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Kunstchronik und Kunstliteratur — 61.1927/​1928

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Heft 12 (März 1928)
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https://doi.org/10.11588/diglit.67422#0133
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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR
BEILAGE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR BILDENDE KUNST
HERAUSGEBER: PROFESSOR DR. GRAUL / SCHRIFTLEITER: DR. NACHOD
Heft i2 März 1928

Z U R M A N E T -AUSSTELLUNG
VON KURT KARL EBERLEIN

Die Berliner Manet-Ausstellung in der Galerie
Matthiesen, durch 96 Originale genuß- und lehr-
reich, gibt uns erwünschte Gelegenheit, sich mit dem
Problem Manet wieder einmal auseinanderzusetzen
und dem Pariser Phänomen nachzuforschen, das in
einem fünfzigjährigen Leben von 1832 bis 1882 eigent-
lich die Entwicklung der französischen Malerei jener
Zeit darstellt. Trotzdem der Künstler der Geschichte
angehört und gerade in Deutschland bekannter und
geschätzter ist als sein Rivale Courbet, sei ganz kurz
das Wesentliche gesagt, um sein Leben und seine
Probleme, seine geschichtliche Stellung und Leistung
deutlicher zu machen.
Edouard Manet, als der älteste von drei Söhnen
eines Pariser Richters aus rassiger, wohlhabender
Bourgeoisie geboren, ist klug, temperamentvoll, ner-
vös, witzig und ehrgeizig, der elegante, gepflegte und
korrekte Pariser. Von mütterlicher Seite künstlerisch
begabt, strebt er zur Kunst, wird zur Abschreckung
als Schiffsjunge nach Rio de Janeiro geschickt und
tritt dann doch mit dem Freund Antonin Proust 1850
in das Modeatelier Couture ein. Das eigenwillige Ta-
lent, das in allem Wahrheit und Echtheit sucht, stöß t
immer wieder mit Lehre und Methode, Begriff und
Eitelkeit des Lehrers zusammen. Er bekleidet und
beschimpft das posierende Nacktmodell, er haßt die
I listorienmalerei, er malt was und wie er sieht und
ist schon im Kreise der Mitschüler der Revolutionär,
mit dem oder gegen den man hält. Raffet verweist
ihn auf Rembrandt und Velazquez, Deveria auf Ve-
ronese, und Delacroix auf den Gott Rubens. Couture
aber prophezeit ihm: „Vous ne serez jamais que le
Daumier de votre temps.“ Die Freunde aber, Murger,
Baudelaire, D’Aurevilly, erwarten von ihm eine große
Zukunft. Der 1850 durch sein Begräbnisbild alles er-
regende Courbet wird ihm Erlebnis. Corot, Daubigny
und Jongkind bewundert er, vor allem den Holländer.
1855 macht sich der junge Sturmgeist selbständig,
besucht die Galerien Hollands, Deutschlands, Italiens,
kopiert im Louvre Velazquez, Tintoretto, Tizian, und
wird im „Salon“ mit seinem Absinthtrinker, der ihn
mit Couture für immer entzweit, 1859 abgewiesen.
Eine spanische Truppe, Tänzerinnen und Sänger, von
Baudelaire, Gautier, Astruc gefeiert, erneuern seine
Leidenschaft für das Spanische, die schon Dehodencqs
Bilder und Courbets Technik erregt hatten. Er malt
den Bruder, den Freund, das Modell Victorine in
Z. f. b. K. Beilage

spanischem Kostüm und lebt sieh malend in eine
spanische Romantik hinein, die erst durch die spa-
nische Reise und ihre Enttäuschung verweht. 1861
stellt er zum erstenmal im „Salon“ aus, 1862 stirbt
sein Vater und hinterläßt ihm solchen Reichtum, daß
er frei und ohne Verdienst seinem Talent, seiner
Eleganz und Geselligkeit leben kann. 1863 wird sein
großes Bild „Dejeuner sur l’herbe“ (oder „Le Bain“)
im „Salon“ abgelehnt, und im Salon der Refüsierten
als Stoff wie als Technik zum Skandal. Seine Privat-
ausstellung bei Martine! wird nicht beachtet. Von
nun ab ist er der „Wilde“, der Revolutionär, der
Narr und der Feind aller. Während der Sozialist
Courbet diese Rolle gern und leidenschaftlich durch-
hielt, war sie dem konservativen Manet eine Qual.
1865 erregt die zwei Jahre früher gemalte „Olympia“
im „Salon“ einen noch größeren Skandal, der ihm
das Dasein verbittert und ihn außer Landes treibt.
Er reist in Spanien, lebt still und traurig in Paris,
heiratet eine Holländerin, verliert den Freund Baude-
laire durch Wahnsinn und findet in Zola den Vor-
kämpfer und Verteidiger, der ohne Erfolg für ihn
schreibt. Auch Cezanne und die Jungen sind für ihn.
Der Salon lehnt ihn ab, auch die Weltausstellung
1867, und er baut sich deshalb wie Courbet auf eigene
Kosten eine Ausstellungsbaracke am Pont de l’Alma,
die zum Lachkabinett wird. Fünfzig Bilder und das
Vorwort des Katalogs kämpfen vergebens für seinen
malerischen Realismus. Omans und Paris, der Bauer
und der Städter, der Bär und der Adler nebeneinander
in freier Konkurrenz — ein köstliches Symbol kunst-
geschichtlicher Geisterkämpfe. Trouville und Bou-
logne wecken den Landschafter und Maler. Der junge,
aus dem Atelier Gleyre kommende Freundeskreis,
Monet, Renoir, Bazille, Sisley, leisten ihm als Land-
schafter Gefolgschaft; Pissarro, Degas, Fantin, Berthe
Morisot (die seinen Bruder Eugene heiratet) glauben
an ihn, die schöne Eva Gonzales wird seine einzige
Schülerin, und 1870 huldigt ihm der Freundeskreis,
der den Namen „die Schule von Batignolles“ erhält,
in dem bekannten Atelierbild Fantin-Latours. Als
einziger Deutscher erscheint unter den französischen
Genossen der Maler Scholderer, der auch Courbet
nahesteht und die Schwarzmalerei der Frankfurter
Schule und Thoma vermittelt. Der Krieg macht Manet
zum Kapitän der Nationalgarde, zum Untergebenen
des verhaßten Meissonier, zum Freunde Gambettas.
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