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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Vom Christmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0076
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Vom Christinarkt.

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dem uubeguem genug guer »cich hiuteu gesteekten Kciva-
lierdegen." Diese Trachten und Geivvhnheiten ver-
liehen den Gcstalten eine ungelenke Steifheit, dic in
Wegfall kvinnit, wenn jene iu dcn Hintergrnnd trcten,
wie man cs an den sogenannten „Einsällen", jeucn
Miniaturbildcrn auf dcm weißen Raude einigcr Nadi-
rnngen, leicht bemerken kann. Wic bei den Klein-
meistern des 16- Jahrhunderts, kvmmt sein glänzendes
Talcnt nur in Bildern kleineren Formates zu voller
Geltung, wie z. B. in der „Schlittensahrt", einem
äußerst seltenen Stiche, in der „Einwanderuug der
Franzosen zur Errichtung der Negie" und in der „An-
kunft der Franzosen in Deutschland"; aber seine Dar-
stellnugen fangen oft schvn an plump und hblzern
zn erscheinen, svbald er iiber den Nahmen des Duo-
dezsormates hinausgeht. — Vicle der ersten Abdrücke
vvn Chodowiecki's Radirungen sind jetzl äußerst schwer
nvch zn erlangcn, und nicht wenige werdcn es dcr Ver-
lagshandlnng Dank wissen, daß sie eine Neihe der
seltensten Blätter erworben hat nnd auf photographi-
schem Wege vervielsältigen ließ. Daß die Originale
von vorzüglicher Beschaffenheit sind, dafür bürgt der
Name der Schüppelschen Sammlung, die, wie wir ver-
nehnien, der Berlagshandlung zur Bersügung gestan-
den hat. Der Begründer dieses Kupferstichkabinets
war mit Chodowiecki befreundet und bezog vom Mei-
ster stels die ersten Abdrücke ueuentstandener Blätter.
So kommt es, daß sich in unserer Mappe einige der
seltensten Kleinode des Rococogenre's vorfinden, wie
der „kleine" und der „große L'Hombretisch", die
„Sitzenden Damen", von welchem Stiche nur drei
Abzllge existiren, — das „Studienblatt" mit 18
Figuren, die „Singende Alte", der „Lesende Bauer",
die zwölf Blätter zu Lessings Minna von Barnhelm
mit sieben „Künstlereinfällen" unter den Abdrücken.
Das reinste Wohlgefallen aber erwecken in uns seine
dem anspruchSlosen behaglichen Bürgerkreise entnom-
menen Schilderungen, seine Familienbilder, in denen
er uns das ganze stille Glück offenbart, das an seinem
eigenen Herde wohntc. Die schlichte Form der Dar-
stellung und deren vollendete Natnrwahrheit stellt ihn
hoch über seine deutschen und sranzösischen Zeitgeuossen
und macht ihn zum Begründer einer neuen Epoche der
Jllustrirung, in welcher endlich, nach 200jähriger
Pause, wieder eine echt volkstümliche Kunst zu Tage
tritt. Noch wollcn wir schließlich die Kunstfreunde
auf die im Verlage Vvn Amsler L Rnthard erschienenen
Blätter Chodowiecki's, „Die Künstlerfahrt nach Dan-
zig" (1773), wiederholt aufmerksam machen. Hoffentlich
solgen beiden Publikationen bald nvch anderc nach und
helfen dasJhre dazu beitragen, daß der fruchtbare,— an
2000Nummern hält sein Kupferstichwerk,— undschöpfe-
rische Meister wieder heimisch werde unter seinem Volke.

Eincr drittenMappe cntheben wir eine Reihc photo-
graphischer Nachbildungen von Schöpfnngen Hermann
Kaulbachs aus dem Ende dcr Siebziger Jahre: seine
Darstcllungcn beliebterOpernscenen, welche von
Friedrich Bruckmann in Müuchcn photvgraphirt und
im Verlage von K. Brack L C. Kcller in Berlin er-
schienen sind. Zu diesen Gemäldcn bedarf es keiner Ivcit-
schichtigen Erörternng. Sind sie doch selbst schon cine Art
Kommcntar zu einer andcrcn gcheimnisvollcn Sprache,
zu der Kunst, die sich am unmittelbarsten und innigsten
dem Gemüt anschmiegen und darum dcr Erläuterung
zumeist entraten soll. Eine Ausnahme macht die Oper,
das musikalische Drama, welches auf Ohr und Auge zu-
gleich ästhetisch wirken will. WirbesitzenzwarschonOpern-
cyklen, unter denen sich trefflicheBlälter vvnKeller, Pixis
und anderen bekannten Malern befinden; aber der Wert
der einzelnen Kartvns ist sehr verschieden, neben Hoch-
vollendeten hat sich viel Mittelgut eingeschmuggelt, ja,
bei einigen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren,
als seien sie direkt, nachdem der lctzte Hauch ver-
klungen, möglichst „bühnengerccht" und ohne jede höhere
Weihe nur aus dem Arm dnrch den Pinsel gegangen:
so kouliffenhast ist Baum und Strauch auf die Bild-
släche gestellt, so ungelenk tritt die Gestalt des Helden-
tenors aus dem Rahmcn heraus, als sei es der Hanpt-
zweck des Bildes, das getreue Exterieur des Sängers
zu verewigen. Über Hermaun Kaulbachs Cyklus geht
uns das Herz auf, so aus eincm Guß und für sich
allein verständlich ist jedes Blatt, wie es bei phanta-
sievoll nachempfundenen wirklichen Kunstwerken der
Fall sein muß. Freilich sühren sie uns nicht imnier
den Hauptmomeiit der Handlung oder die dichterisch und
musikalisch bedeutendste Stelle vor Augen, wohl aber
versetzen sie uns in die Seenen, welche sich für die
malerische Komposition am wirksamsten erweisen. Sv
ergänzen sie den oft traurigen und melodramenartigen
Text und verwirklichen manch ursprüngliche Jnten-
tionen des Tondichters, zumal sie vhne Rücksicht die
Schranken llbersteigen dürfen, die der mimischen Kunst
bald da, bald dort gezogen sind. Trvtzdem die Vvr-
liegenden recht guten Kopien, — einige der Photo-
graphien sind zn dnnkel gehaltcn, — der Farbe ent-
behren, erkennen wir doch in ihnen teilweise die Schule
Piloty's, die geistige Durchdringung dcs Stoffes, die
trcffliche Behandlung der Details und die brillante
Technik wieder, jene Vorzüge, welche anch in anderen
Schöpfungen H. Kanlbachs, wie in „Ludwig XI.
und sein Barbier Olivier le Dain in Peronne", in seiner
„Kinderbeichte", sowie in den „Letzten Augenblickcn Mo-
zarts" und besonders in „Lucrezia Borgia" den Be-
schauer feffeln. llnter den Kartons des Operncyklus
sind dem Maler, nach unserem Dafürhalten, die Süjcts
am besten gelungen, welche sich aus lyrischcn Motiven
 
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