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Kunstblatt.

Htr 41.

Dienstag den 24. August 1847,

Nachträge zur Kenntnis >

der altnicderländischcn Malersthulen des löten und
16tcn Jahrhunderts.

Von Prof. O. F. Waagen.

Durch die gehaltvollen Beiträge, welche Passavaut in
verschiedenen Jahrgänge» des Kunstblattes geliefert, sind inaiiche
Dunkelheiten in diesem wichtigen Theile der Kunstgeschichte auf-
gehellt, und der Thatbestand desselben ansehnlich vermehrt wor-
den. Wenn die Nachträge, welche ich hier zu geben beabsichtige, \
sich schon weder im Gehalt noch im Umfange mit jenen ver-
gleichen lassen, so werden sie doch solchen, welche der Kunst-
geschichte eine ernste Theilnahme schenken, nicht unwillkommen
sehn. Sie sind größtentheils das Ergebniß einer Reise, welche
mir im vorigen Jahr in Belgien und Holland zu machen ver-
gönnt war.

Bei der Seltenheit von größeren Gemälden in den Nieder-
landen, welche einer früheren Zeit als die Brüder van Eyck
angehören, eröffne ich meine Nachträge mit einer Kreuzigung
Christi, welche sich vormals in dem Versammlungszimmer der
Gerbcrzunft zu Brügge befunden, jetzt aber als eine Stiftung
des vormaligen Kirchenvorstehers der Kathedrale von Brügge,
Herrn I. I. Vermeire van Damme, in dem Zimmer der Kirchen-
vorsteher daselbst anfbewährt wird. Im Ganzen findet sich hier
die Kunstform, welche durch die dem Meister Wilhelm von Köln
beigcmesseneu Bilder am allgemeinsten bekannt ist. Der lange
und magere, nur mit drei Nägeln am Kreuz befestigte Christus !

hat schon verscheidend das Haupt geneigt. Zur Rechten des j

Kreuzes Johannes und zwei Frauen, welche die ohnmächtige j
Maria, die von sehr edler Bildung, unterstützen, zur Linken
zwei jüdische Priester, der Hauptmaun und ein Kriegskuccht.

Zu den Seiten dieser, rechts die h. Katharina ans den Tyran-
nen sehend, links die h. Barbara, als Schutzheilige der Gerber.

Aus dem gemusterten Goldgründe drei blaue Engel. Form und
Ansdruck der Köpfe ist edel, die Stellungen einfach, nur bei
dem Hanptmann in silberner Rüstung ungeschickt und gewalt-
sam. Das Fleisch ist von ziemlich unscheinbarer Färbung und
nur geringer Modellirnng. Die Malerei ist in Leimfarben,
deren Risse iudeß viel von Oelgemälden habe». Die Farben
der Gewänder sind stark gebrochen. Nach dem Vergleich mit
niederländischen Miniaturen des täten Jahrhunderts dürfte dieses
Bild etwa zwischen 1350 und 1360 fallen. Es ist sehr gut
erhalten.

Hubert und Jan van Eyck.

Seitdem ich in diesen Blättern einen Aufsatz über das
Hauptwerk der beiden Brüder van Eyck, das Altarwerk in der
Bavonskirche zu Gent veröffentlicht, ' haben verschiedene Reisen
mich in den Stand gesetzt, meine damals ausgesprochenen An-
sichten über deu Antheil, welcher daran jedem der^beiden Brüder
zukommt, theils zu berichtigen, theils zu ergänzen. Da von

> Jahrgang 1824 Nr. 23 bis 27.

Hubert van Eyck bisher keine andern beglaubigten Bilder be-
kannt sind, ist diese Frage nur dadurch zu entscheiden, daß
man sich aus den sicher als von Jan van Eyck beglaubigten
Gemälden eine möglichst genaue Vorstellung seiner Knnstweise
bildet, und mit derselben dann die verschiedenen Theile des
Genier Altars vergleicht. Was damit übereinstimmt, wird dem
Jan, was davon abweicht, dem Hubert van Eyck beiznmessen
seyn. Bei der folgenden Charakteristik der Kunstweise des Jan
van Eyck habe ich besonders zwei seiner Werke zur Richtschnur
genommen, die Einweihung des Thomas Becket zum Erzbischof
von Canterbnry, im Besitz des Herzogs von Devonshirc auf
dessen Landsitz Chatsworth, und das Votivbild des Canonicus
van der Paele, in der Sammlung der Akademie zu Brügge.
Das erstere ist nämlich zufolge der Aufschrift im Jahr 1421,
mithin kurze Zeit vor, das andere im Jahr 1430, mithin nur
vier Jahr nach dem Gcnter Altar beendigt worden. Es zeigt
sich nun bei ihm in allen Theiten der entschiedenste Realismus.
Selbst idealische Personen haben ein porträtartiges Ansehen,
die Männer erscheinen bisweilen begeistert, öfter höchst edel,
immer tüchtig, die Frauen häufig lieblich und gefällig, bis-
weilen aber auch häßlich. Letzteres ist noch häufiger bei den
Kindern der Fall; Bildnisse aber sind von der überraschendsten
und lebendigsten Schärfe der Auffassung, der meisterlichsten
Zeichnung, und von einer wahrhaft plastischen Durchbildung
der Form. In dem letzteren Bestreben haben seine Formen
überhaupt etwas höchst Bestimmtes, ja öfters Scharfes. Die
Hände idealischer Personen sind bei ihm in der Regel schmal,
die Finger lang und sein zngespitzt, bei Bildnissen aber höchst
sein individualisirt. Ebenso sind die Gewänder bei letzteren ein
Muster von Wahrheit und Geschmack, während bei ersteren die
schönen und reinen Hauptmotive häufig durch knittriche, scharfe
und willkürliche Brüche überladen und gestört werden. Jan
van Eyck ist nach meinen Beobachtungen der älteste Maler, bei
welchem dergleichen knittriche Brüche Vorkommen, und mithin
als der Urheber dieses verkehrten Geschmackes anznsehen, der in
noch viel willkürlicherer Ausbildung in den Werken deutscher
Kunst bis gegen die Mitte des 16ten Jahrhunderts anzutreffen
ist. Das Haar hat er zwar sehr fleißig, aber doch mit vieler
Freiheit behandelt; besonders sind die höchsten Lichter oft breit
aufgesetzt, einzelne abstehende Löckchen mit seltenster Leichtigkeit
und Meisterschaft gemacht. Im Fleisch sind die Mitteltöne ent-
schieden gelblich, die größten Höhen der Lichter bisweilen etwas
kalt, die mitunter schweren und undurchsichtigen Schatten da-
gegen von einem gegen das Gelbe ziehenden Braun. In der
Regel sind die einzelnen Farbentöne sehr verschmolzen. Diese
Eigenschaften finden sich nun an den folgenden Theilen des
Genter Altars wieder. An den singenden Engeln der oberen,
an den gerechten Richtern, den Streitern Christi und der daran
glänzenden Hälfte des Mittelbildes oder der Anbetung des
Lammes, welche die Patriarchen, die Propheten und andere
Personen des alten Bundes darstellt, der untern Reihe, endlich
in den sämmtlichen acht Bildern der Außenseite. Die anderen
Theile haben folgenden davon abweichenden Charakter, und
Register
Prof. G. F. Waagen.: Nachträge zur Kenntiß der altniederländischen Malerschulen des 15ten und 16ten Jahrhunderts.
 
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