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163 öian^'-

hicr in prächtiger Majestät, wie ein voller Oratorienhymnus,
empor; das Martyrthum des Stephanus, die Bekehrung Pauli
(leider nur mit Ausnahme des sehr verzeichneten Pferdes), die
Erweckung der Tobitha durch Petrus, die Bekehrung des äthio-
pischen Kämmerers durch Philippus — das Letztere originell,
aber »»gesucht wie ein Triumphzug komponirt, mit dem die
neue Lehre des Heils zu den Völkern der Erde hinauszieht —
alles dicß und Andere sind Erfindungen von höchster Bedeutung.
Noch cntschiednere Originalität, weil seltner gesuchte Gegen-
stände behandelnd und zugleich gewissen Eigenthnmlichkeiten in
dem Charakter des Meisters so ganz entsprechend, zeigen die
apokalyptischen Darstellungen auf der zweiten Seitenwand. Ist
hier das Bild der Auferstehung des Fleisches vielleicht nicht
ganz befriedigend, weil der ungeheure Vorgang durch das ab-
sichtliche Hervorheben persönlicher Beziehungen zu sehr in den
Kreis der privaten Einzelintereffen gezogen erscheint, so zeigt
sich das Bild der neuen Jerusalem von eigenthümlich festlicher
Pracht erfüllt, erscheint das der gestürzten Babel voll schmet-
ternd großartigen Ernstes und entwickelt sich in dem der vier
Todesreiter ein dämonisch machtvolles Entsetzen, wie ich Aehn-
liches der Art in der Kunst bisher nirgend gesehen zu haben
meine. Es ist hier in Wahrheit eine Vision des Furchtbarsten,
die dennoch das Maß nicht überschreitet, auf das Papier ge-
bannt. Den höchsten Preis aber möchte ich den Gruppen der
acht Seligkeiten, wenigstens der Mehrzahl von ihnen, geben.
Mit lebhaftester, ächtest künstlerischer Empfindung ist hier für
den jedesmaligen Begriff die völlig zusagende Form, der völlig
treffende Ausdruck gefunden. Wie wundersam rührend sitzt in
der ersten dieser Gruppen, den „Armen in, Geist," das Weib
da, das nach der Art solcher, die Almosen zu empfangen ge-
wohnt sind, die Hände im Schooß gegeneinander legt, aber das
Haupt nach oben wendet, von wo ihr das Almosen kommen
wird! Wie ist jene, die „hungert und dürstet nach Gerechtig-
keit," mit ihren beiden Kindern ähnlich gewandt, aber soviel
inniger, bewegter, hingebender, zuversichtlicher! Wie ist die
Seligkeit der Barmherzigen, die der Friedfertigen, die derjeni-
gen, welche um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, ebenfalls
so schön und groß und würdig verkörpert! Gewiß, diese Dar-
stcllungen werden für ihren Zweck feststehende Typen werden,
ebenso wie die Schöpfungen anderer großer Meister in die
künstlerische Formensprache als gesetzlich feste Normen eingetra-
gen sind.

Aber noch eins muß ich hinzu fügen, — ich habe Ihnen
schon zu Vieles, was ich lange still mit mir herumgetragen,
offenherzig vorgelegt, als daß ich mein Glaubensbekenntniß
über den merkwürdigen Meister, soweit cs sich um seine neuesten
Leistungen handelt, nicht völlig abschlicßcn sollte. Die Ent-
würfe bestehen aus Umrißzeichnungen, mit vollständiger Angabe
der Motive in der Umrißlinie, ohne irgendwelche Schattcn-
andcutung. Cornelius hat offenbar, für den ersten Moment
wenigstens, keine Nothwendigkeit gefühlt, weiter zu gehen, er
hat die Darstellungen nach diesen linearen Gesetzen kvncipirt,
ja, sehen wir näher zu, so überzeugen wir uns, daß überhaupt
kein weiteres Bedürfniß vorliegt, daß nichts unverständlich bleibt
und vielmehr die architektonische Rhythmik des Baues der Cvm-
positionen in diesen linearen Umzeichnungen durchaus vollendet
ist. Es sind nicht Skizzen, es sind in ihrer Art ab-
geschlossene Kunstwerke. Zu einem Kunstwerk läßt sich
aber so wenig Hinzuthun, wie davon hinwegnehmen. Ich habe
also die begründete Ueberzeugung, daß die weitere Ausführung
dieser Entwürfe im großen Maßstabe ihnen nicht znm Vortheil
gereichen wird. Weiter ansbildcn läßt sich dieses oder jenes
Motiv natürlich, sofern dabei nur das Gesetz der natürlichen
Organisation gleichmäßig festgehalten wird; wo aber ein be-

! stimmtes rhythmisches Gesetz, wie hier das lineare, abgeschlossen
und also ausschließlich vorliegt, da können andere rhyth-
mische Gesetze, wie das der Modellirnng in Schatten und Licht
und das der Farbengebnng, nur zur Störung der Gefammt-
harnionie hereingeführt werden, cs müßte denn, was mir aber
ziemlich bedenklich erscheint, der eigentliche Kompvsitionsproceß
noch einmal begonnen werden. Auch hat der Erfolg diese meine
Ansicht bereits bestätigt. Sie wissen, ich habe zwar eine alte
Antipathie gegen den Besuch der Künstlerateliers, man ist da
niemals frei und unbefangen in, Urthcil, man fühlt, daß man
einer noch privaten Thätigkeit gegenübersleht, bei der cs sich
überhaupt nicht ziemt, zu nrtheilen, und ist man dazu dennoch
getrieben und behält man, wie billig, das Urtheil bei sich, so
ist das ein unbehagliches Gefühl, dem ich mich am liebsten eben
gar nicht anssetze. Ich vermeide dergleichen also soviel ich
kann; dennoch konnte ich nicht umhin, meinem enthusiastischen
Freunde zu folgen, der niich in Cornelius' Atelier mitzog, als
dieser den ersten großen Karton zu diesen Kompositionen, und
zwar den zu der Darstellung der vier Reiter der Offenbarung,
vollendet hatte. Gewiß war in dieser großen Arbeit vieles mehr
spezialisirt als in dem kleinen Entwurf, doch war der Eindruck
für mich keineswegs so erfreulich. Das in dem letzteren Ent-
haltene hatte vollständig hingereicht, meine Phantasie mächtig
anzuregen, die derbere Gegenständlichkeit der großen Gestalten
erreichte diese Wirkung nicht. Die Gesainuitharmonie war be-
einträchtigt, manches verändert, wohl der volleren Realität zu
Liebe, ohne doch die schlagende Kraft des wahrhaft Realen zu
erreichen, ja, bei längerem Hinsehen traten mir aufs Neue so
manche Widersprüche gegen das organische Gesetz der Natur und
der Erscheinung entgegen, daß mir die Erinnerung an die
Tasso-Kompositionen allzu lebhaft ward und ich froh war, als
mein Enthusiast mich entließ.

Nehmen Sie diese Schluß-Ketzerei ~ es thut mir aufrichtig
leid, daß ich mich damit von dem Meister beurlauben muß —
für jetzt nur als flüchtige Bemerkung und legen Sie immerhin
kein so großes Gewicht darauf. Und eine cntschiednere Stellung
diesen Arbeiten gegenüber zu erwerben, müssen wir schon war-
ten, bis sie selbst, an dem Orte ihrer Bestimmung, der Ocffent-
lichkeit Übergeben sind. Freilich möchte ich nicht mit Bestimmt-
heit Vorhersagen, daß es völlig dazu kommen wird. An dem
Campo Santo wird zwar, auch in diesem Augenblick, thätig
gebaut; aber ich habe, wie ich schon früher äußerte, meine leb-
haften Bedenken gegen die Durchführung der gesümmten Dom-
banangclegcnheit, und abgesehen hievon, so sind in dem Campo
Santo mehr als 2»,00» Qnadratfnß mit wirklicher Malerei zu
bedecken, folglich auch noch vorher ebensoviel Qnadratfnß Kar-
tons auszuarbeiten. Dazu würden mehr Arme gehören als die
beiden des schon alternden Meisters, und die Zeit, zumal die
nächste, will, mich bedünke», als ob sie, selbst auch in, Kunst-
gebietc, Anderes fordern möchte.

(Fortsetzung folgt.)

Neuer Kupferstich.

La Vierge a la vigne. Peint par Paul
Delaröche. Dessine et grave par 8. .lesi. Paris,
Goupil Yibert et Comp.

Eines der anmuthigstcn und vollendetsten neueren Werke
des Grabstichels. Die Fleischpartien sind mit einer Zartheit und
einem Formversländniß behandelt, welche schwerlich weiter gehen
können; sie sind, namentlich der ganz ins Licht gestellte Kopf
und Hals der Madonna, klar und harmonisch und dabei von
Register
Rt.: Neuer Kupferstich: La Vierge à la Vigne. Peint par Paul Delaroche. Dessiné et gravé par s. Jesi. Paris.
 
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