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-~«33 199

was ist der rechte Styl? ist bislang ähnlich der Frage gewesen:
was ist des Deutschen Vaterland? Alles läßt sich dazu an, daß
wir aus den bisherigen Fragezeichen zum Punktum kommen.
Dann wird's, ihr edlen Meister, in einem verjüngten Vaterlande
und in einer neubegründeten Kirche heißen dürfen: lastet uns
Kirchen bauen, Bilder malen, Gestalten formen, die unserm
Urbild gleich sehen. Bis dahin aber predigt ein Hübsch in eine
Welt, welche „eigentlich nur ein Schauspielergefühl hat, das
rechts und links hin bloße Maske ist" (S. 168) vergeblich die
Pflicht, das Gefühl in wohlabgewogcnem Gleichgewichte und
glücklicher Mitte zu halten (S. 166); eine Zeit voll hoffärtiger
Subjektivität heißt er umsonst vorsichtig gegen eigene Geschmacks-
neigungen, achtsam aus fremde Urtheile, „mit Ausnahme, der
halbkunstgelehrten Kritik" sepn (S. 167); er muß mit dem Klage-
liede enden, daß die Krankheiten der Gegenwart dem Aufkommen
und nachhaltigen Bestehen eines natürlichen gesunden Baustyls
ganz besonders ungünstig sehen.

Drum erscheint auch der Alte der Tage zum Gericht. Die
Ultraindustrie ist einstweilen gestürzt; die Modesucht hebt sich in
dieser Geldnoth von selbst ans; ein einfacheres Leben gebietet sich,
eine natürlichere, nachhaltigere Bekleidung vollzieht sich bereits;
die sittlichen Kräfte als alleinige Erhalterinnen der Völker steigen
in der Geltung und zu gutem Ende wird die Religion als
Wurzel und Gipfel alles Guten und Schönen sich über der
Trümmerstätte des, wenn auch anders als dort in der Wüste zu
Pulver zerstoßenen goldnen Kalbes auf den Thron der sittlichen
und staatlichen Freiheit setzen. Hübsch gehört zu den seltenen
Meistern, deren diese jüngste Zeit nicht werth war. Möchte er
die Abklärung des begonnenen Chaos erleben und an der von
einem unserer Besten und Größten geweissagten Kirche des h.
Johannes mitbauen dürfen. Wie er von der alten Basilika des
h. Pauls zu Rom mit ihrer organischen Hauptordnung, mit
ihren aufstrebenden Hauptverhältniffen und mit ihrer kühnen
Geräumigkeit, die allen Mitgliedern der großen Gemeinde liebe-
voll den Zugang öffnete, so schön fragt: „sollte dieser Eindruck
nicht früher manches leichtsinnige Heidenherz bekehrt und der
christlich-überirdischen Lebensansicht zugewendet haben?" (S. 10),
so wird diese Kirche des h. Johannes, aus die wir warten mit
ihren Töchtern, auch manches moderne Heidcnherz zu sich und
seinem Gotte bringen, indem sie nicht bloß von den Dächern,
sondern auch wieder durch die Dächer zu predigen versteht.

Können dann Kunst und Künstler auch wieder heimisch wer-
den, wie sonst in ihrem Volke, hört die bisherige Sonderstellung
und Wurzellosigkeit auf, so wird unser Vers, zwar auch ferner
das Recht haben, scheel zu sehen über die „mit vorschnellen Re-
flerioncn behafteten und nicht immer mit gründlichem Verständ-
niß versehenen" Ansprüche, aber nicht über die Ansprüche an
sich: „aus dem jedesmaligen Volksgeistc die Nothwendigkeit für
jede frühere Kunstbewegung philosophisch Nachweisen zu können."
(S. 20.) Er findet das unthunlich, weil „die arbiträre Gliede-
rung der Architektur eine sehr unpopuläre Seite seh und oft
einzelne Kunstautoritäten sehr prädominirend einwirkten, während
der Volksgeist oder das Publikum nur auf die Haupteigenschaften
und auf die Gesammthaltung einwirkt, sich aber bei den spe-
zielleren Eigenschaften des Sthls mehr passiv verhält." Hiegegen
erheben sich mehrfache Bedenken. Publikum und Volksgeist sind
keineswegs sich deckende, ja eher sich verdeckende Begriffe. Publi-
kum ist ein völlig moderner Begriff und in dem Polizeistaate
gewachsen, welcher, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit (d. i. auch
eine wesentliche Eigenschaft der Kirche!) verbannend, dem Men-
schen nur seine vier Pfähle ließ. Phidias, Raffael, Albrecht
Dürer hatten kein „Publikum" wie Goethe, Cornelius, Hübsch;
sie hatten ihr Volk, dessen Geist sie Form und Ausdruck gaben,
vor sich, neben sich, hinter sich, nur nicht unter, nur nicht über

und außer sich. Das Volk, welches im bisherigen alle Anliegen
verschlingenden absoluten Staate nur Privatrechtc hatte, und nur
hin und wieder mit obrigkeitlicher Bewilligung vor einer Bühne,
in einem öffentlichen Blatte, bei einer Haupt- und Staatsaktion
„Publikum" werden durfte, mußte eine verwildernde, von
allem Hohen und Ganzen, von Geist und Leben abgelöste selbst-
süchtige Masse werden, die an den flüchtigen, von Literaten ge-
modelten Zeitgeist den inhaltsvollen Bolksgeist verkaufen und
so auch den Takt und Sinn für das Schöne und Große, für
Sitte und Religion, für Vaterland und Kirche verlieren mußte.
Virtuosen, Balletmeister, Thcaterverzierer und Zimmertapeziercr
waren die Künstler dieser Zeit, welche an der eigentlichen Archi-
tektur, Malerei und Bildhauerei nur grobstoffliche Theilnahme
hatte; wenn's nur von ungefähr einem Theater, einer Kirche,
einem Gedichte oder Gebilde gleichsah, Kunst und Styl daran
war dieser Barbarei gleichgültig. So durfte dann auch jeder
Styl vor diesem Publikum Seiltänzerei und Karneval treiben,
jede Willkür wurde nachgesehen oder vielmehr gern gesehen, denn
jede Zeit will in ihren Hervorbringungen ein Bild, das ihr
gleich seh, sehen. Diese Sthllosigkeit wird der philosophische
Geschichtschreiber gut haben nachzuweisen aus dieser Charakter-,
Boden-, Rand- und Bandlosigkeit des bisherigen Subjektivismus
und Individualismus.

Es bleibt dabei, zu allen Zeiten sind die Tonangebenden
eben die — vollen oder tauben — Blüthen des Stammes, und
von ihrem Volke nicht abzulösen, seh cs, daß es gediegenes Volk
mit Volksgeist und Leben oder schales Publikum ohne Geist und
Leben ist. Das Volk verhält sich zu den besonder» Eigenschaften
des Sthls nicht mehr und nicht weniger passiv, als zu den Haupt-
eigenschaften, es läßt in beiden eben die aus ihm hervorgehenden,
in seinen Gefühlen, Bedürfnissen, Tugenden und Fehlern, Fort-
schritten oder Rückschritten wurzelnden Künstler „machen." Wer
am schärfsten ausspricht, was Allen an und auf dem Herzen
liegt, ist der Mann des Volkes; ein sicherer Takt sagt demselben,
welcher Künstler mit ihm in geistigem Kontakte, in innerlicher
Einheit seh. Die Athener haben jeden falschen Takt und Ton
und jede falsche Linie und Wendung herausgefühlt, sie mußten
ihre Phidias und seinesgleichen haben. Unsere bisherige Zeit
mußte wiederum ihre Leute haben: unsere Schinkel, Cornelius,
Schwanthaler, Hübsch hat sie dafür „dem Landvolk" gelassen,
das sie nicht versteht, und der „spirituellen Aristokratie," die sie
nicht unterstützt. Kein Wunder, wenn nun unser Vers, meint,
„der Volksgeist oder das Publikum" seh wesentlich passiv gegen
die besondern Eigenschaften des Sthls, und er dürfe dieselben
als „arbiträre Gliederung" zwischen der „absoluten Haupt-
glicderung" und der „Ziergliederung" (S. 15) stellen, als eine
„zweideutige Mittelsphäre, wo das Gefühl halb aus der Seele,
halb aus dem Auge fließt, wodurch gerade die Architektur die
unpopulärste aller Künste ist, indem diese feinere architektonische
Logik, dieser mehr ätherisch -konstruktive Organismus, dessen ver-
schiedene Gliederungen meist in einer nur leisen Beziehung unter
sich und zum Ganzen stehen, dem Blicke des Laien ziemlich ferne
liege."

In einem lebendigen Gliedbau (Organismus) ist nichts
arbiträr! Am gesunden, ganzen Menschen, wie er freilich in
bisheriger Zeit eine Seltenheit ist, läßt sich Aug und Seele nicht
halbscheiden. Es wird in guter Zeit mit dem Bauwerk wie mit
einem Redewerke geschehen: an Schlaglichter und Stichwörter
hält sich die Masse, über die Wohlerwogenheit der Wendungen,
die Abgemessenheit der Perioden, die Feinheit der Uebergänge,
die tiefer» logischen Verbindungen, die innere Architektonik, den
über das Ganze ausgegossenen Acther hat sie zwar kein bestimm-
tes Wissen, zu greifen ist das Alles ohnehin nicht, aber all das
wird doch bemerkt oder vermißt und mit Lust oder Unlust tönt
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