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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 22.1841

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https://doi.org/10.11588/diglit.3203#0086
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78

der späteren Zeit des Mittelalters, wo das Individuum
freier aus den Banden des allgemeinen Volkscharaktcrs
heraustritt, beginnen auch dem Geiste nach die verschie-
denen Weisen künstlerischer Darstellung sich zu unter-
scheiden. Für diese letztere j?eit indeß liegt überhaupt
ein so reiches und mannigfaltiges Material vor uns,
baß wir hier, wie es scheint, zu näherer Kenntniß kaum
eines so unendlich mühsamen Unternehmens, wie das
in Rede stehende, bedürfen. Augleich aber sind die
Miniaturen für alle früheren Seiten des Mittelalters
bedeutend wichtiger als die Tafel- und Wandgemälde.
Nicht nur sind die Darstellungen, die sich in ihnen vor-
finden, ungleich mannigfaltiger; nicht nur sind ihrer,
wenn auch an vielen einzelnen Orten zerstreut, ungleich
mehrere erhalten; auch an sich sind die bildlichen Dar-
stellungen der Manuskripte durchweg, bis auf die sel-
tensten Ausnahmen, rein und unverfälscht und ohne
diejenigen späteren Ausbesserungen, die den ursprüng-
lichen Charakter bei jenen größer» Werken nur zu häufig
verändert haben, auf unsere Seit gekommen. Sv ist
auch das verschiedene Alter der Miniaturen und das
Local, dem dieselben angehören, theils durch die in ihnen
häufig vorhandenen geschichtlichen Urkunden, theils durch
mannigfache Nebenumstände mehr oder minder genau
zu bestimmen, während dies bekanntlich bei den größeren
Werken in der Regel seine besonderen Schwierigkeiten
hat. Aus diesen Punkten, und vornämlich aus den
beiden letzten, geht cs hervor, daß das Studium der
Haudschriftbilder für die genannte Kunstepoche mit großer
Entschiedenheit als das wichtigste bezeichnet werden muß,
und daß in demselben zugleich, was das Wesentliche des
Cntwickelungsganges der Kunst anbetrifft, das Studium
der andern bezüglichen Werke mit eingeschlossen ist.

Eine Vergegenwärtigung solcher Bildwerke (nach
den obengenannten Principien geordnet) durch einfache
Umrißdarstellungen wird der kunsthistorischen Forschung
unbedenklich schon ein wichtiges Hülfsmittel darbieten;
auch besitzen wir, wie bekannt, bereits mancherlei (ob-
gleich höchst selten erst genügende) Werke dieser Art, so
wie einige Werke, in denen man zugleich auf eine An-
deutung der bei den Originalen angewandten Färbung
Bedacht genommen hat. Gleichwohl sind alle diese
Werke, für den höheren Gesichtspunkt, nur als unvoll-
kommene Hülfsmittel zu betrachten, und auch wenn mau
die Kunst dcS farbigen Steindruckes dafür anwenden
wollte, würde man immer nicht zu den erwünschten
Resultaten gelangen. Denn keines der bisher ange-
wandten Mittel ist geeignet, die jedesmalige besondere
Eigenthümlichkeit, die scheinbar kleinen und doch oft so
wichtigen Unterschiede der Färbung, der Mobellirung,
der Linienführung in den Originalen wiederzugebe».
Nur wo dies vollständig der Fall ist, wo die Nachbildungen

als wirkliche Facsimilc's der Originale erscheinen, wo
ihre Susammenstcllnng uns gewissermaßen eine unmit-
telbare Ucbersicht der Originalwerke gewährt, werden
wir den Gang der Entwickelung der Kunst mit all feinen
lokalen Unterschieden vollständig beobachten und aus
solcher Beobachtung alle nvthige» wissenschaftlichen Schlufi-
folgerungen ziehen können. Eine Zusammenstellung dieser
Art zu liefern, war die Absicht des Herausgebers; die
zahlreichen Proben, die er vorgelcgt hat, geben ihm das
Seugniß, daß er seine Absicht in einer bewunderungs-
würdigen, bisher noch nie gesehenen Vollkommenheit
erreicht hat.

Das reiche Material, welches sich dem Herausgeber
zunächst in seiner Heimath darbot, ist mit umfassender
Auswahl benutzt; aber keineswegs allein die, zwar schon
so unendlich reiche Pariser Bibliothek, sondern auch die
Bibliotheken der französischen Provinzen, in denen zum
Theil die seltensten und kaum weiter gekannten Schätze
vorhanden sind. Die Reise, die er gegenwärtig in
Deutschland und Rußland macht, wird dieser Auswahl
ein noch ausgedehnteres Feld darbieten. Was die Aus-
führung betrifft, so sind die Blätter vorerst lithvgra-
phirt; wo in den Originalen eine Federzeichnung zu
Grunde liegt, besteht die Lithographie aus ähnlich scharfen
Strichen, sonst sind cs zumeist nur schwach angedeutete
Umrisse, ähnlich einer Bleistiftzeichnung. Darüber nun
ist mit freier Hand die Malerei ausgeführt, welche durch-
aus, sowohl der Farbenwahl als der gesammten Behand-
lung nach, in den verschiedenen Arten der Vergoldung
und in allem sonstigen Schmuck, die Eigenthümlichkeit
der Originale wiederholt. Wer sich ernstlicher mit den
Miniaturen des Mittelalters beschäftigt hat, wird hier
mit vollster Ueberzeugung die genausten Facsimilc's der-
selben erkennen müssen. Ueberall gewähren sic den voll-
kommensten Eindruck der Originale; die alten Meister,
welche die letzteren gefertigt haben, scheinen in ihnen
aufs Neue lebendig zu sepn. Welche Mühen, welche
Versuche diesen Meisterarbeiten vorangegangen, wie die
Künstler zur Anfertigung solcher Copicn auf ganz eigene
Weise herangebildct seyn müssen, welche Sorgfalt bei
der Herstellung jedes einzelnen Blattes, bei der Be-
handlung der so häufig wechselnden und oft sehr kostbaren
Materialien nöthig ist, dies ergibt sich dem Beschauer
auf den ersten Blick. Nur die Gründung eines ganz
eigenthümlichen Institutes konnte ein solches Werk möglich
machen. Daß bei solcher Anlage der Preis des Werkes
über alle hergebrachten Verhältnisse hinausgehen muß,
daß nur sehr reiche Privatpersonen (wie cs deren vor-
zugsweise fast nur in England gibt), nur reich dotirte
öffentliche Institute dasselbe werden erwerben können,
versteht sich von selbst. Zur Förderung des Werkes ist
von Seiten der königlichen französischen Regierung mit
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