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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Otto, Karl Heinrich: Werktechnische Kompromisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0037

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WERKTECHNISCHE KOMPROMISSE

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ihr, so weit man überhaupt von ihr eine bündige
Umschreibung geben kann, ist eine wechselnde. Wir
alle wissen, wie unendlich schwer es ist, nicht nur
das Wort »schön« richtig anzuwenden, sondern zu
erfassen was es überhaupt in jedem einzelnen Falle
zu bedeuten hat. Wir können ob der Schönheit
erschauern oder in Entzücken verfallen, sie kann uns
emporheben und herabdrücken. Ich schalte das je-
weilige Sujet hierbei ganz aus, weil das rein ethische
Moment ja mit der Schönheit an sich gar nichts zu
tun haben soll. Aber, wie schon hervorgehoben, das
alles kann nur für die Werke der hohen Kunst Geltung
haben, weil bei ihr lediglich psychische Konflikte,
Erregung und Ausgeglichenheit, auf uns in Wirksam-
keit sind. Es wäre geradezu traurig, wenn uns ein
mangelhafter Stuhl, eine bunte Tischdecke oder ein
stachliches Schmuckstück ebenso zu erregen ver-
möchten wie eine mangelhafte Bronze oder ein schlecht-
farbiges Gemälde. Wir treten ja an diese ganz ver-
schiedenen Erzeugnisse mit völlig wechselndem
Empfinden heran. □
□ Und doch fällt uns bei diesen, aus der Notlage
der Sache heraus etwas doktrinären Ausführungen auf,
daß tatsächlich zu allen Zeiten die höchsten Kunst-
leistungen mit den Erzeugnissen der angewandten
Kunst überall so ziemlich in Übereinstimmung waren.
Ein griechischer Tempel und eine griechische Vase
zeigen denselben Rhythmus; romanische Malereien
und Plastiken haben dieselbe Schwerfälligkeit wie
romanisches Mobiliar; gotisches Gerät aller Art mutet
fast eben so religiös an wie ein Gemälde der Kölner
Malerschule; die Kunst der Renaissance hat in allem
etwas mehr Prunk, Äußerlichkeit, Lebensfreude, die
sich im Barock und Rokoko schon mehr locker und
leichtfüßig zeigt. Es scheint also gleichsam, daß der
gleiche Geist in all den Dingen einer dieser Perioden
und in einer gewissen Steigerung in allen Perioden
zur Materie wie zum Können gestanden hat. Wie
ich schon andeutete, neigen wir in unserm ganzen
Empfinden etwas sehr stark zur Monumentalität, zu
gigantischem Ausdruck. In großen Dingen soll man
gewiß groß sein, so etwa wie ein Ferdinand Hodler
in der Malerei, ein Bernhard Hoetger in der Plastik
oder ein Alfred Messel in der Architektur. Wozu
nun aber reduziertes Großtun in unserer angewandten
Kunst, ein Übermaß an Feierlichkeit in unsern
Wohnungen. Weshalb nicht mehr Liebenswürdigkeit,
Anmut und Gefälligkeit im Kleingerät und Mobiliar
und Wohngemach. Nicht immer ist die bloße Ein-
schränkung im Aufwand der Mittel schon der Abglanz
des berühmten Wortes: in der Beschränkung zeigt
sich erst der Meister. Wer viel hat, wird trotzdem
nicht alles geben, auch er wird weise haushalten.
Aber zu allen Zeiten hat sich ein großes Können
noch stets ganz offenbart; groß und einfach war da-
mit noch kein Gegensatz zu klein und reich. Aus
allem heraus werden wir also doch wieder zu feineren
Unterscheidungen kommen müssen, und zwar rein
aus dem materialtechnisch-ästhetischen Moment heraus,
das entweder in der ausgesprochenen Maschinenarbeit
oder in der Handgestaltung liegt. Wir haben ja wohl

überhaupt noch keine tiefer empfundene Ästhetik der
Maschinenerzeugnisse gehabt. Es kann und soll da-
mit keineswegs gesagt sein, daß ein Maschinener-
zeugnis nicht ebenso schön, vielleicht noch schöner
sein könne als ein Handerzeugnis; vergessen wir aber
dabei auch nicht, daß Maß, Proportion, Form und
Farbe, also das Geistigformale eben nicht von der
Maschine, sondern vom Menschen selbst in jedem
Falle bestimmt werden muß, und daß die Maschine
eben nur eine gesteigerte Summe von Gesamtarbeit
leistet. Ihre Bestimmung ist Kraftleistung, mechanische
Wiederholung, Exaktheit, Materialersparnis, Zeiterspar-
nis bei Vielheit und Menge. Die Maschine bleibt in
ihrer Einzel- wie auch Gesamtleistung unpersönlich.
Aber uns freut an ihr die Ordnung der Dinge, das
stille Gehorchen, das unbedingt Zuverlässige in allem,
soweit man ihr die erforderliche Pflege angedeihen
läßt. Man denke nur an die primitive Töpferscheibe
und Drechselvorrichtung, an den Webstuhl; das sind
schon die Vorläufer der Maschinen, und doch zeigen
ihre Erzeugnisse noch durchweg den handwerklichen
Reiz, das Gedankliche in der scheinbaren Wieder-
holung, die unterschiedliche Handschrift der sie Er-
zeugenden. □
□ Gerade an dem uns umgebenden Gerät sehen wir
gern die Spuren der Entstehung, den Werdegang, das
Gefühlsmäßige. Die Handarbeit mutet an, als sei sie
von wirklichem Leben durchdrungen; sie hat mehr
Körper, mehr Seele; man sieht ihr nicht so sehr das
Rechnerische an wie der Maschinenarbeit. Wenn wir
ehrlich sind, d. h. ganz objektiv, so müssen wir zu-
geben, daß an allen oder doch wenigstens sehr vielen
Maschinenerzeugnissen eine gewisse Strenge und Kälte
hängen bleibt, vielleicht auch eine zu große Glätte
und Korrektheit. Das Übermaß an Kraft und Auf-
wand gibt dem Produkt eben doch den Stempel der
plötzlichen, gewaltsamen Erzeugung. Man vergleiche
daraufhin eine geprägte mit einer gegossenen Medaille,
eine getriebene mit einer gepreßten Schale, eine Hand-
stickerei mit einer Maschinenstickerei, einen aus der
Hand aufgezogenen Topf mit einem an der Schablone
geformten. Aber auch geschmiedete, geschnitzte und
gemeißelte Arbeiten zeigen alle Spuren des geduldigen
Vollendens, die Wärme und Struktur des Gewachsenen
im Gegensatz zu den Erzeugnissen der rein mechani-
schen Erstehung. Eine gegenseitige Schädigung im
materialtechnisch-ästhetischen Sinne tritt erst ein, wenn
man uns über die Herstellungsweise täuschen will:
Zinkguß oder Papiermasse mit Farbanstrich als
Schnitzerei vorzuspiegeln, ja überhaupt ein Übermaß
von Formen und Zieraten aus der Maschinenleistung
heraus als das Typische in der Konkurrenz mit der
Handarbeit zu betrachten. Gerade das Gegenteil da-
von würde beiden Produktionsarten zum Vorzug ge-
reichen. Die Grenzen für beide wären unschwer
einzuhalten. Die Maschinenleistung kann nur dienender
Art sein, sei es nach der Seite der Kraftleistung,
der Präzisionstechnik oder der Vielleistung nach Zahl
oder Menge. Und dadurch löst das Ergebnis schon
unsere Bewunderung aus, noch mehr, wenn, so z. B.
bei einer Spitze oder Stickerei, das Produkt als ein
 
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