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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (März - September)

DOI issue:
Nr. 37-38
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Winkler, Friedrich: Der Meister der Anna Selbdritt im Louvre
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https://doi.org/10.11588/diglit.39787#0191

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KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIET2E
NR. 37/38 9./16. JUNI ' 1922

DER MEISTER DER ANNA SELBDRITT IM LOUVRE
VON FRIEDRICH WINKLER
VON dem Tage an, an dem ich die merkwürdige hl. Familie im Louvre
kennen lernte <Abb. 1>, hat fie mich gelockt, in den vielen Einzelheiten
des Bildes Umlchau zu halten, sooft fie mir in einer Reproduktion wieder
vor Augen kam, ob fie nicht doch einen Hinweis auf feinen Urheber, feine
Heimat enthielten. Denn alles in dem Bilde ift problematifch, fo daß es,
foviel ich weiß, niemals in eine zufammenfalfende Darftellung einbezogen
worden ift. Bald als flämifch oder holländifch oder franzöfifch etikettiert, ift
es ehemals als Dürer von Landon geftochen worden und ift doch in der
emailartig leuchtenden Farbe, in ihrem zugleich kläubelnden und breiten Auf»
trag wie wenige Bilder denen der van Eyck verwandt. Würde nicht der
Anteil an der Entfaltung des Realismus, der dem Anonymus bei fpäteren
Ermittlungen zufallen würde, auf Koften anderer Künftler gehen, deren Ruf
feit begründet war? Welch feltfame Verquickung eines in kleinbürgerlicher
Enge heimifchen Gefchlechts mit Pracht und Glanz feines Auftretens und
feiner Umgebung bot nicht das Bild. Jofeph und Anna mit fpitzigen, nichts
weniger als einnehmenden Zügen, Maria ländlich derb mit einer Krone, die
den koftbarften Geftaltungen der niederländifchen und franzöfifchen Hofkünftler,
eines Jan van Eyck beifpielsweife, nichts nachgab, in einen überaus fchmuck»
vollen Hof verfetzt, mit detfen kokettem Äußeren der große Flickkorb der
alten Anna nachdrücklich kontraftiert. Nur über feinen Inhalt, Weißzeug,
Binden, Schere <?>, gelangt der Betrachter zu den zierlichen Einzelheiten der
Architektur. Die Zimmermannsfamilie des Evangeliums im Palaft eines der
großen Herren des feudaliftifchen Zeitalters!
Trachtlich reizt manches, nach Vergleichspunkten in den früheften primi»
tiven Bildern zu Tuchen. Das dicke Kopftuch mit gewelltem Saume, das
Anna trägt, ift ein Kleidungsftück aus den Anfängen des Realismus, das bei
Jan van Eyck, dem Meifter von Flemalle, Rogier van der Weyden zu finden
ift. Nicht anders fteht es um das Geflecht, das Jofephs Kopf deckt. Man
wird an die breitkrempigen Ungetüme des Arnolfini, des Mannes mit der
Nelke, des Stifters des Merode=Altars erinnert. Die Unficherheit in der
Wiedergabe des Raumes, die bei genauerem Zufehen fpürbar ift, kann als
in der zeitlichen Stellung des Künftlers begründet, die gleichförmige routinierte
 
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