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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Ausstellung badischer Volkskunst in Karlsruhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0016

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NEUE ARBEITEN VON ALBIN MÜLLER IN DARMSTADT

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breitung fanden. Die
Ausstellung enthälteine
ganze Reihe badischer
Kreuze aus den letzten
drei Jahrhunderten, die
nicht allein Zeugnis ab-
legen von der großen
Geschicklichkeit unse-
rer Dorfschmiede, son-
dern auch den Wandel
im Geschmack und Stil
deutlich erkennen las-
sen. Der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts
gehört das älteste der
vorhandenenKreuze mit
rechteckigem Schrift-
kästchen überderKreuz-
mitte und reinem Spiral-
ornament ausRundeisen
zwischen den Ecken der
vier Kreuzarme an; dem
untern Teil des Kreuz-
stammes ist ein langes
sägeförmiges Blatt vor-
gelegt, das noch ganz
gotische Bildung hat.
Bedeutender sind die
dem 18. Jahrhundert
angehörigen Kreuze,
bei denen erst barocke
Einzelheiten sich be-
merkbar machen, unter
ihnen ein besonders
reich gebildetes Stück
aus Unteruhldingen bei
Meersburg mit herzför-
migem Schild und sehr
bewegtem Rankenwerk. Ein Rokokokreuz aus Engen hat
so reiches Rankenwerk, daß die Kreuzform fast verloren
geht; ein anderes einfacheres mit langgezogenen Blättern
in den Ecken zwischen Rankenvoluten zeigt als Bekrönung
den Auferstandenen auf Wolken thronend. Bei den Em-
pirekreuzen kommt die Kreuzform selbst wieder mehr zur
Geltung, während im 18. Jahrhundert das Beiwerk oft
allzu sehr überwuchert hat. Von der Mitte des 19. Jahr-
hunderts an werden diese schönen Kunstwerke von unsern
Friedhöfen durch die billigen, aber rohen und geschmack-
losen Gußeisenkreuze verdrängt. Hervorragend sind auch
die vom Dorfschmied hergestellten Wirtsschilde und Her-
bergszeichen der verschiedenen Zünfte, unter ihnen be-
sonders ein Rokokoschild (Kreuz) von Tauberbischofsheim
und ein anderer (Löwe) von Emmendingen durch ihre
reichgebildeten Träger ausgezeichnet. □
n Ein wichtiger Bestandteil unserer alten Volkskunst war
die Tracht. Für die Ausbildung mannigfaltiger Trachten
waren die abgelegenen Gegenden des Schwarzwaldes ein
besonders günstiger Boden und dort haben sie sich auch
bis auf den heutigen Tag erhalten, wenn sie auch seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts sehr zurückgegangen sind.
Auch die in der letzten Zeit entstandenen Trachtenvereine
haben diesen Rückgang nicht wesentlich aufzuhalten ver-
mocht. Von den alten badischen Landestrachten sind die
wichtigeren in einer trefflichen Zusammenstellung vereinigt.
Fast überreich erscheint unter ihnen die blumenbesäte
Frauentracht vom Taubergrund in den Farben gelb, rot
und grün auf blauem Seidenstoff, der Mann mit gelber
Lederhose, roter Weste mit großen, kugelförmigen, dicht-
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gedrängten Silberknöpfen und kurzer schwarzer Samtjacke.
Kräftiger und zweckentsprechender sind die Schwarzwald-
trachten, bei welchen nur einzelne Teile durch Stickerei
hervorgehoben sind; so ist die Gufacher Tracht dunkel
gehalten und nur das gestickte Mieder und die gestickte
Weste, bei den Mädchen und Frauen auch die Strohhiite
mit den roten und schwarzen Kugeln bringen eine leb-
haftere farbige Note dazu. Andere sind farbenreicher, wie
die Simonswälder und Schappacher Tracht und durch den
häufig vorkommenden Hängekettenschmuck, bei der Braut
insbesondere durch die Schäppel, die wie ein großer Feld-
blumenstrauß auf dem Kopfe sitzt, wird die Wirkung noch
gesteigert. Die Kopfbedeckungen sind überhaupt sehr zahl-
reich und mannigfaltig vertreten. Hervorgehoben seien
u. a. die enganliegenden goldgestickten Hauben aus dem
Kinzigtal, die Radhauben von den Bodenseegegenden, die
Bänderkappen vom hohen Schwarzwald mit den hinten
fast senkrecht emporstehenden flachen Kappenböden. Diese
letzteren sind reizende kleine Kunstwerke, welche meist
von Frauen und Töchtern der Landwirte hergestellt werden.
Auf dunklen Samt sticken sie mit Silber- oder Goldfäden
kleine Pflanzenzweige mit Blättern, Blumen und.Früchten,
welche oft reich verschlungen, aber klar in der Anordnung
und dekorativ sehr wirkungsvoll sind. Von der Stilkunst
völlig unbeeinflußt, haben diese Stickereien den Charakter
echter Volkskunst bis auf den heutigen Tag bewahrt. Be-
sondere Beachtung verdient schließlich noch der reiche
Bauernschmuck, außer den erwähnten Hängeketten die
prächtigen Gürtelschließen, Anhänger, Fibeln und Silber-
knöpfe. m.

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