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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Huebner, Friedrich Markus: Belgisches Kunstleben
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0159
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Belgisches Kunstleben

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Der Künstler brauchte kein einziges Gemälde wieder
mit nach Hause zu nehmen; er hat sie sämtlich
verkauft. Leider können wir dem Lobe seiner Lands-
leute nicht rückhaltlos beipflichten; Ramah beherrscht
die ganze Skala der Kunstgriffe, wie man besticht
und blendet; so jung er ist, so sehr nähert sich sein
Können bereits der Routine. Korrekt und nicht weiter
aufregend verlief eine in der Kunstakademie vom
»Cercle d'Art et de Bienfaisance« veranstaltete, durch
den zweiten Bürgermeister im Beisein mehrerer Ge-
meinderäte usw. eröffnete Akademieschülerausstellung
(November 1916.)

Ein Unternehmen eigener Art war die vom Kriegs-
gefangenenlager Göttingen zusammengestellte, nach
Belgien entsandte Rundreiseausstellung der »Volks-
opbeuring«. Diese flämische Fürsorgegesellschaft
für Kriegsgefangene hat sich hierdurch ein großes
Verdienst auch um die Besserung der deutsch-flämischen
Beziehungen erworben; denn die von den Kriegs-
gefangenen hergestellten Malereien, Bildhauerarbeiten,
Schnitzwerke bewiesen der Bevölkerung erstens, daß
man im Kriegsgefangenenlager jeder höheren Tätig-
keit gerne Vorschub leistet, und zweitens konnten die
Leute an den vielen hübschen Augenblicksbildern sich
selber eine Vorstellung machen, daß das Leben, ent-
gegen den hier verbreiteten Greuellegenden, im Kriegs-
gefangenenlager durchaus annehmlich ist. Diese Aus-
stellung, in der Langaskens mit seinem »Begräbnis
eines belgischen Kriegsgefangenen« den Vogel abschoß
(verkauft um 2000 Fr.) fand deswegen, weil die
Internierten meist flämischer Herkunft waren, vorzüg-
lich beim Mittelstand in Flandern sehr großen Beifall.
In Antwerpen war es kein geringerer als der Galerie-
direktor Pol de Mont, der bei der Eröffnung eine
Ansprache hielt.

Nicht unerwähnt bleibe schließlich eine Ausstellung
von Illustrationen, Exlibris und modernen Buchein-
bänden, welche das rühmlich bekannte Musee du
Livre im Herbst 1916 veranstaltete. Im Technischen
vorzüglich, bewiesen diese Arbeiten aufs neue, wie
sehr Belgien an den alten Ornamentmustern hängt
und mit eigentümlicher Hartnäckigkeit noch heute,
als letzte Errungenschaft, die einstig Moderne des
Jugendstils weiterkultiviert. Bis auf die Bucheinbände
waren die vorgewiesenen Exlibris und Illustrations-
blätter meistens vor dem Kriege gemacht, denn künst-
lerische Werke werden ja jetzt in Belgien so gut wie
gar nicht verlegt. Erst in jüngster Zeit regt es sich
ein wenig. Jean Frisson hat eine Dutzendzahl radierter
Blätter im kleinsten Format als Mappe herausgegeben,
und der Studio-Saal bot seinen Kunden um den
Spottpreis von 3 Francs zu Weihnachten 1916 ein
Prachtalbum im Formate etwa der Leipziger Illustrierten
Zeitung, mit einer Menge sehr gut geglückter Repro-
duktionen. Gut gedruckt und mit Geschmack aus-
gezeichnet sind auch häufig die Kataloge der ver-
schiedenen Ausstellungen. Es ist etwas Spielerei da-
bei, denn braucht es für kleine Veranstaltungen von
vierzig oder sechzig Nummern besonderer Nach-
schlaghefte?

In allem stände vielleicht manches besser, wenn

in Belgien die Kunstkritik nicht so völlig versagte.
Statt zu ermuntern, Vorschläge zu machen, mit ge-
diegenem Urteil den Künstler wie das Publikum zu
erziehen, gehören die Kritiker, welche heute in bel-
gischen Blättern unter erfundenem Namen schreiben,
zu jener redseligen, kenntnislosen Sorte, die aus Grund-
satz alles lobt, alles schön findet und dem »aimable
artiste« auch dann Honig um den Mund schmiert,
wenn er ein offenkundiger Stümper ist. Die Kri-
tiker von ehedem sind entweder außer Landes ge-
wichen oder schweigen; Zeitschriften, die sich zur
breiteren Handhabung des Kunstrichteramtes eigneten,
erscheinen nicht. Im »Belgischen Kurier«, der ein-
zigen deutschen Tageszeitung des Generalgouverne-
ments, wo man weniger auf belgische Künstlerklüngel
und Spezi-Stammtische Rücksicht zu nehmen braucht,
wird seit einiger Zeit versucht, die Ausstellungsbeur-
teilung auf eine sachlich-strenge Höhe zu bringen.
Die besten französischen Kritiken liest man in der
»Information« (Brüssel), während die kundigsten Be-
richterstattungen für Holland vom Antwerpener Stadt-
bibliothekar Em. de Born im »Vaderland« geschrieben
werden.

Um die Not, welche hier wie anderwärts unter
den Künstlern herrscht, zu lindern, haben sich die
welsch-belgischen Maler mit den Bildhauern, Schrift-
stellern, Musikern und Schauspielern zu einer Liga
zusammengeschlossen, welche, neben dem charitativen
Zwecke, auch die Propaganda für belgische Kunst
überhaupt in Belgien und im Auslande pflegen soll.
(Ligue beige de Propaganda artistique.) Dem
Ausschuß für die vorbereitenden Arbeiten gehören u. a.:
De Rudder, Fierens-Gevaert, F. Khnopff, Yvan Gilkin,
Paul Gilsoul. Die Geschäftsstelle befindet sich in
Brüssel, nie de la Tribüne 8. Für die Flamen war
dies das Zeichen, gleichfalls an eine straffe Organi-
sation zu denken. Man begründete zu diesem Behufe
die eingegangene Künstlergenossenschaft »Doe still
Voort« aufs neue, und auch hier reichten die Vertreter
anderen Kunstbetätigungen den bildenden Künstlern
die Hand zum Bunde. Die neue Genossenschaft
wünscht mit Rat und Tat ihre Mitglieder zu unter-
stützen, Ausstellungen, Unterrichtskurse, Wandervor-
träge einzurichten und für die Zusammenfassung aller
flämischen Einzelvereinigungen zu einem großen
»Vlaamsch Kunstverbond« vorzubereiten.

An diesen allgemeinen Überblick über das der-
zeitige belgische Kunstleben eine Voraussage anzu-
schließen, in welcher Richtung nach dem Kriege hier-
zulande die Kunsterzeugung sowie der Kunsthandel
sich entwickeln wird, ist unmöglich. Auch über diese
Zukunft liegt die Entscheidung bei den Waffen. So-
viel läßt sich freilich sagen, daß die deutscherseits
eingeführte Verwaltungstrennung eine Neuorientierung
auch auf diesem Gebiete nach sich ziehen wird, derart,
daß der Süden sich noch inniger dem französischen,
der Norden sich dem holländischen und dem deutschen
Kulturkreis nähern wird. Dann wird das Sammelwort
»Belgische Kunst« allerdings nicht länger mehr zutreffen
können.

FRIEDRICH AI. HUEBNER.
 
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