Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 17.1882

DOI Artikel:
Richter, Jean Paul: Ausstellung alter Meister in Burlington House, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5808#0136
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ausstellung alter Meister in Burlington House.

268

2«>7

Unter den wenig bekannten Sammlungen ist am reich-
sten die des Parlanientsmitgticdes fiir Berkshire I. Walter
in Bearwood vertreten und zwar ebenso mit vorzüg-
lichen italienischen wie mit hollcindischen Bildern ersten
Ranges, im ganzen dreißig. Neben den sechs von der
Königin aus Buckingham Palace geliehenen Bildern
finden wir eine Anzahl guter Bilder aus den Samm-
lnngen der Hcrzöge von Marlborongh und Grafton,
der Earls von Normanton, Darnley, Kilmorey,
Portarlington und St. Germain, der Counteß von
Caledon, des Lord Penrhyn und andere. Bedentende
altitalienische Bilder stammen aus den Sammlnngen
von Mrs. Morrison, F. Leyland, Sir F. Leighton,
I. L. Budgett, Robert Fox, A. R. Boughton Knight
u. a. Jm ganzen sind es nicht weniger ats neunzig
Besitzer von Gemälden, welche beigesteuert haben.

Jm Saale der Holländer begegnet uns zunächst
eine Gruppe biblischer Genrebilder — von Philip
Wonverman, von Jan Stecn und von Adriaen
Brouwer. Der berühmte Maler des Kavalierlebens
schildert die Madonna nnd die heil. Elisabeth nnter einem
Baum sitzend, letztere lesend, während zu ihren Füßen
der Christusknabe und der kleine Johannes mit einer
Taube spielen. Jn dem Halbdunkel einer Hütte helfen
Engel dem Joseph bei seiner rüstigen Zimmermanns-
arbeit, andere Engel tummeln sich in den Ästen des
Baumes, während noch andere in einem seichten Bach
den Esel zur Tränke führen, -— eine Gruppe, die, wie
sich wohl von Wouverman erwarten läßt, die ge-
lungenste und anziehendste in der einzigartigen Kom-
position ist. (Nr. 54. Besitzer I. Walter, Esg.; bc-
zeichnct ^111,8 . sV.) Adriaen van Ostadc malt
die Anbetung der Hirten, man möchte fast sagen, so
wie holländische Bauern vder vielmehr die Zechbrüdcr
der Ostadischen Muse das Ereignis in einem tul>1ss.u
vivunt veranschaulichen würden. Was ihnen so an-
betungswürdig schcint, ist die von Gesundheit strotzende
bausbäckige Wohlgenährtheit des Wiegenkindes. Das
Bild (Nr. 9l) ist 1667 datirt. Jn Jan Steens
„Hochzeit zn Kana" (Nr. 55) sind die Mittel der
Darstellung dieselben wie bei Ostade, seinem proble-
matischen Lehrer, aber was für ein ganz anderer Geist
weht hier in den Figuren! Welch ein dramatisches
Leben in der Komposition! Die Charaktere sind meister-
haft individualisirt, und wie geschickt sind all die ein-
zelnen Episoden zusammengruppirt! Für den Ästhetiker
kann es kaum einen interessanteren Vergleich geben
als die Zusammenstellung dieser jovialen und witzigen
holländischen Hochzeit zu Kana mit dem prunkenden
venetianischen Hochzeitsbild, der ranschenden Farben-
musik des Paolo Beronese im Salon carrs des Louvre.
Das Steensche wie das Ostade'sche Bild stammen aus
Bearwood. Rembrandt wird für eine weitere soge-

> nannte heilige Familie (Nr. lOl, A. R. Bonghton
Knight gehörig) verantwortlich gemacht: Zwei Frauen,
die jüngere lesend, die ältere schlafend, sitzen beiLampen-
licht in der Nähe einer Wiege. Die Benennung des
Sujets ist hier so zweifelhaft, wie der Name des
Malers. Licht und Schatten stehen in scharfen Kon-
trasten, Übergänge fehlen fast ganz, dabes sind die
Schatten undurchsichtig. Das Bild gehört in die zweite
Hälfte des l7. Jahrhunderts und entbehrt der seineren
Qualitäten der besseren Rembrandtschüler. Von einer
Signatur ist nichts zu entdecken. Das srüheste untcr
den vier zweifellos echten Rembrandt ist das bezeich-
nete, aber nicht datirte Selbstporträt (Nr. 102; auf
Holz, Besitzer Earl of Caledon). Dieses Brnstbild ist
von jener phantastischen Auffassung, von der z. B. der
Louvre allein drei Beispiele aus ungesähr der gleichen
Zeit aufzuweisen hat. Das Bild des Earl of Caledon
scheint mir vor 1635 entstanden. Dann ist das Juwel
von Buckingham Palace, einst im Besitz der Kaiserin
Josephine, „Christus als Gärtner mit Maria Magda-
lena am Grabe" zu nemien, bekanntlich 1638 datirt
und vorzüglich erhalten (Nr. 117). Rechts ist die
dunkle Felsenhvhle mit den Engeln im Zwielicht, links
im Hintergrunde Jernsalem niit dem Tempel, einer
zweitürmigen Kathedrale, vom hereinbrechenden Tages-
licht angestrahlt, und in der Mitte des Vovdergrundes
steht Christus in langem weißen Gewande und breitem
Strohhut, licht von lichtem Grnnde sich abhebend, zu
seinen Fllßen Magdalena. An dritte Stelle tritt ein
zweites der Kunstlitteratur, so viel ich ermitteln kann,
bisher völlig unbekannt gebliebenes Porträt aus der
Sammlung von Mrs. Morrison (Nr. 63; auf Lein-
wand, 1 iu hoch und 86 vm breit). Eine Dame von
etwa 20 bis 25Äahren sitzt, dem Beschauer zugekehrt, in
einem Armstuhle. Jhr auf der Brust sehr offenes Ge-
wand ist breit mit weißem Pelz besetzt, den Hals ziert
eine goldene Kette. Den Kopf umrahmen künstliche
Locken, während die Gesichtszüge eine vage Rem-
brandtsche Familienähnlichkeit aufweisen, woranfhin das
Bild irrtümlich unter dem Namen „Rembrandts Toch-
ter" geht. Das eigentllmliche Spiel des Lichtes auf
deni Petze neben dem leuchtenden Fleische, ist, wie sich
erwarten lüßt, von magischer Wirkung. Jn der Be-
handlungsweise steht das Gemälde dem berühmten
Frauenporträt im Salon carrs des Louvre und dcr
im Fluß Badenden (offenbar dasselbe Modell!), Nr. 54
der National Gallery in London, fehr nahe, beides
Bilder von 1654. Das Morrisonsche Bild ist signirt,
aber nicht datirt. Der letzte echte Rembrandt ist der
sogenannte Koch Rembrandts: Brustbild eines Mannes
mit einem Messer in der Hand (Nr. 234), dem im
selben Jahre (1661) entstandenen Stenipelmeisterbild in
Amsterdam würdig an die Seite tretend. Der gegen-
 
Annotationen