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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (März - September)

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Nr. 42/43
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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»Max Dvoräks Bruegelwerk«

703

LITERATUR
Max Dvoräks Bruegelwerk
Dvoräks Bruegelffudie verdankt ihre
Entfiebung einer zufälligen und äußeren
Anregung. Als Herr Georg Roth in Wien
feine »Anbetung der Könige« verkaufte, die
feitdem in die Londoner National Gallery
gelangt iff, wollte Dvoräk für die »Bilden®
den Künffe« einen kurzen Begleittext zu
einer Abbildung des für Öfferreich ver®
lorenen Bildes fchreiben,- diefer Keim fiel
in einen außerordentlich fruchtbereiten
Grund, das Problem des Manierismus als
des Nährbodens der fpezififdh modernen
europäiffhen Geiffigkeit war für Dvoräk
— etwa mit dem eine noch tiefere Grenz®
fcheide bildenden der ältefien chrifflichen
Jahrhunderte — eine der Fundamental®
fragen hifiorifcher Erkenntnis geworden.
So fprengte die Fülle der zufirömenden
Gedanken fehr bald den urfprünglich ge®
dachten knappen Rahmen und es entffand
die weit ausholende Studie, die als Ein®
leitung zu »fiebenunddreißig Farbenlicht®
drucken nach den Hauptwerken Bruegels
in Wien« von der öfierreichifchen Ver®
lagsgefellfdiaft Eduard Hölzel 'S) Co., G.
m. b. H., in Wien veröffentlicht wird. Diefe
Entfiehungsumftände blieben der Darfiel®
lung Dvoräks anhaften. Die »Epiphanie«
und ihre zentrale Stellung im Werke
Bruegels bilden den Mittelpunkt der Ge®
dankengänge des Autors, die von hier
vorwärts und rückwärts geführt, gewiffe
Seiten des großen Künfilers tiefblickend
interpretieren ,- an eine durchgängige Aus-
deutung der Wiener Bilder, die hierbei keine
größere Rolle fpielen als andere Werke des
Meiffers, ift dabei nicht gedacht, noch we-
niger war eine monographifihe Erfchöpfung
des Themas geplant. Es ilt eine Studie,
wie fie Dvoräk oft fo glanzvoll in Einzel»
Vorträgen faßte, ein Bündel geifireicher
Aphorismen, deren Funken aus der fieberen
Glut einer gleichmäßigen Durchdringung
der Hauptfrage hervorfprühen.
Den Ausgangspunkt für das Verftänd®
nis Bruegels findet Dvoräk in dem, was
Simmel über Michelangelos tragifchen Le®
bensabfihluß gefihrieben hat/ aber es ilt
ungemein charakteriffifch für ihn, wie er in
der fiegreich erreichten Autonomie des

künfilerifchen Schaffens, in der Setzung eines
felbftherrlichen Reichs vergöttlichter Form,
nicht nur den bekrönenden Abfihluß einer
langen Entwicklung erkennt, fondern gleich»
zeitig auch die ungeheure Fruchtbarkeit der
nunmehr einfetzenden Reaktion gegen den
formalen Idealismus der Hochrenäiffance
fieht. Die Kunff verliert ihre führende
Rolle, aber fie gewinnt den Zufammen»
hang mit der ganzen die Zeit bewegenden
Problematik,- fie hat ihre Sonderaufgabe
erfüllt, als erffe ihre von der mittelalter-
lichen Weltanfchauung entbundene Eigen»
gefetzlichkeit zu umreißen und zu erfüllen
und fügt fich in das werdende Syftem der
natürlichen Weltauffaffung als ein Hilfs-
mittel des großen geiffigen Ringens und
Kämpfens, das die neue Zeit an die Stelle
der von der Renaiffance konffruierten aus-
geglichenen Vollkommenheit fetzt. Die
innere Verwandtfihaft diefer Schickfals®
wende mit dem Umfchwung in unferein
eigenen Geiftesleben mochte für Dvoräk,
der aus unmittelbar lebendigem Rapport
mit feinem Stoffe fein wiffenffhafiliches
Feuer fihöpffe, den Schlüffel zum Verliänd»
nis liefern,- wie damals bietet ein neues
Verhältnis zum Inhalt, zum Subjekt, zur
Natur der jungen Kunff ein von Grund
aus verändertes Verhältnis, wie damals
fchließen fich Ende und Anfang, Zufammen®
bruch und Neufchöpfung zum geheimnis-
vollen Ringe. Bruegel iff Erbe einer großen
heimifihen Überlieferung, die er durch Über®
nähme des vollen Ertrags der italienifihen
Hochrenaiffance zu dem großartig Neuen
erweitert, das feine Kunff darffellt/ er bringt
dem Norden aus dem Süden nicht einzelne
fertige Formen und Formeln, wie die Bahn®
brecher der zisalpinen Renaiffance, nicht
die dort ausgereiften Probleme, wie die
großen Romaniffen des Manierismus, fon®
dem er befruchtet fich an der von der
italienifihen Kunff errungenen Freiheit zur
Fähigkeit, den höchff komplexen Geiff der
neuen Zeit, die veränderte Einffellung zum
Leben, zur Natur und zu dem, was als
überkommene Kunff nun wie ein in fich
abgefihloffener Komplex im Wege lag, aus®
zufprechen. Zahlreiche Vorläufer und Be-
dingungen feiner Kunff laffen fich zeigen,-
feine Kompofitionen, feine Landffhaft, feine
Stoffe laffen fich weite Wegffrecken zurück»
 
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