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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (März - September)

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Nr. 27
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[Notizen / Kunstmarkt]
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Heinrich Doege f

439

NEKROLOGE
Heinrich Doege f
Am 11. März ift Heinrich Doege,
der Kultos am Berliner Kunßgewerbe»
mufeurn und Verwalter der Lipperheidefdien
Kofiümbibliothek im 55. Jahre an Herz»
fchwädhe geftorben. Er hat eine von ihm
unzertrennliche Schweßer kaum einige Tage
zu überleben vermocht. Mit ihm verlieren
feine Freunde das Vorbild einer rein der
Sache dienenden Perfönlichkeit, und die
Wilfenfchafi aus dem gleichen Grund einen
Gelehrten von jener feltenen Gattung, denen
das Streben nach Vollendung der Arbeit um
ihrer felbft willen über jeden Schein und
Eindruck ging und die darum auch als
Spezialilten vielfeitig waren, weil fie vor
ihrem Gewiflen ein Thema nur mit Ver-
ßändnis für alle Nachbargebiete abgrenzen
konnten. Diefer Stille, durch ein fchwaches
Gefleht von rafcher Fühlungnahme mit den
äußeren Dingen zurückgehalten, ließ nicht
ahnen, welche Wärme und Fähigkeit zur
Hingabe in ihm lebte. Man mochte diefen
echten, in der äußeren Erfcheinung eher
wendilchen Märker mit feiner genauen
Sachlichkeit für nüchtern haften, bis man
dann, mit Killer Befchämung und faß ge-
rührt lernte, daß er zu denen gehörte,
deren Zuverläffigkeit fchon wieder an Poefie
grenzt.
»Philologe, nehmts in des Wortes wort»
wörtlichßer Bedeutung — und das ist viel!«
war einmal der Ausfpruch eines feinen
Humanifien. Und in Doege, der fich immer
gern zum alten Weinhold bekannte, lebte
noch die Tradition jener Philologen vom
alten Schlag aus der Zeit der Universitas
litterarum weiter, der nichts Menfchliches
fremd war, auch die Anfchauung nicht,- und
darum waren ihnen auch die Mufen noch
hold. Wer fah, wie er in feinen feinen,
von Nervofität immer etwas zuckenden
Fingern ein Budi faßte, eine der ihm an»
verirauten Koftbarkeiten, deren folitären
Wert er weit und breit oft allein zu
fchätzen und darum oft zu entdecken
wußte, dem ging es auf: in diefern korrekten
Bibliothekar, Arbeiter und Fachmann hörte
das Herz jenes echten Dilettanten nie auf
zu fchlagen, den der alte Gründer unferes
Kupferfiichkabinetts immer bei feinen Be»

amten mit den Worten zu wecken fuchte,
»Kinder, ein bißchen Liebe!«
Wenn Menlchen von diefer Mifchung der
Elemente feiten find und feltener werden,
fo klingt in die Klage um ihn die bange
Frage, wie fein Verluß erfetzbar iß. Leicht
wird mit dem Troß des Lebens über diefe
Sorge nur der hinwegkommen, der nicht
weiß, was Doege für fein befonderes Fach,
die Koßümkunde, getan hat.
Als der originelle Schöpfer unferer in der
Welt einzigartigen Koßümbibliothek feine
Sammlung dem Staat zedierte, enthielt fie
alles, was man damals an Büchern, Zeit»
fihrifien, bildlichen Dokumenten vom An»
beginn der Befchäfiigung mit Trachtenkunde
und Mode erwarten konnte, und das war
in den Jahren von 1870—1890 beträchtlich
viel, befonders wenn hinter den verfügbaren
Mitteln ein Wille zum Ziel, wie der des
Freiherrn von Lipperheide ßand. In diefe
Sammlung nun kam Doeges ordnender
Sinn: er lichtete die Haufen der Einzel»
blätter,- wie in einem riefigen Schleppnetz
war da Gutes und Unkritifches neben»
einander zufammengerafft. Er machte eine
archivalifch zuverläffige Dokumentenfamm»
lung daraus: feine literarifch fundierten
Kenntnilfe halfen ihm dabei — was das
heißen will, kann nur ermefien, wer weiß,
daß man unfere berühmten alten Kofiüm»
gefchichten erfi lefen kann, wenn man alles
Bilder» und Sachmaterial vor dem inneren
Auee hat, und wenn man im Blicke und
im Wilfen die fiilfichere Kritik und Witte-
rung jeden Moment gegenwärtig fühlt, um
fich von den Führern nicht in die Irre leiten
zu lallen. In Doege lebten diefe Inßinkte
des Auges und Verfiandes mit feltener Har-
monie nebeneinander. Es war feine per»
fönlichße Leißung, wie er den Wuß des
Materials in Epochen ordnete und damit
wiffenfchafiliche Tatfachen fchuf,- die für
alle Benutzer Gemeingut wurden, während
er felblt dahinter zurücktrat. Dies im
Dunkeln bleiben liebte er ebenfo, wie es
ihm Bedürfnis war, jede Frage mit einer Zu»
verläffigkeit zu beantworten, die dem Frager
ofi gegen Erwarten und Wunfch ging. Wer
diefen fiillen Arbeiter an feinem Auffiditspult
von rüdcfichtslofen, anmutigen und ober»
flächlichen Fragern aus feiner mühfamen
Konzentration immer wieder aufgefiheucht
 
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