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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (März - September)

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Nr. 45
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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Adolfo Venturi: Raffaello-

743

LITERATUR
Adolfo Venturi, Raffaello. A cura
del, comitato nazionale per le onoranze
a Raffaelo nel quarto centenario della
morre — Urbino anno MCMXX. Con
52Tavole Fototipidie e 311 Zincografie.
Das klingt fehr fefilich! Italien rüfiet
zur Feier feines großen Sohnes und das
Nationalkomitee gibt einen Pradhtband
heraus. Aus dem Land der geiftvollen
Sprecher, der klaffifchen Heimat fchöner Buch-
ausltattung, dem Himmelffridi, unter dem
Raffael geboren, wo feelifih noch heute die
Heimat feiner Sprache liegt, durften alfo
wir, die nordifchen Ketzer, eine Würdigung
im Großen erwarten, wie fie bei den Feiern
in Urbino und Rom Corrado Ricci, Cola-
santi und der Bürgermeifier der Geburts-
ftadt gegeben haben, warmherzig, des
Augenblicks und der Größe des Tages
bewußt, gehoben durch das Empfinden,
feine Landsleute zu fein und dadurch,
oblchon Epigonen, zentral gerichtet auf
das Wefentliche diefer großen Erfcheinung,
fo daß Hörer und Lefer feines Geiftes
noch einen Hauch fpüren. Und nun liegt
diefer Band da, den Meifier der tieffinnigen
und monumentalen Kompofition zu feiern,
den Ergründer feelifcher Geheimniffe und
Finder einer neuen Art der Dekoration:
Der Titel in zwei Farben mit einer als
Rötel gedruckten fragwürdigen Federzeich-
nung als Signet,- der zweifpaltig gefetzte
Text wie eine Sammlung von Separat»
abdrucken aus der »Arte«,- kleine und
große Autotypien nach großen und kleinen
Kompofitionen über die Kolumnen wie
Briefmarken hingeftreut, und Initialen mit
Raffaels Farnefina-Figuren, an Buchftaben
geklebt, oder aufs Rad geflochtenen Ver»
brechern gleich durchziehen den Text, als
follte die Ausltattung nicht von allen
Göttern verlaßen fein. Dies R, das Venus
auf ihrem Taubenwagen durchfliegt, muß
man fehen, um zu wißen, was in Büchern
zur Erweckung des Gelchmacks möglich ifi.
Man fiheint noch fiolz auf diefen Reich-
tum zu fein, fo fiolz, wie der Autor auf
die Fülle feiner Hypothefen, Entdeckungen,
Beftimmungen, die er in blendender Dik-
zion vorträgt. Nur macht ihn das nicht
tum Feftbiographen,- denn ein Künfiler,

delfen Werke noch nach vier Jahrhunderten
die Menfchheit nicht bloß in feinem eigenen
Lande zur Feier zwingen, darf verlangen,
Ichon aus diefer ehrfurchtgebietenden Ferne
als ganze Erfcheinung gewertet zu werden.
Kunltgelchichte in Venturis Sinn genügt
dazu nicht. Es ifi kein Biograph, wer es
über fich bringt, die Jubiläumsgabe einer
Nation an ihren Heros in zwei Bücher
zu teilen: a) das Leben, b> die Kunft.
Diefe hinfchleichende chronologifihe »Wür-
digung« der einzelnen Werke, verbrämt
mit kulturgefchichtlichen Einleitungen, un-
terbrochen vom Feuerwerk fragwürdiger
Entdeckungen, durchblitzt von impreflio-
nifiifdien Analyfen des künfilerifchen Vor-
trags, oft vor ganz minderwertigen, der
Epoche Raffaels ganz fremden Stücken,
die der Feftbiograph für feinen Helden
erfi mit ganz perfönlichem Malheur der
Vergeffenheit entreißen mußte — dies mutet
in folch monumentalem Beifpiel wie der
Schwanengefang einer Epoche unferer Wif-
fenlchaft an, die auch in Deutfihland galt.
Gerade für fein fybaritifches Schwelgen in
unüberfehbarem Material hat der Autor bei
uns einen großen Teil feines Ruhmes ge»
noflen, den eine fehr wefentliche Gruppe
feiner eigenen Landsleute ihm verfagen
mußte.
Auf der erfien Seite prangt gleich, dem
faucigenTitelklilchee vergleichbar, das Wort
vom »genio piü classico de' tempi mo»
derni« — und noch auf der letzten Seite
fieht wirklich von Raffael zu lefen: »['ele-
gante Cavaliere«. Auf das Recht des
Biographen, das Bild feines Helden in
neue Form zu gießen, wird hier alfo ver-
zichtet, von feiner Pflicht, aufzudeuten, wie
»geprägte Form lebend fich entwickelt«,
fcheint keine Ahnung aufzudämmern. Sonfi
könnte nicht, was Wendung und Entwick-
lung einer großen Natur ifi, nach fchlech»
tefier kunfigefchichtlicher Manier überall
aus Einflüßen zufammengefiöbert werden.
So wandelt Raffael von der »timida divota
arte dell' Umbria <z. B. Piero della Fran-
cesca) vorbei am »sorriso gentile dell'
arte fiorentina« <z. B. Masaccio, Dona-
tello, Pollajuolo, Buonarrotti) zur »forza
dell' arte ellenica« <z, B. Apollo del Bel-
vedere). Daß er ein dramatifcher Maler
 
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