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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Schur, Ernst: Peter Behrens und die Reform der Bühne
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0049
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PETER BEHRENS UND DIE REFORM DER BÜHNE
Von Ernst Schur

IN Deutschland ist Peter Behrens einer der wenigen
Künstler, die das Theater als ein Ganzes emp-
finden und die auf der Suche nach einem neuen
Bühnenstil sind. Das starke, architektonische Emp-
finden, das sein Künstlertum allgemein charakterisiert,
der energische Kulturwille, der ihn erfüllt, kennzeich-
nen auch sein Streben zur Bühne. Die Kunst der
Bühne ist ihm eine Gesamtkunst, der sich alle Künste
einfügen; nicht in der Weise, daß die einen über-
wiegen, die anderen sich unterordnen. Alle wirken
zusammen, jede nach ihrer Art, und die Kunst des
Regisseurs, der ein architektonisch empfindender Künst-
ler sein muß, soll alles abwägen und zur Einheit
zusammenschließen. Diese Einheit ist nicht starr, nicht
kalt. Sie ist Rhythmus, Bewegung, Leben. □
□ Behrens faßt das Theater nicht als Unterhaltungs-
stätte auf, deren Mittel es etwa zu verfeinern gilt,
damit Menschen vom Geschmack es darin erträglich
finden. Ihm ist die Bühne ein feierliches Symbol
der Kunst überhaupt, eine Einigungsstätte gemeinsamen,
höchsten und reinsten Gewissens. In dieser Hinsicht
berührt sich seine Auffassung mit den Tendenzen der
antiken Bühne einerseits, und andererseits mit den
Mysterienspielen der christlichen Frühzeit. Nur unter-
scheidet er sich im Zielwillen. Er will keine künst-
liche Rekonstruktion dieser zeitlich und kulturell be-
dingten Formen; er will das ganz neue, moderne
Empfinden unserer Zeit darin zum Ausdruck bringen.
Die Bühne soll höchstes Kultursymbol wieder werden.
□ Damit ist schon gesagt, daß seine Bühnenkunst
sich über das Leben erhebt. Er will nicht eine Imi-
tation des Lebens auf der Bühne. Seine Bühnen-
kunst strebt zum Stil. Von diesem Standpunkt aus
fordert er amphitheatralische Anordnung des Zu-
schauerraums, eine Bühne, die zum Teil sich diesem
Zuschauerraum als Proszenium anschließt, damit nicht
der Raum der Darstellung wie ein Guckkastenloch
wirke; von diesem Standpunkt aus will er äußerste
Beschränkung der Kulissen und Soffiten, nicht im Sinn
puritanischer Entäußerung, sondern im Hinblick auf
die reine Stilwirkung des Ganzen, das von der Imi-
tation des Lebens sich abwendet, das nicht realistisch
einen Schauplatz möglichst getreu mit allen Details
nachahmen will. Aus diesem Grunde bedeuten ihm
die Versuche, Künstler zu der Gestaltung der Szene
heranzuziehen, wie das Reinhardt tut, nur Teilbestre-
bungen, die den Kern nicht treffen. Auch die Ko-
stüme sollen nicht stilgetreu sein, sondern sie sollen
durch die Verschiedenheit der Abtönungen in Farbe
und Valeur die große Einheitsstimmung weitergeben.
Vor allem aber betont Behrens das Recht des Schau-
spielers; er soll zu Worte kommen; die Kunst der
Bühne lebt von ihm. Freilich muß auch er absehen
von kleinlicher Nachahmung des Lebens in Maske,
Geste und Erscheinung. Seine ganze Art muß den
großen Zug zum Stil haben. Sein Gang, seine Hal-
tung muß große, plastische Wirkungen anstreben;
seine Geste muß in jedem Zug bedeutsam sein und
schon in der Bewegungsfigur feierlich wirken und
konzentriert die Wesenheit des Stimmungsgehaltes der

Dichtung enthalten. Damit dies rein zur Erscheinung
komme, betont Behrens die Reliefwirkung der Bühne;
denn eine Bewegung nach vorn entzieht sich der
feineren Sichtbarkeit; während das Relief den Linien-
fluß einer Gestalt in Bewegung wie in Ruhe doku-
mentarisch festhält. Aus diesem Grund verzichtet
Behrens auf Tiefenwirkung; seine Bühne geht mehr
in die Breite, damit Raum für Bewegung, Aufzug der
Figuren und Abgang bleibt. Er befürwortet auch
darum Stufen und Terrassen auf der Bühne, da diese
Gelegenheit zu eindrucksvoller Bewegung geben. Der
Hintergrund bleibe möglichst neutral; die Seitenwände
geben einen architektonischen Abschluß und sollen
nicht zu einer illustrativen Erläuterung des Schau-
platzes Gelegenheit geben. Diffuses Licht, damit die
Einheit dominiere, soll vorherrschen; strikt zu ver-
meiden ist das grelle Schlaglicht von der Seite, das
vielleicht eine Gruppe effektvoll plastisch heraushebt,
aber den Gesamteindruck zerreißt. □
□ Haben wir die Schauspieler, die solchen Aufgaben
gewachsen wären? Haben wir solche Regisseure? Was
die Schauspieler anlangt, so kennzeichnet Behrens zwei
Typen. Die einen haben die rhetorische Art einer
überlebten Tradition. Die anderen gehen gegen diese
falsche Tradition an und lernen vom Leben. Die
dritte Art ersehnt Behrens, die wieder verstanden hat,
die Eindrücke des Lebens zu einem neuen Stil zu
erhöhen. Es ist sehr wertvoll, daß Behrens diesen
Weg, den wir zu gehen haben, so klar erkennt. Pa-
thos und Pose betont er wieder resolut, aber es muß
echtes Pathos und reine, große Pose sein. Mit ande-
ren Worten, er ersehnt die großen Schauspielerpersön-
lichkeiten und er ruft dazu die neue, junge Generation
auf, von der er eine Verjüngung, eine Erneuerung
hofft. □
□ Indem er das Wesen der Schauspielkunst so tiefer
faßt, kommt er von selbst zu einer Erweiterung seiner
Anschauung. Er betont die Bedeutung der Bewegung
an sich, des Schreitens, Stehens, Sich-Bewegens und
folgerichtig bezieht er dann den Tanz mit hinein, der
die feierlichste Erhöhung der Lebensgefühle darstellt.
Auch hierbei kommt wieder das Umfassende seines
Willens zum Ausdruck und die Berührung mit den
alten Mysterienspielen, mit der antiken Bühne wird
klar. Er steigt zu den Urgründen des theatralischen
Instinktes hinab; die Entstehung des Theaters datiert
von den alten Tanzspielen, die sich bei den verschie-
densten Naturvölkern noch finden. □
□ Haben wir Regisseure, die diesen Aufgaben ge-
recht werden könnten? Sie müßten feinstes Verständ-
nis für die Einzelkünste, für Malerei, Architektur,
Plastik und Musik besitzen, der Dichtung subtil nach-
gehen können und doch das Gefühl dafür haben, daß
ihre Aufgabe eine besondere ist, nämlich die: das
alles zur Einheit zu bringen und dem reichen Zu-
sammenhang zum Rhythmus zu verhelfen. □
□ Aber die Schwierigkeit der Aufgabe beweist nicht
die Unmöglichkeit. Auch wenn, aus diesen Gründen,
nur eine in festspielmäßigem Rahmen vor sich gehende
Aufführung mit diesen Forderungen möglich wäre,
 
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