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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Möglichkeiten der kirchlichen und christlichen Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0207
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MÖGLICHKEITEN DER KIRCHLICHEN UND CHRISTLICHEN KUNST

auf eine Übertreibung des äußerlichen Aufwandes hin-
zielten, ins Grandiose, indem sie einen Pomp entfaltete,
der ihr durch den Schein die innere Geltung ersetzen sollte.
Und die Künstler des Barock suchten die titanische Kraft
Michelangelos nachzuahmen, endeten aber im theatralischen
Pathos der Bernini, Caravaggio, Tiepolo und anderer. (Mit
Peinbrandt, der freilich seiner Zeit weit vorausgeeilt war,
kam erst das geistige Licht der Reformation zum Durch-
bruch.) Im Zeitalter des Rokoko war die zügellose Per-
sönlichkeit vollends verpufft und der Karneval der kirch-
lichen Weltherrschaft klaglich zu Ende — wie ein grauen-
hafter Aschermittwoch brach die französische Revolution
über beide herein. □

□ Das kirchliche Kunstgewerbe hatte alle diese Phasen
der Entwicklung In gleicher Weise mitgemacht. In der
Renaissance stand es in hoher Blüte; die Kunsthandwerker
arbeiteten, soweit sie nicht selbst schöpferisch waren, nach
Entwürfen der größten Künstler, zumeist der Architekten.
Ihre Werke atmeten den reinsten, strengsten architekto-
nischen Geist der Zeit. Es waren hervorragende Tech-
niker, die jede Schwierigkeit der ihnen gestellten Aufgabe
spielend überwanden und die ihr großes Können willig
dem Gedanken des Kunstwerkes einordneten. Erst als die
Zügellosigkeit der Architekten diese um ihre Herrschaft
über die anderen Künste brachte, trat das Kunsthandwerk
allmählich aus dein Rahmen der Architektur heraus und
stellte sich auf eigene Füße. Zuerst schien alles gut zu
gehen, denn die Handwerker hatten noch soviel architek-
tonisches Gefühl im Leibe, dal! sie ganz ordentliche Ent-
würfe zuwege brachten, und ihre Technik erzeugte Blüten
von höchster Vollendung. Bald aber geriet die architek-
tonische Gliederung der Kunstwerke in Verfall; der Auf-
bau der Gegenstände wurde unlogisch und planlos — die
Technik blieb endlich Selbstzweck. Die Kelche, die Mon-
stranzen, die Rellquiarien wurden immer überladener mit
technischen Kunststücken und symbolischen Spielereien und
die Kirche übersäete alles mit echten und unechten Edel-
steinen. Man hatfVden sittlichen Hak verloren und wußte
nicht mehr, was tun, um die Sinne der weltlich-seichten
Kirchenbesucher zu fesseln. — Und wie der ganze Kirchen-
apparat nur noch äußerlich gleißte und glänzte, so sanken
auch die einst so würdigen und feierlichen Kirchengeräte
zum unverhohlenen -Bluff« herab, der aber schließlich nicht
einmal mehr die einfältigsten Gemüter zu blenden vermochte,
o Der erste grolle Wellenschlag der neuen Zeit, der mit
der Renaissance begonnen hatte, endete mit dem 18. Jahr-
hundert. (Allerdings sind noch einige konzentrische Ring-
wellen im 19. Jahrhundert zu bemerken, so z. B. die Auf-
hebung der weltlichen Macht der Kirche, die Trennung der
Kirche vom Staate in Frankreich und die Einziehung der
Kirchengüter usw.) Die kraftgeniale Bewegung des Barock,
die kräuselnden Wässerchen des Rokoko wurden von der
zweiten großen Sturzwelle der Neuzeit, der großen franzö-
sischen Revolution verschlungen. Wohl versuchte die
kirchliche Kunst noch einmal, sich aufzuraffen in der
romantisch-mittelalterlichen Bewegung der Nazarener, die

der theatralisch-pathetischen Mimik der überbarocken Nach-
folger I iepolos eine ruhigere Linienführung und Farben-
gebung entgegenzusetzen bestrebt war, doch bald in leerem
italienischen Formalismus versandete. Ein Versuch, die
Kirchenkunst in die Klöster zu retten, schlug auch fehl.
Die Beuroner Benediktiner haben sich wohl etwas vom
byzantinischen Stile angeeignet und mit orientalischem
Einschlag versehen, doch ist es ihnen nicht gelungen, ihre
Werke geistig zu durchdringen, die deshalb durch ihre

seelische Inhaltslosigkeit wie peinliche Karikaturen der
großen altchristlichen Mystik wirken. — Dies ist in groben
Zügen das Bild von der kirchlichen Kunstpflege, das man
aus der retrospektiven Abteilung der Düsseldorfer Aus-
stellung gewinnt. Selbstverständlich ist, daß in der langen
Zeit des Niederganges trotzdem Werke von großer Schön-
heit geschaffen wurden, von denen hier viele zu sehen
sind; im allgemeinen wird aber der Entwicklungsgang in
der vorstehenden Schilderung wohl richtig angedeutet
worden sein. a

a Nach Erfüllung jeder großen Stilepoche verwandelten
sich die in ihr liegenden Summen geistiger Substanzen ohne
Verlust in eine andere entgegengesetzte Energie. Die
Zeiten scheinbaren Niederganges sind der Aufspeicherung
und latenten Umwandlung gewidmet, bis schließlich die
neue Form, meist explosionsartig, mit gewaltiger Stoßkraft
in Erscheinung tritt; zunächst auf rein geistigem oder reli-
giösem Gebiete, worauf dann früher oder später auch die
künstlerischen Ausdrucksmittel gefunden werden. In den
Zeiten des Verfalls des römischen Reichs bildeten sich die
christlichen Energien, die in der Aufrichtung der päpst-
lichen Herrschaft ihren weltgeschichtlichen, in der Über-
windung des heidnisch-romanischen durch den gotischen
Stil ihren künstlerischen Ausdruck erhielten. Diese Be-
wegung hatte einen zur überweltlichen Sehnsucht zu-
sammenfassenden Charakter; die nächste, die Renaissance«,
eine auflösende, dem Irdischen wieder zuführende Tendenz.
Die gotische Zeit war unpersönlich und deshalb zur Kirchen-
herrschaft, die aus dem weltlichen Irrsaal herausführen
wollte, geeignet; die Renaissance führte aus der kirchlichen
Bevormundung heraus zur Befreiung der Persönlichkeit des
Individuums. Es ist selbstverständlich, daß der Übergang,
besonders in der künstlerischen Entwicklung, niemals so un-
vermittelt vor sich geht, daß nicht die Künstler in ihre
neuen Formen noch den alten Inhalt legten. So ist es zu
erklären, daß die Kunstübung der Frührenaissance noch
einen vorwiegend allgemein-religiösen Charakter hat. Erst
allmählich zeigte sich die Selbständigkeit der Individuen,
die sich manchmal in starker persönlicher Religiosität, in
der Hauptsache aber in welllichen Äußerungen zu er-
kennen gab. Die Spätrenaissance zeigte dann neben dem
Höhepunkt menschlich - freier Lebensführung schon die
Zeichen des Niederganges: die Überspannung der Persön-
lichkeit. Zur Zeit Ludwigs XIV. wurde die Freiheit des
Individuums am üppigsten •gemimt«, ohne innere Wahrheit
oder Religiosität. Zu jener Zeil war es auch mit der weltlichen
Macht der Kirche de facto schon zu Ende und die Monu-
mentalarchitektur, die ein Ausdruck von Religiosität zu sein
scheint, war ihrem Verfalle nahe. Das Kunsthandwerk wurde
zügellos; es lockerte die letzten plastischen Überlieferungen
in dem neuerfundenen Modemalerial: im Porzellan. o

□ In diesem scheinbar allgemeinen Niedergang bildete
die alte Kraft, die nie verloren geht, sich schon wieder in
andere Energien um. Der Prozeß dauerte noch das ganze
19. Jahrhundert hindurch, doch wurde er wesentlich ge-
fördert durch das große Ereignis der französischen Revo-
lution, die den Beginn der neuesten kulturgeschichtlichen
Periode bedeutet, deren Inhalt und Wirkung wir aber
erst jetzt zu ahnen beginnen und deren Resultate erst die
Zukunft bringen wird. Wir stehen am Beginn eines ganz
neuen Begreifens des Weltgeschehens, folglich vielleicht
auch am Anfang einer neuen religiösen Periode, die einen
Aufschwung kirchlicher oder kultartiger Kunstpflege mit
sich bringen kann. f. H.

(Schluß folgt.)

Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwao, Berlin-Zehlendorf
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig — Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h. in Leipzig
 
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