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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR

Oloron, Arcachon und Bordeaux werden besucht. Der
mutig spekulierende Durand-Ruel kauft 1872 eine
große Kollektion seiner Bilder. In I laarletn wird ihm
Hals wieder zum Erlebnis, und das unter diesem Ein-
druck gemalte Bild „Le bon Bock“ wird im „Salon“
1873 sein größter und bedenklichster Erfolg. Aber
schon 1874 wird das plain-air-Bild „Chemin de fer“
im „Salon“ ein neuer Skandal. Die Freilicht-Land-
schafter, die Impressionisten, machen im gleichen
Jahre in Paris ihre erste Ausstellung. Manet lehnt die
Beteiligung ab, doch hilft er pekuniär Monet und den
Freunden durch Ankäufe. Im nächsten Jahr weilt er
in Venedig; dann gibt es wieder einen „Salon“-Skandal,
und 1876 wird er ganz abgelehnt. Aber seine Atelier-
o o
Ausstellung mit aufliegendem Beschwerdebuch ist

ein Modeerfolg, und die Presse steht diesmal hinter
ihm. „Salon“ und Weltausstellung lehnen ihn wieder
ab, und seine Mittel reichen diesmal nicht zur eigenen
Baracke. Der „Salon“ 1879 nimmt ihn auf. Er ist
nun doch bekannt und die berühmte Erscheinung der
Salons, des Boulevards, des Cafe Tortoni. Der „Salon“
von 1881 bringt ihm widerwillig die zweite Medaille,
die ihn für immer „hors concours“ setzt, und der
Freund Proust bekrönt 1882 seine Ausdauer zum
Entsetzen der Künstler mit dem Kreuz der Legion.
Die Rückenmarkschwindsucht, die ihn lähmt, zwingt
ihn zur Ruhe und Schonung, zu kleinen Bildern und
Pastellen. Der Sommer in Rueil läßt 1882 die letzten
Bilder reifen. Blutvergiftung und Beinamputation
beschleunigen sein Ende, das am 3. April 1883 ein-
tritt. Seine Gedächtnisausstellung 1884, die Manet-
Auktion, die Weltausstellung 1889 sind Triumphe
seiner Kunst. 1890 zieht die „Olympia“ durch Sub-
skription ins Luxembourg ein, 1894 folgt die Samm-
lung Caillebotte, und die Auktion Duret bringt große
Manetpreise. Die Centennale in Paris steigert den

Ruhm des Malers, der durch Tschudi auch die deutsche
Nationalgalerie erobert. 1907 wird die „Olympia“ in
den Louvre gebracht. Manet ist der anerkannte Meister
des sogenannten Impressionismus, er ha t europäischen
Ruhm und Flandelswert und gehört der Kunstge-
schichte an.
Die kaum erforschte Geschichte der Farbe und der
Technik, der Farbprobleme und Farbstile hat in Frank-
reich im Jahrhundert des Historismus reichen Stoff.
Die Kunstkämpfe, die um Idealismus und Realismus,
um Geschichts- und Daseinsmalerei gehen, sind Farb-
und Stilkämpfe. Die flämischen, holländischen, vene-
zianischen, spanischen Farbprobleme bekämpfen sieh
in Delacroix, Millet, Couture, Courbet, und das eng-
lische Lichtproblem ist in Paris seit Turner und
Constable erfolgreich in Bonning-
ton und Jongkind. Manet erlernt
bei Cou ture die venezianischeTech-
nik, kopiert Delacroix und Velaz-
quez, bewundert Jongkind und
Courbet und kopiert Tizians Ve-
nus, Madonna mit dem Hasen,
Jupiter und Antiope und Tinto-
rettos Selbstbildnis. Er verdankt
Venedig den Akt in der Landschaft
und das Gesellschaftsbild. „Die
überraschte Nymphe“ ist nicht
ohne Venedig, das „Dejeuner“ nicht
ohne Giorgione und Raffael, der
„Christus“ und die „Olympia“ nich t
ohne Titian möglich. Und daneben
die spanische Induktion. Seine
Palette vergraut, der Schwarz-
spiegel tritt in Kraft, die spanische
Koloratur wird mit bunten Far-
ben in fetter Primamalerei gesellt.
Courbet, Velazquez, Goya wirken
ein. „Der Absinthtrinker“, der
„Guitarero“, „Der Knabe mit dem Hund“, „Der alte
Musiker“ sind spanische Manets, wie die peinlichen
religiösen Bilder, die Stierkämpfe u.a. Das „Dejeuner“
und die „Olympia“ sind farbige, zukunftsreiche Inter-
mezzi, aber der „Zola“, „Der Balcon“, „Die Erschießung
Maximilians“ sind immer noch spanischen Geistes.
Langsam hellt und lichtet sich die Farbigkeit, die
im Requisit und Stilleben beginnt. Das Holländische,
das ihn schon früh in Rembrandt und Hals ergreift,
bekommt spanischen Charakter, und es war kein
Scherz, daß er den geliebten Hals für einen Spanier
erklärte, weil er aus Malines stamme. Hals, Brouwer,
Terborch sind immer wieder fühlbar. Das Porträt
Duret ist ein holländischer Manet, und das nachträg-
lich eingemalte Stilleben wird der Farbträger. Noch
1873 siegt Hals im „Bon Bock“, und Stevens Witz-
wort vom „Haarlemer Bier“ trifft trotz allein Neuen
den Nagel auf den Kopf. Dies alles sind Induktionen,
Spiegelungen, Wahlverwandtschaften des malenden
Geistes, der sich selbst sucht. Immer wieder siegt das
Tonige, immer wieder geh t es in der Springprozession


Manet, Hafen von Bordeaux

Berlin, Privatbesitz
 
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