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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (März - September)

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Nr. 32
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Schürer, Oskar: Kunst und Kultur der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.39787#0095

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Kunft und Kultur der Gegenwart 517
Schöpfer, Schalter und Walter mit gegebenem Stoff. Eine Rangordnung
funktionell gleicher Werte durchzieht den Bau der modernen Kultur.
So fihafft Hamann der Kunft einen foziologilchen Unterbau, einen ganz
anderen freilich, als ihn Worringer1) fyftematifch fordert, und deflen Fehlen
diefen zur Verzweiflung an der Exiftenzmöglichkeit moderner Kunft über«
haupt verleitet. Hamann vermeidet in der Theorie Worringers Trugfchluß,
der dem von Dvoräc 2> bis ins Mittelalter zurüdcverfolgten Prozeß der Um-
Wandlung der Kunft zum Organ des fubjektiven Seelenlebens unbeachtet
läßt — und doch werden gerade bei feiner Kunfttheorie Gefahren deutlich,
die ihn in praxibus vielleicht nicht fo fehr entfernt von Worringers Ideologie
werden münden laffen, die alles Schöpferifche der Moderne in neuefter, von
Intuition gefpeilter Wiflenfchaft will eingehen laffen. • Wo außer im Formalen
unterfdieidet fich ihm noch künltlerifches von wiflenfchaftlichem Schaffen?
Vorzüge und Mängel des Hamannfchen Syltems find fo engmafchig
verknüpft, ja vital bedingt, daß eine Scheidung faft unmöglich erfcheint. Wir
lamentieren nicht über Rationalifierung eines Irrationalen. Wir willen, wo
das 20. Jahrhundert fteht und fügen uns feinem Gefetz. Wir eifern auch
nicht allzu jugendlich über Formalismus und Qberfchätzung der Mache und
beugen uns vor der Verpflichtung meifterlichen Könnens. Unter der allzu-
Itarken Objektbetrachtung der Hamannfchen Äfthetik aber fcheint uns die
Subjektbetrachtung zu leiden, Woraus fpeilt fich die oft erwähnte Energe»
tifierung? Was ifts, was den Schöpfer zu innerft bewegt? Die fchöpferifche
Willkür — man geftatte diefem Terminus der Romantik Hamanns ganz un»
romantifchen Ausführungen gegenüber —, diefe felbftherrliche Genialität fteht
in verunklärendem Widerfpruch zu dem antiindividualiftifchen Ton, der alle
jene Gedankengänge durchzieht und ihren Ausgangspunkt beltimmt. Was
treibt den modernen Menfchen zum Werk, und wo fpaltet fich jener
geiftige Trieb in praktifche, in theoretifche, in künftlerifche Entfaltung? Noch
immer grüßen wir den Geilt und noch die geiftigfte Kunft als Einfallstore
fpontaner, dem Faktum enthobener Begeiferung. Sie wieder hinausgreifen
zu fehen über die gegebene Wirklichkeit und die Alltäglichkeit in die ge»
fühlten Sphären des Abfoluten — was uns viel eher jene Ungewöhnlichkeit
der Vorwürfe, jene Verabfolutierung der Kunltmittel, der rhythmifchen Ge-
füge und jene Annäherung an religiöfe Stoffe zu bedingen fcheint als der
von Hamann angeführte Trieb zur Sachlichkeit —, dies überperfönliche
Müllen ilt uns der innerlte Trieb der Moderne. Ihn der ftolzen Macht der
Form allmählich einzubauen, wohl unter Einbeziehung der naturgegebenen
1> Wilh. Worringer, künftlerifche Zeitfragen. München 1921.
2> Dvoräc, Idealismus und Naturalismus in der gotifchen Skulptur und Malerei.
München 1921.
 
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