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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (März - September)

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Nr. 32
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Schürer, Oskar: Kunst und Kultur der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.39787#0094
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Kun/t und Kultur der Gegenwart

Sachlichkeit. Der Kulturfyftematiker wird hier vom Kulturhiftoriker kon«
trolliert oder — beeinflußt. Nach Hamann folgte auf eine durch tranfzen*
dente und feudale Mächte gebundene Zeit, deren Kunftwerke der Monu»
mentalifierung und Verehrung diefer Mächte zu dienen hatten, eine Zeit der
Vermenfchlichung und Vernatürlichung in Kunft und Leben, wo alle Kunft»
fchöpfung menfchliche Sympathie des Befchauers verlangte und alle Natur,
ja noch die Sache einem Anthropomorphifierungsprozeß unterzogen wurde.
Diefe fentimentalifierende und pfychologifierende Einftellung — der Impreffio»
nismus ihre letzte Emanation — wird heute abgelölt durch eine entmenfchende,
verfachlichende Grundhaltung, in der das dem Gefchaffenen immanente Gefetz
hervordringt und fich Geltung und Wert verfchafft, dem gegenüber alles
Gewachfene wie alles Verehrte als bedeutungslos, als unecht empfunden
wird. Die Sache Produkt des Menfchen, Gefchaffenes. Einer Mechanifierung
aller Lebensgüter, wie fie parallel der Induftrialifierung zu befürchten wäre,
wirkt die Spiritualifierung oder Vergeiltigung, der dritte, die Moderne kon*
ftituierende Faktor entgegen. Auch hier wieder ift Hamanns Ausgangspunkt
deutlich: Bejahung der kulturell gegebenen Lage, Überwindung ihrer Hoff*
nungslofigkeit durch ihre bewußte Aufnahme und geiftige Durchdringung.
Doch der finnlofefie Dienft in Fabrik oder Stollen erhebt fich zum finnvollen,
fobald er von Schaffenden als eingeflochten in einen großen, notwendigen
Zufammenhang erkannt wird. Nicht fo fehr das Erkannte, als vielmehr das
Erkennen als folches wird wertvoll, und moderne Wiflenfchaft wird weniger
auf Wahrheit und Richtigkeit der Ergebnifle pochen, als auf geiftreiche Kom*
bination des Stoffes, auf neue Verknüpfungen und Afpekte. Aus den Tat*
fachen heraus müflen die geiftig zwingenden und treibenden Zufammenhänge
entwickelt werden. Stilgefetze der modernen Kunft erwadifen aus der »Not*
wendigkeit, Natur zu verzerren und zu vergewaltigen, um produktive Kraft,
Kunft als Wert frei und im Werke Achtbar zu machen«. Aus dem Werk
felbft heraus zwingt fich uns Lebensgehalt und Gefetz auf, nicht erborgt von
außenliegenden Sphären der Göttlichkeit oder Menfchlichkeit. Mit folchen
Kunftwerken üben wir unfern Geilt aus. Diefe Objektivierung braucht nicht
gefühllos oder kalt zu fein, es gibt auch dabei Erfchütterungen, Kataftrophen,
ftärkftes Erleben«. Hier wie überall ift es die Energetifierung, durch die
fich der Produktive zum Herren über die Sache macht. »Wer würde diefe
Energetifierung an innerer Bedeutung zurückfetzen hinter das Machtgefühl
der Heroen oder dem Gottesbewußtfein der Begnadeten? Es fetzt die ab*
folute Freiheit und Gelöftheit vom Menfchen voraus«. Der Genius, jetzt
erft der wirkliche, ilt nicht Gottes Mund, fondern fleht Gott gegenüber —
wir denken an Martin Bubers Unterfcheidung von Sendung und Berufung —,
ift auch nicht vorbildlicher Hofmann wie im Barock, fondern eigenwilliger
 
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