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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Seyffert, Oskar: Die Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0261

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228 BEMERKUNGEN ZUR 3. DEUTSCHEN KUNSTGEWERBEAUSSTELLUNG DRESDEN 1906

DIE VOLKSKUNST

Von O. Seyffert

ES war keine leichte Aufgabe, in einer modernen
Ausstellung, wie sie die dritte deutsche Kunst-
gewerbeausstellung Dresden igoö ist, eine Ab-
teilung für Volkskunst zu errichten. Sollte doch die
Kunstgewerbeausstellung zeigen, wohin wir gehen,
nicht woher wir kommen. Neue Ziele, die eine neue
Zeit uns gegeben, waren gesteckt. Keine Zeit hat
nun wohl so viele Neuerscheinungen zu verzeichnen
gehabt wie die unsrige, keine Zeit hat in so kurzer
Frist so viel Werte umgewertet wie die unsrige. Der
freie und frische Geist, der mit dem äußerlichen Nach-
ahmen der alten Stile aufräumte, der an die Stelle
der Vergangenheit eine Gegenwart setzte, ja, der es
wagte, an eine Zukunft zu denken, dieser lebensfrohe
Geist fand hier in Dresden eine Heimat. Und neben
den neuen Erscheinungen, neben den besten neuzeit-
lichen Schöpfungen wurde die Abteilung »Techniken«
errichtet, die sich als Programm die Worte Stoff und
Form gewählt hatte. Hier wurde gezeigt, wie die
Form den Eigenschaften des Stoffes angepaßt sein
muß, wenn sie zum Kunstwerk emporwachsen soll.
Die Gegenstände der Abteilung waren die muster-
gültigen Erzeugnisse der Vergangenheit vom roma-
nischen Stil bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.
Aber auch Asien, China und Japan, hatte sich be-
teiligt. Es war ein strenger Maßstab für die Kunst
unserer Tage errichtet, der außerhalb ihrer selbst lag.

In der Abteilung Volkskunst sollten in der Haupt-
sache nur die Kunstäußerungen des Volkes in Betracht
kommen und nicht die Werke, die von Künstlern für
das Volk geschaffen worden sind, also zumal das,
was von unten nach oben dringt, und nicht dasjenige,
das den umgekehrten Weg nimmt.

Die Volkskunst hatte zweifache gefährliche Nach-
barschaft.

Auf der einen Seite waren es die alten Erzeug-
nisse der Kunst und des Kunstgewerbes aus reichem
oder sogar höfischem Besitz, die, von sachkundiger
Hand zusammengestellt, zum Turnier einluden. Auf
der anderen Seite hatten sich die namhaftesten deut-
schen Raumkünstler vereinigt, um ein Zeugnis der
starken, modernen Bewegung zu geben. Als mäch-
tiger Bundesgenosse dieser Abteilung trat die Kunst-
industrie auf. Die verschiedenartigen Melodien der
Maschinen waren neue Töne auf diesem Gebiete, sie
leiteten mit ihrem Surren und Brausen eine Zukunfts-
musik ein.

Da war wohl die Frage berechtigt: wird die schlichte
Volkskunst in solch stolzer Nachbarschaft gedeihen
können, wird sie wirklich bei dem Vergleich sich so
stark erweisen, daß sie bestehen kann, sind ihre Er-
zeugnisse so innerlich künstlerisch, daß sie, wie alle
echten Kunstwerke, sich jung erhalten? Denn nur
die inneren Werte bleiben bestehen.

Diese Fragen kann man freudig zugunsten der

Volkskunst beantworten. Sie hat die Probe glänzend
bestanden.

Die Künstler der verschiedensten Richtungen
haben sich in der Volkskunst gefunden. Und dies
ist leicht erklärlich. Uns wird trotz allen Gewächs-
häusern, in denen stolze Palmen und strahlende Blumen
erzogen werden, trotz der Schönheit der Rosen, die
unsere wohlgeflegten Gärten schmücken, immer und
immer wieder auch das einfache Heidenröslein, das
sich wild um die Steine am Wege rankt, gefallen,
und selbst der verwöhnteste Mensch wird sich an den
Wiesenblumen, die bunt aus dem Grase grüßen, stets
von neuem erbauen. Ja, an der Freude, die er an
diesen einfachen Kindern der Natur empfindet, wird
man ihn künstlerisch einschätzen können. Wir werden
nie die Freude und die Erbauung an dem Liede ver-
lieren, das die Mutter ihrem Kinde und das der
wanderfrohe Bursche singt, wenn er durch Wald und
Feld zieht, und wir werden immer und immer wieder
den fröhlichen Kinderstimmen zuhören und uns an
den Kinderspielen ergötzen, wir werden den Sagen
und Märchen lauschen, nicht nur weil sie uns an die
eigene Kindheit mahnen, sondern weil in ihnen die
Kindheit des Menschengeschlechtes schlummert, weil
sie uns uralte und ewig junge Geheimnisse zuraunen.

Und mit der Volkskunst wird es uns ähnlich
gehen.

Wir finden hier echte künstlerische Gefühlswerte.
Freilich treffen wir auf keine aufdringlichen Kunst-
äußerungen. Das Volk sieht Natur und Leben weniger
mit dem Verstände, sondern weit mehr mit dem Ge-
müte an. Sein Schaffen ist daher im allgemeinen
mehr ein instinktives als ein berechnendes. Zu dieser
Eigenschaft kommt noch seine Erfahrung und sein
praktischer Sinn, sein Mutterwitz. Seine Arbeiten
gründen sich auf erfahrungsmäßiger Übung und stehen
damit zuweilen im Gegensatz zu unserem heutigen
Schaffen, denn in unserer Zeit ist die Theorie oft
eher als die Tat vorhanden. Mit geringer Abänderung
kann man die Worte auch auf die Volkskunst an-
wenden, die Riehl in seinen Kulturstudien auf das
Volkslied gebraucht: »Die Volkskunst ist gesund.
Was heißt hier gesund? Man sagt wohl, was wahr
und echt ist. Aber was ist wahr und echt? Eine
Kunst, die nichts anderes ausspricht, als was eine
Volksgruppe fühlt, begreift und auszusprechen sich
berufen und gedrungen fühlt, solch eine Kunst ist
allemal auch eine gesunde, wahre Volkskunst«. Wir
haben es mit einer gesunden Kunst zu tun, mit einer
Kunst, die aus der Tiefe schöpft. Und selbst da, wo
sie sich anlehnt, wo sie städtische oder sagen wir
besser stilistische Motive verwendet, da werden wir
finden, wie frei und selbständig das Volk das Ent-
lehnte verarbeitet, wie es dasselbe, oft unbekümmert
um Zeiterscheinungen, für seine Bedürfnisse und An-
schauungen umzugestalten weiß. Je unbeeinflußter das
 
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