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sprechen, gibt es einen Fortschritt. Aber dieser hat seine Grenzen, führt
nur bis zu einem vollendeten Höhepunkt; Rafael oder Tizian sind von
Rembrandt auch technisch nicht übertroffen worden, sondern der grosse
Niederländer hat einen anderen Höhepunkt erreicht. Man kann den Um-
fang des ästhetisch Erlebbaren in verschiedenen Zeiten vergleichen und da
möglicherweise auch von Fortschritt reden, aber das ist dann . etwas ganz
anderes, als wenn man behauptete, ein bedeutendes Kunstwerk könne als
Solches übertroffen werden«. (J. Cohn Allgemeine Ästhetik, S. 27 f.).
Man wird daher mit dem Begriffe der Entwicklung im Sinne einer
allgemeinen ästhetischen Vervollkommnung weit sparsamer verfahren
müssen, als es in der modernen kunstgeschichtlichen Literatur ge-
schieht. Inwieweit er überhaupt zulässig ist, sei dahingestellt; jeden-
falls empfiehlt es sich, in jedem einzelnen Falle festzustellen, ob man
sich mit ihm nicht etwa an die klassizistische von Rumohr und Hettner be-
kämpfte Schönheitslehre oder die Vorstellung von den ästhetisch privile-
girten Stilen anlehnt. Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, dass
es Entwicklungen in beschränktem Sinne gibt; wesentlich erscheint mir
hier nur wieder, dass man sich über den Träger, den Gegenstand und das Ziel
derselben sowie ihr Verhältnis zu den ästhetischen Werten klar ist. Streicht
man diesen Begriff allgemeiner ästhetischer Entwicklung, so fällt die Nöti-
gung fort, der spekulativen Ästhetik oder gar der jeweils modernen Kunst-
politik »Gesetze« zu entleihen, die nichts enthalten als den Wunsch, be-
stimmte Richtungen der gegenwärtig herrschenden Kunst oder Kultur zu
fördern bezw. zu bekämpfen. So nützlich und unterstützungswert auch
solche Bsstrebungen an sich sein mögen, mit den wissenschaftlichen Zielen
der Kunstgeschichte haben sie nichts zu tun.
Diese Bemerkungen über das Verhältnis zur Kunstgeschichte und Äs-
thetik, die den Gegenstand in keiner Weise erschöpfen, mögen zur Andeutung
eines Standpunktes genügen, dessen ausführliche Begründung gerade der
Historiker in dem auch für ihn lehrreichen Buche Spitzers vermissen wird.
Wien. Wolfgang Kailab.
Le Galerie Nazionali Italiane, nötizie e document!. Volume V.
Roma, per cura del ministero della publica istruzione, 1902. Lol. VI
e 392 P.
Das reich mit Abbildungen geschmückte Jahrbuch der italienischen
Galerien gibt äusser den Berichten über Ausgestaltung und Vermehrung der
Sammlungen »Erläuterungen von Monumenten, die gleichfalls zum Schmucke
unseres Landes dienen«, wie der verdienstvolle Herausgeber Adolfo Ven-
turi in dem kurzen Vorworte sagt, d. h. Studien über alte Fresken, die
in jüngster Zeit bei Renovirungsarbeiten zu Tage kamen, oder bei einer
solchen Gelegenheit sorgfältiger studirt werden konnten. Damit will ich
diese Besprechung beginnen, denn das sind die wichtigsten Beiträge. Gli
affreschi-di Pietro Cavallini betitelt sich eine Arbeit von Federico
Herman in, die das jüngste Gericht behandelt, das bei den grossen Her-
stellungsarbeiten von Santa Cecilia in Rom an der Innenseite der Kirchen-
sprechen, gibt es einen Fortschritt. Aber dieser hat seine Grenzen, führt
nur bis zu einem vollendeten Höhepunkt; Rafael oder Tizian sind von
Rembrandt auch technisch nicht übertroffen worden, sondern der grosse
Niederländer hat einen anderen Höhepunkt erreicht. Man kann den Um-
fang des ästhetisch Erlebbaren in verschiedenen Zeiten vergleichen und da
möglicherweise auch von Fortschritt reden, aber das ist dann . etwas ganz
anderes, als wenn man behauptete, ein bedeutendes Kunstwerk könne als
Solches übertroffen werden«. (J. Cohn Allgemeine Ästhetik, S. 27 f.).
Man wird daher mit dem Begriffe der Entwicklung im Sinne einer
allgemeinen ästhetischen Vervollkommnung weit sparsamer verfahren
müssen, als es in der modernen kunstgeschichtlichen Literatur ge-
schieht. Inwieweit er überhaupt zulässig ist, sei dahingestellt; jeden-
falls empfiehlt es sich, in jedem einzelnen Falle festzustellen, ob man
sich mit ihm nicht etwa an die klassizistische von Rumohr und Hettner be-
kämpfte Schönheitslehre oder die Vorstellung von den ästhetisch privile-
girten Stilen anlehnt. Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, dass
es Entwicklungen in beschränktem Sinne gibt; wesentlich erscheint mir
hier nur wieder, dass man sich über den Träger, den Gegenstand und das Ziel
derselben sowie ihr Verhältnis zu den ästhetischen Werten klar ist. Streicht
man diesen Begriff allgemeiner ästhetischer Entwicklung, so fällt die Nöti-
gung fort, der spekulativen Ästhetik oder gar der jeweils modernen Kunst-
politik »Gesetze« zu entleihen, die nichts enthalten als den Wunsch, be-
stimmte Richtungen der gegenwärtig herrschenden Kunst oder Kultur zu
fördern bezw. zu bekämpfen. So nützlich und unterstützungswert auch
solche Bsstrebungen an sich sein mögen, mit den wissenschaftlichen Zielen
der Kunstgeschichte haben sie nichts zu tun.
Diese Bemerkungen über das Verhältnis zur Kunstgeschichte und Äs-
thetik, die den Gegenstand in keiner Weise erschöpfen, mögen zur Andeutung
eines Standpunktes genügen, dessen ausführliche Begründung gerade der
Historiker in dem auch für ihn lehrreichen Buche Spitzers vermissen wird.
Wien. Wolfgang Kailab.
Le Galerie Nazionali Italiane, nötizie e document!. Volume V.
Roma, per cura del ministero della publica istruzione, 1902. Lol. VI
e 392 P.
Das reich mit Abbildungen geschmückte Jahrbuch der italienischen
Galerien gibt äusser den Berichten über Ausgestaltung und Vermehrung der
Sammlungen »Erläuterungen von Monumenten, die gleichfalls zum Schmucke
unseres Landes dienen«, wie der verdienstvolle Herausgeber Adolfo Ven-
turi in dem kurzen Vorworte sagt, d. h. Studien über alte Fresken, die
in jüngster Zeit bei Renovirungsarbeiten zu Tage kamen, oder bei einer
solchen Gelegenheit sorgfältiger studirt werden konnten. Damit will ich
diese Besprechung beginnen, denn das sind die wichtigsten Beiträge. Gli
affreschi-di Pietro Cavallini betitelt sich eine Arbeit von Federico
Herman in, die das jüngste Gericht behandelt, das bei den grossen Her-
stellungsarbeiten von Santa Cecilia in Rom an der Innenseite der Kirchen-