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was die Unkirchlichen und Wohl auch Kinkel mit beiden Händen
ergreifen würden, daß die mittelalterliche Kirche die höchste Aus-
bildung der christlichen Kirche, mithin der Protestantismus we-
sentlich nur eine stufenmäßig abfallende Unkirche sey, trotzdem
daß er selbst sich aus das Bibelwort und damit auf die ächte
Urkirche beruft und begründet?

Die Geschichte auch der Kunst bewegt sich durch Einseitig-
keiten und Gegensätze fort; je näher dem Anfänge, desto weniger
einseitig und falsch ist die Richtung. Aus der Durchführung
der Gegensätze hat auch der kirchliche und bauende Geist gebildet
und bereichert in seinen Ausgang zurückzukehren und so steht uns
nun die Basilika, der freilich eben die seitherigen gegensätzlichen
Erfahrungen und Errungenschaften zugute kommen müssen, viel
Näher als die gothische Kirche. Und nicht bloß der Protestantis-
mus, selbst der neuere Katholizismus verträgt sich mit letzterer
nicht mehr recht. Denn diese schloß mehr und mehr das Wort
und die Gemeinde aus. Gerade in den größten und ansgebil-
detstcn gothischen Domen findet vor lauter Pfeilern, Säulen,
Schiffen und Chören die Predigt und das Volk verhältnißmäßig
am wenigsten Platz. Die Zeit der Oeffentlichkcit und Mündlich-
keit, der Gleichheit vor dem Gesetze, der Freiheit im Gemein-
leben, kurz das erwachte, von der Kirche und dem Staate langher
gebundene Gcmcinbewußtseyu verlangt breite Räume, in welchen
die Gemeinde vor Allem das lebendige Wort bequem anhöreu
und darauf erbaut werden und nach oben sich erheben kann.

Die Basilika hat etwas llnfertigcs, das ist wahr, sie ist erster
Anfang. Ihre gerade Decke weiche einem entsprechenden Gewölbe,
ihre Säulensteltungeu werden noch lichter und schwunghafter, ihr
Aeußeres mehr durchgebildet — das nehme sie aus den spätern
Stylen ohne die Schwerfälligkeit des romanischen und ohne den
Ueberschwang und die damit verbundene Raum- und Bodenlosig-
keit des germanischen Styls — aber die sinnvolle Anlage, die
herrlichen Breiteumaße, die Wandmalereien, die ganze Zweck-
mäßigkeit der Anordnung, die evangelische Einfalt und festtägliche
Zierde behalte sie, so werden wir eine evangelische Prcdigt-
und Gemeindekirche für Katholiken und für Protestanten haben.

Freilich, Kinkel, der die Basilika des Abendlandes im Ueber-
maße der Ungerechtigkeit sogar (S. 110) „ideenlos," und den
byzantinischen Kuppelbau am Ende seiner ausgezeichnet klaren
Beschreibung der Sophicukirche ein „um ein Centruin anschießen-
des organisches Gebilde" nennt, wird unsere Vertheidiguug.des
altchristlichen abendländischen Kirchenbaues vollends gar nicht
genehm heißen, wenn wir gerade im Kuppelbau zwar einen
Fortschritt im Bauen, aber doch auch bereits einen Rücktritt vom
biblischen und evangelischen Geiste, mithin bereits den Anfang
der im romanischen und germanischen Style sich entwickelnden
Einseitigkeit und Ausartung erblicken.

Selbst die stachgedccktc Basilika, welche nicht das Dachgerüsle
und damit eine bedeutende Höhe zeigt, hat in der mächtigen
Ueberhöhung des Mittelschiffs vollständig Willen und Kraft, dem
„Emporstreben des christlichen Gcmüthes" zu entsprechen. Die
Wirkung des Ganzen ist erhebend und beruhigend zugleich. Nach
Schnaase ist cs „die großartige Einfachheit, mit welcher hier die
Grundzüge christlicher Architektonik dargelegt sind, welche das
Gemüth ergreift. Wir fühlen einen Anfang, der den weitern
Fortschritt ahnen läßt." Man darf wohl hinzusetzen: den Fort-
schritt auch über den gothischen Dom hinaus. Die ganze An-
ordnung ist „heitere, einfache Einladung, geöffnete Bahn zum
Tische des Herrn" und so auch Einladung zum Fortschritt selbst.
Der Kuppelbau ist fertig, abgeschlossen und legt sich ächt hierarchisch
und cäsareopapistisch mitten zwischen die Gemeinde und den Altar
und läßt beiden nicht den rechten Raum. Hat daher die Kuppel
„eine ideale Bedeutung," so hat sie dieselbe in unkirchlicher und
unevangelischer Richtung. Sie drückt wesentlich die autokratische

Selbstgenügsamkeit, das herrische Jmponiren, die leere Auf-
geblasenheit des auf Sklaven, nicht auf Freie sich stützenden
Byzantinerreiches aus, wie denn Kinkel selbst ganz treffend die
Alles überwiegende Kuppel von ihren Umgebungen nur wie von
dienenden Sklaven emporgehoben heißt (S. 109). Ihre Pracht
und Macht hat es darauf abgesehen, den Sinn zu verwirren
und zu demüthigen, nicht zu erheben. Wir geben vollkommen
Schnaase Recht, der hier den einfachen, reinen, erhebenden Ein-
druck der Basiliken vermißt, und unter solchem Kuppelbau mehr
die ansprnchpolle, dunkle, schwer zugängliche Einheit irdischer
Macht, als die milde, offene des göttlichen Geistes fühlt.

Und mit welchem Rechte vollends nennt er diesen Bau ein
um ein Centrum auschießendes organisches Gebilde? Dieses
Einschneiden von Halbkuppeln in einander und in die Haupt-
kuppel, dieses sich Aneinanderlehnen üud Aufcinanderthürmen,
diese Verbindungslosigkeit von Kuppel und Chor, diese ganze
vertikale und horizontale Richtungslinie des Eirundes, wo der
Blick sich gerade über der heiligsten Stelle, über dem Altäre
aus der anspruchsvollen, aber um so mehr bedeutungslosen
Kuppel senken und einengen muß — all dieß soll organisch
seyn? Es ist sehr mechanisch, und Kinkel hält selbst dafür, daß
die größere Künstlichkeit in Ueberwindung mechanischer Schwie-
rigkeiten nächst dem byzantinischen Despotcugciste, der sich zwischen
das Volk und Gott gerade so aufgeblasen, wie die Kuppel zwi-
schen Gcmeiudeplatz und Altar hineiuspreizt, gerade die Kuppel
im Morgcnlande beliebt gemacht habe. Und wenn dieser Bau
nicht mechanisch genannt werden soll, so macht er dafür jeden-
falls den ersten Schritt zu dem Zergehen des Architektonischen
im Vegetabilischen, das in der Gothik erscheint. Dieses „An-
schießen an ein Centrum" ist zunächst wesentlich krystallinisches,
nimmermehr „organisches Gebilde." Und so kam es denn, daß
dieser Bau nicht über sich hinauskam, sondern stehen blieb bei
den Völkern des Stillstands oder, weil er selbst kein organisches
und kein ideales Gebilde war, auch der folgenden Entwickelung
christlicher Baukunst äußerst wenig wirklich Förderndes und Be-
deutsames abgeben konnte. Wenn je ein Styl vom christlichen
Standpunkte aus ideenlos genannt werden kann, so ist es gerade
der Kuppelbau, der nur die Idee des Despotismus und der Un-
freiheit, also nichts Christliches ausspricht, wie er denn allerdings
auch von Kinkel mit Recht als gesteigerte Ausbildung des Pan-
theons betrachtet wird, das Agrippa in der Völker und Freiheit
zertretenden heidnischen Roma unbewußt als Sinnbild dieser
hier begonnenen, in Byzanz vollendeten Ceutralisation errichtete.

Schon S. 62 hat Kinkel im Namen der ersten Christen eine
für die Aufnahme der Basiliken günstig wirkende zufällige Aehn-
lichkeit derselben mit dem salomonischen Tempel finden wollen.
Allein das war eine nachträgliche gelehrte Parallelisirung der
Kirchenväter. Erst nachdem die Basilikcnform da war, verglich
man sie mit dem Tempel, nicht aber hat man dem Tempel sich
im Kirchenban mit Bewußtseyn annäher» wollen. Nach S. 99
sollte nun in der Marienkirche zu Jerusalem Zustinian aus-
drücklich eine genaue Nachbildung vom Tempel Salomos (vor-
dem die zwei Erzsäulen aber nicht „frei" dastanden!) an der
Stelle, wo dieser vielleicht wirklich stand, im Sinne gehabt
haben, und daher denn die großartigen Substruktionen Justi-
nian's, um die alten Längen - und Breiteumaße zu erhalten.
Allein, wenn die Basilika nur so groß werden sollte als der alte
Tempel, den man fünfmal in die alte Peterskirche, sechsmal in
die Paulskirche zu Rom stellen konnte, so klein sind seine Maße
gegen die christlichen Basiliken: so .hätten die alten noch jetzt
erhaltenen salomonischen Untermauerungen Raum genug gegeben.
Aber eine so kleine Kirche genügte sicherlich dem Justinian nicht,
somit wird zwar eine mächtige Ueberbietung, nicht aber eine
„Nachbildung" des salomonischen Tempels im Werke gewesen seyn.
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