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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0171
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Sammlungen

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der japanischen Holzschnittkunst abzuwandeln. Man sah
an sich vorüberschreiten die herbe Kraft der Primitiven
mit ihrem schier dämonischen Einschlag, die schon mit
Grazie gepaarte Phantasie des Harunobu, die klassische
Gesammeltheit des Kiyonaga, die mit fortreißende Ge-
staltungskraft des Sharaku. Man gelangte zu den Gipfel-
punkten, zu Utamaro, dem feinsten aller Schilderer von
Frauenreizen, und zu Hokusai, dessen Kunstsich trotz ihres
Naturalismus und ihrer Volkstümlichkeit infolge einer un-
vergleichlichen Produktivität und Beherrschung des Hand-
werklichen stets auf einer besonderen Höhe hält. Man ist
in diesem Jahre, mit der sechsten Ausstellung, die haupt-
sächlich Werke von Toyokuni und Hiroshige vorführt, zu
Ende gekommen. Toyokuni macht Anleihen bei all seinen
großen Vorgängern; sie schärfen ihm das künstlerische
Gewissen, aber sie lähmen ihm dafür die spontane Schöpfer-
kraft. Untrügliche Zeichen des Verfalls treten bei ihm
auf: ein Hinsiechen im Wissen von der Kunst statt Seher-
tum, aber noch ist es bei ihm ein Sterben in Schönheit.

Hiroshige dagegen ist der letzte geniale Entdecker.
Mit den raffinierten technischen Mitteln, die er vorfand,
feinster Linienkultur, delikatester Farbendifferenzierung er-
schließt er ein noch kaum betretenes Gebiet: die Land-
schaft; die Landschaft, keinem illustrativen Zweck mehr
unterworfen, undramatisiert, unheroisiert, die Landschaft
als Inbegriff einer poetischen Stimmung. Kein Wunder
darum, daß Hiroshige zuerst von den japanischen Künst-
lern dem europäischen Verständnis einging.

Oft findet man in der Geschichte einer Kunst, einer
Kultur vor dem Zusammenbruch noch einmal ein glor-
reiches Aufrütteln und Betätigen aller Energien, frühlinghaft
bis zum Vortäuschen einer Primitivität: so bei Hiroshige.
Aber schon zu seinen Lebzeiten stand der Feind im Land,
Europas Ästhetik, »die weiße Gefahr«. Und als Hiroshige
1858 starb, wie schnell wurde aus »der weißen Gefahr«
»die weiße Krankheit«: mit der Vernichtungskraft von
Leukozyten durchsetzten europäische Kunsteinflüsse die
japanische Eigenart, und nun ist es aus mit der originalen
japanischen Holzschnittkunst, auf immer, so möchte man
fürchten, im Hinblick auf die Erzeugnisse der letzten Jahr-
zehnte. — »Eritis sicut Deus«. . ., Japan erlag dem euro-
päischen Verführer und ward stark und wissend, aber sein
Kunstparadies hat es verloren. Wahrlich, ein satanisches
Verhängnis, wenn man bedenkt, wie gerade seit etwa 1858,
seit Hiroshiges Tod, sich europäische Kunst an japanischer
verjüngt hat. a.D.

Paris. Mit einer Toulouse-Lautrec-Ausstellung hat

sich die Galerie Paul Rosenberg in ihrem neuen Lokal,
rue de la Boetie, eingeführt. Es war ein besonderer Genuß,
Bilder, die zumeist im Privatbesitz versteckt sind, wieder-
zusehen: »Der Tanz der Goulue im Moulin Rouge« mit
ihren zinnoberroten Strümpfen, die große Zirkusszene, auf
der nicht nur das Pferd, das die Kunstreiterin trägt, an-
gepeitscht erscheint, sondern jede kleinste Linie selbst,
auf daß sie ihren gesteigertsten Ausdruck hergebe. Und
wie versteht Toulouse-Lautrec Flächen auszusparen und
welche Treffsicherheit bewährt sein aristokratischer Ge-
schmack im Aufsetzen der Farbe! So prima sind die Bilder
gemalt, daß Firnis sie nur schädigen kann, sie zu grell
und laut macht, wie »die große Szene im Moulin Rouge«,
die gefirnißt worden ist, bezeugt.

Es ist interessant, Toulouse-Lautrec mit unserer Zeit
zu konfrontieren. Sind uns auch seine auf direkte Wieder-
gabe der Natur abzielenden Darstellungsmittel nicht mehr
vorbildlich, sein Esprit ist noch aktuell, seine geistige An-
schauung noch wirksam: Ausschaltung allen Sentiments,
aller moralischen Wertung, Herausholen des stärksten Aus-

drucks. Lautrec fand ihn nirgendwo mehr als im Zirkus,
im Variete, im Nachtleben, überall da, wo die Sinne ge-
peitscht und die Nerven aufs Äußerste angespannt sind.
Unsere Zeit ist mehr von der Betrachtung des Einzelfalles
abgekommen, sucht den Rhythmus wie die Gebärde mehr
vom Gegenständlichen loszulösen, sucht in ihrem Bedürfnis
nach Synthese einem stärkeren kosmischen Gefühl gerecht
zu werden. Aber auch Toulouse-Lautrec mangelt dies
kosmische Gefühl nicht, wenn er auch eher Analytiker ist,
und so führt von ihm eine Linie über Picasso, Derain (ich
denke dabei an seine Stilleben) zu einigen Allerjüngsten
wie Marie Laurencin, Tobeen. a. d.

SAMMLUNGEN
Zum Bau der neuen Dresdener Gemäldegalerie.

Die Pflicht, den Meisterwerken der neueren Malerei in
Dresden eine würdige und geräumige Stätte zu schaffen,
ist längst erkannt worden, ehe die erfolgreiche Neuordnung
der berühmten alten Sammlung einsetzte. Nunmehr ist
der Platzmangel in dem alten Semperschen Bau auch dem
Laien klar geworden, der von den wichtigen Erwerbungen
der letzten Jahre nur [in kurz bemessenen Ausstellungen
Kunde erhalten konnte. Alle maßgebenden Behörden und
die Stadtverwaltung haben dem Plan eifrige Förderung an-
gedeihen lassen, ein Preisausschreiben führte im Sommer des
vergangenen Jahres zu dem günstigen Ergebnis, daß ein
geeigneter Museumsbau recht wohl innerhalb der Zwinger-
anlagen zwischen dem Galeriegebäude, der Oper und dem
alten Stallhof einen glücklichen Abschluß des an dieser
Seite offenen Theaterplatzes bilden könne. Der Standpunkt
planvollen und großzügigen Städtebaues entspricht somit
vollkommen den Wünschen der Museumsverwaltung, die
in Dresden zum ersten Male, wenn wir vom Bau des re-
lativ kleinen Kunstgewerbemuseums absehen, die sorgfältig
gesammelten Erfahrungen moderner Museumstechniker an
dem Neubau erproben und bewähren lassen will. Leider
werden in der Bürgerschaft immer wieder grundsätzliche
Bedenken gegen die Wahl des Bauplatzes geäußert; man
spricht von einer Bedrohung des Zwingers, von der Ver-
nichtung der Zwingeranlagen. Und doch ist nur ein ver-
hältnismäßig geringes Maß baukünstlerischen Taktes und
ein liebevolles Eingehen auf die Eigenart der Gartenanlagen
am Zwingerteich nötig, um die Gefahren zu vermeiden,
die der Koloß des neuen Schauspielhauses in allzu grellem
Lichte erscheinen läßt. Die Grundfläche des geplanten
Museums wird wenig Baum-und Wiesenflächen verschlingen,
und ein geeigneter Abstand von den bestehenden Gebäude-
komplexen sichert dem Neubau eine harmonische Wirkung
im Grün einer sehr verbesserungsfähigen Parkanlage fernab
von den Schauseiten des Zwingerbaues.

Ist es möglich, vor einer so wichtigen Entscheidung
ganz zu vergessen, daß die Vereinigung der Meisterwerke
der Malerei, Zeichenkunst und Graphik aller Zeiten mit
einer guten Kunstbücherei in einem Gebäude den besonderen
Reiz für alle einheimischen und fremden Kunstfreunde und
eine alte, ehrwürdige und berechtigte Tradition der Dresdener
Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte bedeutet? — Man
muß die räumliche Trennung solcher in sich ergänzungs-
bedürftiger Sammlungen in Wien oder in Paris selbst
empfunden haben, um die Gefahr zu verstehen, die eine
Verlegung des modernen lebenskräftigen Teiles für das
innere Wirken und die finanzwirtschaftliche Entwicklung
unserer Gemäldesammlung in sich bergen würde. Schon
vor Jahren hat in der Museumskunde Karl Koetschau auf
die Nachteile der Museumstrennung innerhalb Dresdens
nachdrücklich hingewiesen; gewiß läßt sich z. B. für die
Verteilung der plastischen Kunst auf das Albertinum, das
Palais im Großen Garten, das Coselpalais und das Kunst-
 
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