Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

DOI Artikel:
Möglichkeiten der kirchlichen und christlichen Kunst, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0206
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MÖGLICHKEITEN DER KIRCHLICHEN UND CHRISTLICHEN KUNST

199

Entwurf von M. Kutschmann-Berlin; Ausfährung der Posamenten durch Hensel & Schumann-Berlin; Ausführung der geknüpften Altardecke durch

Frau Emilie Engel-Berlin. Auf dem Altar: zwei messingne Altarleuchter, entworfen von Ernst Petersen-Berliu, ausgeführt durch Oödke & Behncke-

Berlin ; Bibel, ausgestattet von Ludwig Sütterlin-Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.

keit an, daß eine neue Zeit religiösen Kults erstellen
möchte. Es sind also die Gelüste nach Wiederbefestigung
ihrer Herrschaft, welche die Kirche dazu treiben, sich die
Künste wieder dienstbar zu machen, wie in früheren Zeiten.
Deshalb wird von einer Kunstpflege im Sinne: »Part pour
Part« dabei nicht die Rede sein, denn die Künste sollen
einen Zweck erfüllen, einer Tendenz sich unterordnen: das
Kunstwerk in der Kirche hat die von seelischen Hemmungen
befreiten Gefühle der Beschauer in sich aufzufangen, mit
seiner gegenständlichen Darstellung zu verquicken und die
so unbewußt »geläuterten« Empfindungen der Stärkung
des Glaubens zuzuführen. Solche Helfer des Glaubens waren
die Künste in den früheren Jahrhunderten. Weshalb die
Kirche seit ungefähr hundert Jahren beinahe ganz auf ihre
Dienste verzichtet hat oder verzichten mußte, davon gibt
die »Ausstellung für christliche Kunst in Düsseldorf« eine
deutliche Vorstellung, deren Wirkung sich weder die kirch-
lichen Kreise und die Künstler, noch die aufmerksamen
Beschauer werden entziehen können. Daß dieser histo-
rische Gedanke von der Vergangenheit bis in die Gegen-
wart durchgeführt und so klar zum Ausdruck gebracht
wurde, daß jeder merkt, wie sehr hier alles zur Ent-
scheidung drängt, ist eine tüchtige Tat des Ausstellungs-
leiters Prof. Dr. H. Board und seiner Helfer, die warme
Anerkennung verdient. D

□ /. Die Vergangenheit. Wie es möglich wurde, daß
die Kirche ihre uralte Tradition der Kunstpflege aufgab,
das zeigt ein Blick auf die politische und kulturelle Ent-
wicklung seit dem Ende des Mittelalters. Schon in Dantes
und Brunos Werken kündete sich die neue Zeit und mit

ihr eine Veränderung des religiösen Gefühls, die der un-
bedingten Herrschaft der Kirche Gefahr drohte. Die Fesseln
des Kirchenglaubens begannen sich zu lösen. In den
Künsten, besonders in der Architektur, griff man auf die
Antike zurück, doch verstanden es die Päpste, sich der Be-
wegung anzuschließen und eine neue Blüte auch der
Kirchenkunst herbeizuführen. Man kann die Beobachtung
machen, daß, solange die Kirche, das »Dach« der Menschen,
unbeschränkt herrschte, auch die Architektur die Führung
der Künste inne hatte. Beider Blüte und beider Verfall treffen
ganz genau in dieselbe Zeit zusammen und haben zweifel-
los dieselben Ursachen: nämlich die Befreiung des Indivi-
duums, die Abneigung gegen jede Art von Zwang. Als
Luther den Kampf gegen Rom führte, als die Entdeckung
Amerikas und andere Ereignisse den Menschen größere
Gesichtspunkte brachten, begann die Kirchenherrschaft zu
wanken; gleichzeitig verlor auch der strenge, architektonische
Gedanke der Renaissance seine straffe Geltung. Und als
die Reformationskriege der römischen Kirche die ent-
scheidenden Niederlagen zufügten, da durchbrach die der
Bevormundung entledigte Menschheit alle gesellschaftlichen,
geistigen und künstlerischen Grenzen. Mit der absoluten
Herrschaft der Kirche und der Architektur war es end-
gültig vorbei. a
a Wenn man sich diesen Gang der Ereignisse im Ge-
dächtnis hält, so besitzt man den Faden durch die christ-
liche Kunstausstellung, die mit der Zeit des Zusammen-
bruchs der katholischen Kirche in den deutschen Landen
beginnt. Äußerlich ließ sich die Kirche nichts merken, im
Gegenteil, sie steigerte die weltlichen Sitten jener Zeit, die

30*
 
Annotationen