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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0044
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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

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Julius Diez, ausgeführt von Frau Schmidt-Pecht in Konstanz

man im Schlosse von Hohenschwangau findet. Wir hatten
allerdings auf der Weltausstellung im Jahre 1900 einige
Versuche konstatiert, diese alte Tradition zu unterbrechen,
aber wir schrieben sie dem damals überall in Europa
bemerkbaren Versuche einer Renaissance des Kunstgewerbes
zu, der inzwischen bei uns in Frankreich längst wieder
aufgegeben ist und den wir auch in Deutschland aufge-
geben glaubten. o
o Also war unser Erstaunen und unsere Verblüffung
ungeheuer, als wir die riesigen Fortschritte bemerkten, die
München in den letzten zehn Jahren gemacht hat. □
o Wir wollen weder Optimisten noch Pessimisten sein,
und ehe wir fortfahren, wollen wir einige Vorbehalte
machen, die das jedem Franzosen schmerzliche Staunen
über die deutschen Erfolge mildern können. o
□ Ohne Zweifel steht Frankreich immer noch an der
Spitze in Kunst und gutem Geschmack, und es zeigt sich
noch kein Symptom, daß wir diese guten Qualitäten ver-
lieren sollten. Das Ensemble der Münchener Arbeiten ist
immer noch schwerfällig, man findet noch nicht jene leichte
Eleganz welche unser Louis seize auszeichnet und man
bemerkt' hie und da auffallende Geschmacksfehler. o
o Die bildende Kunst hat in den letzten zehn Jahren
so gut wie gar keine Fortschritte gemacht, ganz im Gegen-
teil könnte man an einen Rückgang glauben. Wahr-
scheinlich haben sich viele bildende Künstler in München
von der sogenannten höheren Kunst abgewendet, um dir
künstlerisches Können im Kunsthandwerk zu verwerten
und dadurch der heimischen Industrie zu nutzen.
g Beim Betreten der Ausstellung wird man sofort durch
das überaus geschmackvolle Arrangement und die Art, die
Kunstwerke zu präsentieren, entzückt: in Frankreich wissen
wir nichts von einer solchen Einrichtung.« °
o Carabin schildert dann die Münchener Ausstellung
eingehend und wundert sich über die geschmackvolle Ein-
fachheit der einzelnen Gegenstände wie über die geschickte
Zusammenstellung der Räume. Er fährt wörtlich fort: o
d »Alle diese Beobachtungen haben unser Erstaunen
über diese Fortschritte der Münchener erhöht, aber das
Staunen wurde zur Verblüffung, als wir die ausgestellten
Arbeiten der Münchener Kunstgewerbeschulen sahen.
Selbstverständlich hat man hier eine strenge Auswahl ge-
troffen, aber die große Anzahl der ausgestellten Gegen-

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stände bewies uns, daß der Durchschnitt der Leistungen
außerordentlich hoch steht. Die ausgestellten Arbeiten in
kostbarem Material, in Eisen, Messing, Zinn, Glas, Leder,
Wanddekoration usw. könnten mit Ehren in unseren jähr-
lichen Salons gezeigt werden. Und das waren Arbeiten
der Schüler der Kunstgewerbeschule! Was aber die Arbeiten
der Schüler der höheren Kunstgewerbeschule anlangt, so
könnten sie sehr wohl in den Museen gezeigt werden. □
o Der Vergleich dieser Arbeiten mit den Erzeugnissen
unserer Kunstgewerbeschulen ist niederschmetternd, und
unsere Tätigkeit am Musee Galliera, worin das moderne
Pariser Kunsthandwerk gezeigt wird, setzt uns sehr wohl
instand, einen solchen Vergleich zu machen. Und vor
diesen Schülerarbeiten haben wir die Ursache des unge-
heuren Aufschwunges des Münchener Kunstgewerbes be-
griffen.« o
a Der Berichterstatter geht dann sehr ausführlich auf die
Art des kunstgewerblichen Unterrichtes in München ein
und vergleicht die Lehrmethode mit der in Frankreich
üblichen. Ganz besonders unterstreicht er, daß die jungen
Kunstgewerbler in München nach der Natur arbeiten, nach
Pflanzen und Tieren, während man sie in Frankreich fast
ausschließlich nach Gipsmodellen und Mustern alter Stile
arbeiten läßt. Endlich schließt der Bericht: o
o »Aus unseren Ausführungen kann ein jeder die Schlüsse
ziehen, die sich dem Beobachter aufdrängen. Was uns an-
langt, so wollen wir ohne Optimismus wie ohne Pessi-
mismus gerade heraus sagen, wie für uns die Sache liegt.
Das industrielle Sedan, das wir seit Jahren herankommen
sahen, ist jetzt da, und ihm schließt sich das kunstgewerb-
liche Sedan an als eine vollzogene Tatsache, deren wir
uns nicht mehr erwehren können. Aller unserer An-
strengungen und Opfer ungeachtet werden wir niemals
den Vorsprung einholen können, den München im Kunst-
gewerbe vor uns errungen hat. Erst in fünf oder sechs
Jahren, wenn diese ganze Armee von kunstgewerblichen
Schülern ihre Tätigkeit in der Industrie ausübt, werden wir
den ganzen Umfang unserer Niederlage ermessen können.
Die heutige junge Generation müssen wir als vollständig
hingeopfert ansehen, denn sie ist nicht im geringsten
fähig, mit ihren Altersgenossen in München zu konkurrieren.
Alles was wir tun können, ist, die kommende Generation
besser auf den Wettkampf mit den deutschen Kunsthand-

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