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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Osterrieth, Albert: Das Werk der angewandten Kunst als Gegenstand des Urheberrechts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0151

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128 DAS WERK DER ANGEWANDTEN KUNST ALS GEGENSTAND DES URHEBERRECHTS

CHIPPENDALE CHAIR

einfachsten Stuhl ein Linienrhythmus von solcher
Reinheit, daß man den Eindruck hatte, ein erlesenes
Kunstwerk vor sich zu haben. Das Rätsel löste sich.
Die Entwürfe stammten von dem bekannten japanischen
Kunsthändler Hayashi in Paris, der unserem Wirt,
seinem guten Kunden, aus Freundschaft die Skizzen
zu einigen Möbelstücken gefertigt hatte. Aus den
einfachen Stühlen im Landhause am stillen Schwarz-
waldsee sprach das verfeinerte Stilgefühl eines Erben
einer uralten, durch die Jahrhunderte fortgepflanzten
Kunsttradition.

Ich habe bisher absichtlich nur von der künst-
lerischen Gestaltung der einfachen Qebrauchsform ge-
sprochen. Welch ein reiches Feld bietet sich nun
noch, wenn ein besonderer Dekor dazutritt, Holz-
schnitzerei — ich erinnere an die Stühle der Florentiner
Renaissance, die Sgambelli — gepreßtes Leder, Intarsien
von Holz und kostbarem Material; bearbeitetes Metall,
Malerei — ich erinnere an die Stühle von Sheraton —
usw. Welche künstlerische Bedeutsamkeit einem Sitz-
gerät gegeben werden kann, ist vielleicht am besten
an dem Kunstwerk zu sehen, das Leipzig zu einem
Wallfahrtsort moderner Kunstgeinacht hat, dem Beethoven
KUngers. Der Sessel, auf dem der Heros sitzt,
enthält er nicht schon allein das künstlerische
Glaubensbekenntnis des Meisters? Ist er nicht ge-
dacht als Sitz einesJ der antiken Götter, etwa wie
der Sessel des chryselephantinen Zeus des Phydias,
ein Gerät, würdig eines der größten Geister aller
Zeiten, dessen Apotheose das ganze Werk darstellt?
Zugleich eine Synthese des kostbarsten Materials,
ebenfalls im Geist des Phydias gedacht, und bereichert
durch die Symbolik der christlichen Kultur, die den
Geist der Antike überwunden hat, dem die sich selbst
opfernde Liebe fehlt.

Ein solches Werk liefert uns den unanfechtbaren
Beweis, daß die Offenbarung einer künstlerischen Per-
sönlichkeit die gleiche Ist, ob der Gegenstand, in dem
sie sich verkörpert, an sich einem Gebrauchszweck
dient oder nicht. — Der Sessel Beethovens — von
der Statue sehe ich jetzt ab — und die Totenlnsel
Böckllns stehen sich sowohl in der Ästhetik als auch
im Recht gleich. Was aber vom Höchsten gilt, gilt
auch vom Bescheidenen. Und wenn unser Gesetz
die Neuruppiner Bilderbogen ebensowohl als Werk
der bildenden Künste schützt, wie die Toteninsel
Böcklins, dann steht auch das bescheidene Werk an-
gewandter Kunst, ein einfacher Stuhl, grundsätzlich
dem Sessel Beethovens gleich, vorausgesetzt, daß er
überhaupt individuelle Züge an sich trägt. — Der
Gradunterschied künstlerischer Gestaltungskraft ist für
das Recht ohne Bedeutung.

Der Unterschied zwischen dem Werk angewandter
Kunst und dem Werk der reinen Kunst ist nur neben-
sächlicher, zufälliger Art. Er liegt darin, daß das
Substrat des Werkes der angewandten Kunst, der
Gegenstand, in dem sich die künstlerische Schöpfung
verkörpert, einem Gebrauchszweck dient. Der künst-
lerische Charakter der individuellen Schöpfung wird
aber dadurch kein anderer. — Wenn man davon aus-
geht, daß das Werk der angewandten Kunst einen
Gebrauchsgegenstand darstellt, also ein gewerbliches
Erzeugnis, dann erzeugt die darauf verwandte künst-
lerische Arbeit einen Zuschuß, der den Gebrauchs-
gegenstand zum Träger eines Kunstwerkes macht.

Geschützt ist nun selbstverständlich nur dieser
Zuschuß, oder mit anderen Worten die künstlerische
Schöpfung ohne Rücksicht auf Ihre Gebrauchsfunktion
und ihre konstruktiven, technischen Elemente.

Suchen wir uns nun den Schaffensakt zu ver-

HEPPELWHITE CHAIR
 
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