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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Schulze, Otto: Nachlese von der Weltausstellung Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0026

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NEUE ARBEITEN VON ALBIN MÜLLER IN DARMSTADT

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□ Ist wohl bei uns im Durchschnitt, nicht überall, ein
gewisser Fortschritt zu verzeichnen, so bedauert man aber
doch, daß er bei anderen Ländern fast kaum zu spüren
ist. Frankreichs Art nouveau ist stehen geblieben, abge-
sehen von einzelnen reizvollen Metallarbeiten und Sonder-
stücken der verschiedensten Techniken; es sind vereinzelte
Kleinode aus Künstlerhand, erwünscht, sie zu besitzen.
Auch Frankreich ächzt noch immer zu stark unter seiner
alten Kultur; Kopie und Erfindung im Nachahmungstriebe
lähmen den Fortschritt wie in Italien, wo man zum Bei-
spiel mit Raffinement die alten Majoliken und Gläser des
14. bis 16. Jahrhunderts nachbildet. So sehr trotzdem auch
in den romanischen Ländern die Industrie fortschreitet, so
sehr scheint die Kunst im Handwerk der Reaktion und
damit dem Stillstand ausgeliefert zu sein. Einen unge-
heuren Abstand zeigen die Geschlechter in solchen Lei-
stungen. Nur bei uns kommt die Frau vereinzelt in Klein-
kunstsachen, so in Keramik, Edelmetall, Leder, dann aber
in Nadelarbeiten scharf neben dem Manne beachtenswert
in Erscheinung; in den andern Ländern, in Frankreich, und
auch hier nur in Paris ähnlich wie bei uns mit Erfolg,
steht dagegen die Frauenarbeit mit wenigen Ausnahmen,
weit hinter den Leistungen des Mannes in technischer wie
geschmacklicher Hinsicht zurück. Das ist auch in Belgien
der Fall, dem Lande der Spitzen und den Nachklängen
alter Gobelintechnik, die noch immer in Handarbeiten un-
vergleichliche Schönheiten zeitigen, wenn auch z. B. die
alten Spitzen nicht immer erreicht werden. Im Palais des
Travaux feminins sieht man so recht die femininen Ent-
gleisungen des weiblichen Geschmacks auf Leder, Por-
zellan, Metall, selbst in der dekorativen Stickerei, und

dann bis zum Ungeschmack, der sich in künstlichen Blumen
aus Brotkrumen äußert. □
□ Man möchte in vielen Abteilungen fragen, wo war die
Jury, wie konnte so vieles Unreife durchgehen und aus-
steilungsfähig werden. Bei uns sieht man trotz aller Ein-
wände gegen Äußerliches doch die planvolle durchgreifende
und vor jeder Kritik bestehende Ausstellungsarbeit einer
unbestechlichen Instanz. Das Beste war gut genug für
Brüssel. Keine Eigenbrödelei, keine Auswüchse des Klein-
handels, keine Schäbigkeit, keine Illusion, keine Attrappe.
Deutschland in seiner ganzen kulturellen Biederkeit, Ehr-
lichkeit, Redlichkeit, aber auch Unduldsamkeit gegen Rück-
ständigkeit und Maßlosigkeit in Fortschrittlichem. Deutsch-
land zeigte tatsächlichen Besitz kultureller Güter, den
wirklichen derzeitigen Bestand. Nachzügler und heißblütige
Stürmer mit unvergorenen Gedanken fanden den Weg
nach Brüssel gesperrt. Markieren wir schon in der Ab-
sonderung die Einsamen für die übrigen Nationen, so das
noch mehr und aufdringlich fühlbar in den Zeugen unserer
eigentlichen Arbeit. Man bringt uns vielleicht den Respekt
vor dem Fremden an sich entgegen, man fühlt das Große
und Gute bei uns, ohne es zu begreifen in seinem rein
menschlichen Selbstzweck. Aber dahinter steht doch nur
die kühle Bewunderung vor dem Ungewöhnlichen; man
sieht den Erfolg, gönnt ihn uns aber nur mit sehr geteilter
Empfindung. Nach St. Louis nochmals in so kurzem Ab-
stand ein so durchschlagender Erfolg, das macht Freunde
stutzig und die ohnehin Mißgünstigen noch mißmutiger.
Wir werden vorweg noch immer die Einsamen bleiben;
vergessen wir nicht, daß der Einsame daher in allem auch
der Starke, Ausschauende und Gerüstete bleiben muß. Noch

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