Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

DOI Artikel:
Osterrieth, Albert: Das Werk der angewandten Kunst als Gegenstand des Urheberrechts
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0150
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DAS WERK DER ANGEWANDTEN KUNST ALS GEGENSTAND DES URHEBERRECHTS 127

FAUTEUIL LOUIS' XV.

Rücken nicht pressen, aber auch nicht vor ihm fliehen.
Alle diese und manche anderen Momente, — die in
unserer Möbelarchitektur nur zu häufig außer acht
gelassen werden — werden durch den Gebrauchs-
zweck bedingt. Hierzu kommt nun das rein Konstruk-
tive. Der Stuhl soll so kräftig sein, daß er das Ge-
fühl ruhiger Sicherheit verleiht. Er braucht aber kein
schweres Gerüst zu sein, denn er hat ja nur das Ge-
wicht des menschlichen Körpers zu tragen. Das Ge-
wicht des Stuhles wird davon abhängen, ob er für
ein Bärgerhaus.bestimmt ist, in dem der Gast selbst
seinen Stuhl rückt; dann darf er nicht zu schwer sein.
— In einem Prunkhause, wo die Stühle nie verrückt
werden, und der Diener hinter dem Gast den Stuhl
vorschiebt oder zurückzieht, darf er erheblich schwerer
sein. Das Gewicht des Stuhles bedingt ferner wieder
das Material, die Stärke der Stützen, der Zargen, die
Schwere der Polsterung usw.

Alles dies sind technische Momente, die zunächst
mit der Kunst nichts zu tun haben. Was bleibt also
für den Möbelkünstler, der vor die Aufgabe gestellt
wird, einen Eßstuhl zu entwerfen, übrig? Nehmen
wir an, alle technischen Punkte, die ich soeben ent-
wickelt habe, werden ihm vorgeschrieben als ein
fertiges Schema. Was wird nun der Künstler tun,
dem Gebrauchszweck und Konstruktion vorgeschrieben

sind? — Wenn er genügende Produktionskraft besitzt,
um nicht auf das Kopieren einer alten Vorlage an-
gewiesen zu sein, wird er die Aufgabe selbständig
lösen. Seine künstlerische Schulung, sein Stilgefühl,
sein technisches Verständnis und last not least sein
Geschmack werden ihn leiten — unbewußt leiten —
einen Stuhl zu entwerfen, der in allem der gestellten
Aufgabe entspricht, zugleich aber auch ein indivi-
duelles Aussehen erhält.

Durch die Wahl des Materials, durch die Auswahl
und Anordnung äquivalenter Konstruktionsformen,
durch die Verhältnisse der einzelnen Teile zueinander,
die Stärke der Glieder, wie der Füße, der Zargen, des
Rahmens und der Füllung der Rücklehne, durch die
Art der Verbindung der einzelnen Teile, durch die
Linienführung und Schweifungen, durch das Material
und die Farbe des Bezuges, durch alles dies wird
ein eigenartiges Ganzes geschaffen, das wie jedes
Kunstwerk durch die Eigenart des Künstlers bedingt ist.

In dem Landhause eines Kunsthistorikers, der eine der
kostbarsten Privatsammlungen ostasiatischer Kunst be-
sitzt, sah ich vor einigen Jahren eine Zimmereinrichtung,
einenTisch und einige Stühle, diebeiabsoluter Einfachheit,
in geraden Linien — ohne eine Spur von Ornament,
ohne Zierstück, ohne Schweifung — durch die wunder-
vollen Maße und Verhältnisse frappierten. Es lag im

'9*
 
Annotationen