ansezten: in einigen Minuten wurde die Zeichnung sichtbar,
wodurch man sich durch ein vorne am Kasten angebrachtes
Glas überzeugen konnte, so daß man das Bild gleichsam
Stück für Stück entstehen sah. Diese vierte Operation
muß an einem Orte vorgenommen werden, wo so wenig
Licht als möglich hinzukann; nach derselben ist das Bild
fertig und man braucht es alsdann nur mit warmem,
jedoch nicht allzuheißem Salzwaffer zu wischen, um es
gegen jede weitere Wirkung der Lichtstrahlen zu schützen.

Die Ansicht, welche der Probirendc von einer gegen-
über befindlichen Häuserreihe ausgenommen, geriet!) schlecht
und schwach: das Produkt der Zauberlaterne war schwarz,
verworren, undeutlich, llebrigens mochte die kalte Wit-
terung und die geringe Kraft der Sonnenstrahlen daran
Schuld scyn und bei günstigerem Wetter und hellerem
Sonnenschein wäre der Versuch wahrscheinlich besser aus-
gefallen. Wie dem nun auch sevn mag, so ist das Da-
guerrotyp in seiner jetzigen Gestalt, bei allen seinen
Mängeln und Schwierigkeiten, nichts desto weniger eine
schone Erfindung, welche aber keine Umwälzung in der
Kunst hervvrbringen wird, noch ihren Interessen Eintrag
thun kann. Die Kunst bat überhaupt nichts von den
Eingriffen der Industrie zu befürchten, welche Gestalt diese
auch annehmen mag, weil die Kunst ewig und unver-
gänglich ist, wie die Gottheit, von der sie ausfließt, und
weil ihr Genius sich nicht nach den Regeln der Mechanik
regeln läßt.

Dic zeichnenden Künste haben von dem Daguerrotyp
in seiner jetzigen Ausbildung nichts zu befürchten: es
fehlt seinen Erzeugnissen die höchste Schönheit eines Kunst-
werks, die Seele, der Sinn und Geist des Künstlers, der
es aufgcfaßt und dargestellt; die Bilder dieser Zauber-
laterne lassen uns kalt, weil beim ethischen Wohlgefallen
an Kunstwerken nicht sowohl der Eindruck des dargestelltcn
Gegenstandes, als der Eindruck des Geistes, in dem er
aufgcfaßt ist, den entscheidenden Ausschlag gibt. Wohl
aber mag es für ein bedeutsames Zeichen der Zeit gelten,
daß die Thätigkeit des menschlichen Geistes jezt vorzugs-
weise darauf gerichtet ist, durch Maschinen und durch
mechanische Hülfsmittel dic Eroberungen zu erringen,
welche sonst mächtiger Geister unsägliches Forschen und
denkender Fleiß für das Gebiet der Kunst gemacht. Unsere
Zeit kränkelt an dem leidigsten Mechanismus, der unser
ganzes Leben und die Kunst ergriffen hat: man sucht
durch chemische Prozesse zu erhalten, was sonst der

belebende und begeisternde Hauch des Meisters schuf. Die
Industrie ist die moderne Gottheit, welche ihren Tempel
auf den Ruinen aller Tempel bauen möchte; wenn, man
ihr Glauben beimessen will, geht die Bildung des Men-
schengeschlechts mit Riesenschritten vorwärts. »Seht ein-
mal," ruft sie in stolzer Selbstbewunderung, »ob ich nicht
die Apotheose verdiene, und ob ich nicht werth bin, die
Stelle eurer alten Herrscher einzunchmen! Söhne des
neunzehnten Jahrhunderts, begrüßt in mir eure Königin
und beugt euch vor meinem gußeisernen Scepter. Mir
gehört dic Zukunft: ich fürchte nichts mehr von der Kunst,
welche ich entthront und gebändigt. Sie war eine Zeit-
lang meine Gebieterin, sie ist jezt meine Sklavin. Von
dem Augenblick an, wo sie zu erobern und sortzuschreiten
aufgehört, ist ihre Macht und Herrlichkeit gesunken: kaum
stand sie stille, als die Zeiten des Verfalls und des un-
aufhaltsamen Rückschritts für sie eintraten. Betrachtet
nur einmal ihre lezten Bestrebungen, sagt an, welche
Fortschritte haben Dichtkunst, Malerei und Musik gemacht,
seitdem Dante, Cervantes und Shakespeare, Michel An-
gele, Raphael und Coreggio, Mozart, Beethoven und
Weber gestorben? Ich im Gegentheil erweitere mir jedem
Tage mein Gebiet, mache jeden Tag neue Eroberungen
und befestige jeden Tag mehr meine Weltherrschaft.
Schüchtern und beklommen scztc ich anfangs den Fuß
auf einige Bretter, die mich von einem Welttheile zum
andern trugen; ich mußte damals den Wind um Beistand
anflehen; denn es war um mich geschehen, wenn ich ihn
zum Feinde hatte. Jezt habe ich die Segel meiner Schiffe
zerrissen und ihm die Stücke ins Gesicht geworfen: ich
beherrsche die Elemente; ich knete und feßle nach Wohl-
gefallen Luft, Feuer, Erde und Wasser, welche als will-
fährige Werkzeuge meinen Winken gehorchen. Mit einem
unbemasteten Fahrzeuge und Steinkohlen durchschncide ich
den Ozean von einem Pol zum andern, schneller als die
Vögel in der Luft, und nicht bloß zu Wasser durchfliege
ich auf diese Weise meine Domänen. Jene alten, an-
geblich unverwüstlichen Römerstraßen sind in meinen
Augen nichts als elende Geleise, welche den Siegcswagen
dcö Menschengeschlechts in seinem Laufe hemmen. Schickt
dic unnützen Pferde auf die Weide: der Dampf ist mein
Flügelroß, welches ich zu Lande und Wasser vor meine
Fahrzeuge spanne, auf denen ich meine Kapitäne aus-
sende, um die entlegensten Winkel der Erde meinem Joch
zu unterwerfen. Alle Nationen der Welt will ich zu
einem einzigen Volke umschmelzen, welches dieselben Sitten
und Gesetze anerkennen soll; Europa, Afrika, Asien und
Amerika werden bald nichts weiter sevn, als vier Theile
einer unermeßlichen Maschinerie, welche ein gemeinschaft-
liches Räderwerk in Bewegung sezt. Sterbliche, sinkt in
die Knie und betet mich an; ich bin eure Herrin und
Göttin; ihr sevd mein mit Leib und Seele!"
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