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*'■ 51.

Rovigo.

Wäre cs Napoleon nicht eingefallen, seinen nnd Desair'S
alten Adjutanten Savary zum Herzog von Rovigo zu machen,
so würde selbst der Name dieser Hauptstadt des Polefinc außer
Italien selten gehört werden. Ist nun aber der Name hiedurch
in vieler Leute Mund gekommen, vom Orte selbst wissen doch
immer noch sehr Wenige auch nur ein Weniges. Vielleicht daß
ein deutscher Philologe stch erinnert, daß hier Lodovieo Celio
Ricchiero, genannt Coclius Rhodiginns begraben ist, der
Barro seiner Zeit. Mehr noch vielleicht, daß ein englischer
Student es beachtet hat, wie er des Aristoteles Rhetorik in des
Rhodiginers Antonio Riccobuono Ausgabe gelesen, die
noch 1822 zu Orford wiederaufgelegt wurde. Oder hat ein
Franzose den Ruf der Schönheit bestätigt gefunden, in dem
die schönere Hälfte des lebendigen Rovigo steht. Sonst mögen
wohl Tausende von Fremden, welche das Städtchen auf der
Wallfahrt in das gelobte Land der Kunst berühren, nichts davon
zu sagen wissen, als daß ste zwischen Padua und Ferrara hier
zu Mittag gespeist oder übernachtet haben, gut oder schlecht,
wie Zeit und Umstände, Wirth oder Vetturin es wollten. Auch
lassen in der That Försters nnd Artaria's Reisebücher kaum
vermuthen, daß hier von Kunst irgend etwas der Rede Werthcs
zu suchen und zu sehen scy.

Und doch ist dieß anspruchslose, stille Rovigo keineswegs
so gar reizlos für den Kunstfreund, als es hienach scheinen
möchte. Ein günstiges Geschick hat mir seine verborgenen Reize
erschlossen und ich fühle Lust, sie zu vcrrathcn. Dürfte ich hier
von Musik sprechen, so müßt' ich loben, welch' glänzende und
gute Oper mich dort zur Zeit der großen Oktobermcffe überrascht
hat. Wenigstens in, Vorbeigehen muß ich des Jstituto tipo-
litogräsico von Minelli gedenken, einer durch Reichthnm der
Typen nnd technischen Geschmack des Unternehmers — nur muß
man an den Steindruck keine Ansprüche machen — bemcrkcns-
werthen Druckerei. Aber die eigentliche bildende Kunst nnd
was auf ihrem Felde Rovigo bietet, ist es, was uns fcst-
haltcn soll.

Von der Architektur allerdings ist wenig zu rühmen,
cs wäre denn die halbvollendete Faoade des Palastes Rvneale
an der Ecke der Piazza grande von Michele Sanmicheli
1555 errichtet. Die Kirche San Francesco, im Anfänge
theils des 14teu, theils des 15ten Jahrhunderts gebaut, ist jetzt
gänzlich modernisirt. Der Dom ist 1686 begonnen, im vorigen
Jahrhundert bis auf die Faeade vollendet, nicht ohne Geschmack.
Um so geschmackloser ist die eigenthümliche Kirche der Madonna
del Soccvrso, gewöhnlich la Rotonda genannt, das Wahr-
zeichen von Rovigo. Der Bau begann 1584 nach Zeichnungen
Francesco Zamberlano'S, eines Schülers von Palladio; das
Dach wurde 1602 durch einen dclitschen Werkmeister aufgesetzt.
Die Form ist die eines Achtecks; ein Porticus, der nicht voll-
endet worden, sollte die Kirche rings umgeben. Die inneren
Wände sind reich verziert, mit Vergoldungen und Wandgemäl-
den, von oben bis unten — Malereien, wie sie eben im 17tcn

Donnerstag den 15. Oktober 1846.

Jahrhundert von untergeordneten Künstlern, einem Massei,
Randa, Ricchi, Eelesti, Zanchi n. s. w. zu erwarten sind.

Ueberhaupt bietet unter den Kirchen der Stadt nur San
Francesco einige beachtcnswerthe Bilder: Altarblätter des
Cinguecento im rechten Seitenschiff. Denn die Gemälde von
Dossv Dossi, welche früher die Kirche von San Bartolome»
zierten, sind jetzt in die städtische Galleric gebracht worden.

Diese Gallcrie, in demselben Gebäude mit der kleinen Na-
tliraliensamnilnng, der Bibliothek nnd dem Lesezimmer der
Accademia dei Eoncordi ans dem Markte befindlich, gehörte
früher dem Grafen Casilini, nach dessen Tode sie erst vor nicht
allznlangcr Zeit öffentlich wurde. Sie füllt einen geräumigen
Saal. Ihr Hanptbild ist wohl ein Giorgionc von seltener
Größe nnd Art. Es ist eine Geißelung Christi mit 7 Figuren,
ungefähr 8 Fuß hoch, 7 breit. Das Gemälde war früher im
Besitz der Familie Contarini, S. Stae in Venedig. Eine andere
Merkwürdigkeit ist ein ebenfalls aus Venedig herrührendes Stück
eines Duplikats oder einer guten, alten, gleich großen Kopie
von Titians berühmter Madonna mit dem Kinde, von Engeln
umgeben über mehreren Heiligen schwebend, die in der Gallerte
des Vatikans im zweiten Zimmer hängt. Die Jungfrau in der
Glorie ist hier abgcschnitten, auch der heil. Sebastian ist los-
getrennt; vom heil. Franziskus ist noch ein Stück da. Der
Stich des römischen Bildes von Dom. Cnnego, Itomae 1773,
ist vom Custode zur Vergleichung zu bekommen. In anderer
Art beschädigt sind leider die oben schon erwähnten Bilder von
Dosso Dossi, die, wenn wir nicht irren, zur Zeit Napoleons
nach Paris geschafft werden sollten oder wirklich dort waren;
sie sind mehrfach übermalt. Es sind stehende Heilige: ans dem
einen St. Benedikt und St. Bartholomäus, auf dem andern
die h. Lucia und die h. Agatha. Für eine große Seltenheit
wird ein Bild mit der Inschrift OpusMarci Belli discipuli
Joannis Beliini gehalten, das ungefähr 2 Fuß hoch, 21 , breit
ist. Lanzi erwähnt es in seiner Geschichte, ohne jedoch zu sagen,
daß es offenbar eine Kopie jener Bellinischen Beschneidung ist,
die im Palaste Barbarigo in Venedig sich findet. Dem Anto-
nio Badile, den, Lehrer Paul Veronese'S, schreibt man eine
Anbetung der Könige zu, die ein Monogramm mit einem dein
A zwischen die Beine gestellten B zeigt. Als erste Manier des
nur 8 Meilen von hier zu Hanse gewesenen Benvennto Tisio,
genannt Garofalo, wird ein kleiner Gott Vater gezeigt, als
seiner zweiten angehörig eine Taufe Christi durch Johannes,
vorzüglich aber ans seiner letzten Periode ein aus einer Kirche
von Arg na in der Nachbarschaft hieher gekommenes Bild: die
h. Jungfrau mit dem Kinde nnd fünf Heiligen vorstellend,
nämlich zu ihrer Linken St. Franziskns, St. Maurus und
St. Johannes, zu ihrer Rechten St. Hieronymus und St. An-
dreas. Das letzte ist übrigens von Baldaffini in Venedig
restaurirt. Für einen St. Paul, dessen Seitenstück St. Peter
in der Kirche zu Lendinara sich findet, schwankt man zwischen
Sebastian del Piombo und Dosso Dossi. Damit möge cs genug
seyn, die Aufmerksamkeit auf diese Sammlung zu lenken.

Eine kleine Privatgallerie besitzt Herr Biela, der bekanntc
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J. F.: Rovigo.
 
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