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Kunstchronik und Kunstliteratur — 61.1927/​1928

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Heft 8 (November 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.67422#0085
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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR
BEILAGE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR BILDENDE KUNST
HERAUSGEBER: PROFESSOR DR. GRAUL / SCHRIFTLEITER: DR. NACHOD
Heft 8 November 1927

MUSEEN UND SAMMLUNGEN

HANNOVER. Provinzialmuseum. In den letzten
Monaten konnten wieder einige wertvolle Ankäufe getätigt
werden. Vor allen Dingen wurde die Sammlung der Nieder-
länder um beachtliche Stücke vermehrt. Ein sehr liebens-
würdiges, aus dem Jahre 1633 datiertes Bildnis eines elf-
jährigen Mädchens von Cornelis de Vos hat in der Eleganz
der Malweise und Auffassung fast Verwandtschaft mit van
Dyckschen Porträts (Abb. untenstehend). Es ist nicht ganz
so locker und großzügig im Strich wie das Dresdner Frauen-
bildnis, ist zarter und zierlicher und in den Farben Schwarz,
Grau, Rot und ganz zartem Rosa ein Kabinettstück geschmack-
licher Feinheit. J. Jordacns, der in der Sammlung fehlte,
wird nunmehr durch einen Aquarellentwurf zur Dresdner Dar-
bringung im Tempel vertreten, aus dem nur die Figur des
Simeon genau, die Draperie über die Bundeslade sehr ähn-
lich in das Bild übernommen ist. Während das Gemälde eine
ausgesprochene Horizontalkomposition ist, betont die Zeich-
nung im Aufbau die Vertikale, und eine kräftig wirkende
Diagonalanordnung der Figuren unterstreicht die barocke
Wirkung. Trotzdem die Zeichnung eine größere Figurenzahl
aufweist als das Dresdner Bild, ist sie geschlossener und
zusammengehaltener als dieses. Die flämische Landschafts-
malerei erhielt einen neuen
Vertreter durch eine blau-
grüne, sehr zarte Landschaft
des Lucas van Uden. Ob-
gleich deutlich die Gliederung
in Vorder-, Mittel-und Hinter-
grund vorhanden ist, ist die
Landschaft doch schon als
Ganzes erfaßt und gut zu-
sammengesehen. Von hollän-
dischen Landschaften konn-
ten eine der nicht häufigen
Baumlandschaften des Cor-
nelis Vroom, die alle Ele-
mente Ruisdaelschcr Bild-
gestaltung in sich trägt, eine
in ihrer braungrünen Tonig-
keit sehr lebendige Flachland-
schaft des J. Van der Meer
van Haarlem und eine
weite silbergraüe Flußland-
schaft Salomon Ruisdaels
erworben werden. Das Bild
ist ganz von einem weichen
silbernen Ton beherrscht, dem
sich auch die bräunlichen
Farben des Vordergrundes
unterordnen. Nur hier sind
Dunkelheiten, sonst verfließen
die silbrige Weite des Flusses
und die silbrige Weite des
Himmels, nur vom Vertikal-
akzent desKirchturmes durch-
schnitten, in einer großen
Raumtiefe. Eine Judith von
A. J. Carstens aus dem
Jahre 1779, vermutlich eine
Kopie nach einem hollän-
dischen Bild mit Schalken-

sehen Lichteffekten, ist soeben von Direktor Dörner in dieser
Zeitschrift (Seite 271) veröffentlicht worden. Eine kleine
italienische Ideallandschaft Klengels und eine ebensolche
Schirmers (als Staffage Flucht nach Ägypten) sind gute
und reizvolle Beispiele deutsch-römischer Landschaftsmalerei
des 18. und 19. Jahrhunderts. Für die Sammlung des
19. Jahrhunderts bilden ein Herrenporträt (Baron von Moser)
von Waldmü 11 er und eine Landschaft von Thoma glück-
liche Bereicherung. Das Bildnis des Wieners, ein Glanz-
stück biedermeierlicher Porträtkunst, vorgetragen mit der
ganzen liebenswürdigen Leichtigkeit des Österreichers; hell
trotz des dunkelblauen Frackes die geschmacklich äußerst
gewählte Farbigkeit des Vordergrundes, hell und klar die
kühlen Farben der Hintergrundlandschaft. Die Schwarzwald-
landschaft stammt aus dem Jahre 1891, der besten Zeit des
Künstlers. Sie ist voller Duft und Zartheit, von einer Leichtig-
keit der Pinselführung und einer Frische, wie wir sie im
Werk des herben, streng stilisierenden Meisters nur ganz
selten finden. Auch die jüngste Generation ist wieder mit
neuen Werken vertreten. Es gelangten die mit dem Preis
des hannöverschen Kunstvereins ausgezeichnete „Häuser-
gruppe“ Hofers, eine sonnige Taorminalandschaft E. Was-
kes, Landschaften von E.
W. Nay und Seiffert-
Wattenberg, der „Dach-
boden“ von E.Thoms, einem
jungen Hannoveraner, ins
Museum. Die Bestände der
Plastik wurden durch einen
Palmesel um 1500 (die ge-
naue Lokalisierung des Wer-
kes ist noch nicht gelungen,
man denkt an die Gegend
der Eifel) und einen Frauen-
kopf aus Marmor von H.
Scheurenstuhl - Hannover
ergänzt. Für die graphische
Sammlung gelang neben dem
Ankauf moderner Blätter von
Beckmann, Kollwitz,
Schmid t -Rottluff, Felix-
müller u. a. die Erwerbung
von zwei Blättern des fran-
zösischen Manieristen J. B e 1 -
lange, Tod der Virginia
(Bartsch 1) und die Frauen
am Grabe (Bartsch 9). Be-
sonders das letzte Blatt er-
staunt durch die Gewagtheit
seiner Licht- und Schatten-
effekte und die Kühnheit
seiner Komposition. Esnimmt
sprunghaft Dinge zwei Jahr-
hunderte voraus. Die Ge-
stalten scheinen in ihrem
Kostüm und ihrer Haltung
dem 18. Jahrhundert anzu-
gehören, und auch das Ethos
ist bereits ein durchaus ro-
kokohaftes.
Elfriede Ferber


Cornelis de Vos

Junges Mädchen

Hannover, Provinzialmuseum

Z. f.b.K. Beilage
 
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