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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Vom Kunstgewerbe in Zürich
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0057

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VOM KUNSTGEWERBE IN ZÜRICH

wie sie die Ausstellungen der letzten Jahre zu über-
wuchern drohten. □
n In der vorher erwähnten »Allgemeinen Wegleitung«
sind die ästhetischen Grundsätze der Veranstaltung
niedergelegt und sie decken sich zum großen Teil mit
den Zielen des »Deutschen Werkbundes«. Als erste
Bedingung wird echtes Material vorgesehen, das in
einerWeise zu formen sei, die alle praktischen Forde-
rungen restlos erfüllt. Das Material und seine Be-
arbeitungsweise, sowie die Form ergeben ihrerseits
wiederum die Farbe und den Schmuck. Aus diesen
Notwendigkeiten entsprangen folgende Grundsätze des
ästhetischen Programms der Ausstellung: □
1. Frühere Stilformen dürfen nicht angewendet
werden.
2. Die Form sämtlicher Gegenstände muß in erster
Linie ihre Zweckbestimmung klar ausdrücken.
3. Nur echte Materialien und Techniken dürfen
in Betracht kommen.
4. Die Formgebung soll auf geometrische Basis
gestellt werden.
5. Verzierungen dürfen nur angebracht werden,
so weit die konstruierte Wirkung oder die Ge-
samtform nicht gestört wird; sie müssen durch-
aus mit den tektonischen Grundformen im Gleich-
gewicht stehen.
□ Dies Programm wird dann ausführlicher erläutert
und es ist auch für uns interessant, näher darauf ein-
zugehen. Dem ersten Punkt, dem Verbot der An-
wendung früherer Stilformen, ist nicht zu widersprechen,
da wir auf dem Wege der Nachahmung oder der
gedankenlosen Anwendung vorgedachter Einzelformen
die Grundsätze der Tektonik verloren und vergessen
hatten. Der zweite Punkt, der den klaren Ausdruck
der Zweckbestimmung fordert, soll davor warnen, in
der bloßen Originalitätssucht, gegebene Formen un-
bedingt neu und anders als bisher gestalten zu wollen,
ein stilförderndes Moment zu erblicken. (Hier können
wir wohl in Übereinstimmung auf das Zitat von Cour-
bet hinweisen, das im vorigen Hefte auf Seite 33 ab-
gedruckt war. Es lautete: »Die Phantasie in der Kunst
besteht darin, daß man den vollkommensten Ausdruck
für eine existierende Sache findet, nicht aber, daß man
diese Sache selbst erfinde oder schaffe«. Ist dieser
Satz auch für die bildende Kunst gemeint, so hat er
doch gerade jetzt auch für unser Kunstgewerbe eine
erhebliche Bedeutung. Red.) Die dritte Forderung
der echten Materialien und Techniken muß selbstver-
ständlich mit besonderem Nachdruck unterstützt werden.
Verwunderlicher nimmt sich der vierte Punkt aus, der
verlangt, daß die Formgebung auf geometrische Basis
gestellt werde. Hiergegen hat sich in der Fachpresse
ein gewisses Bedenken erhoben, das wir jedoch bei
näherem Zusehen nicht teilen können. Die »Weg-
leitung« äußert sich zu diesem Punkt folgendermaßen:
»Wenn man die Zurückführung auf geometrische
Grundformen verlangt, so begegnet man gern dem
Vorurteil, als handle es sich darum, abstrakte geome-
trische Figuren -— den Kreis, das Quadrat usw. -—
zur äußeren Darstellung zu bringen, was ja allerdings
eine nüchterne Beschränkung der Form bedeuten würde.

Bei solcher Annahme wird aber übersehen, daß auch
die freien Schmuckformen der Natur geometrischen
Charakter haben: die Blume läßt sich fast immer auf
eine geometrische Form z. B. diejenige des Fünf-
oder Zwölfecks zurückführen, und die Pflanze zeigt
in ihrer Gesamterscheinung Verhältnisse, die geome-
trischen Gesetzen entsprechen. Und auch die zu weite-
ster Konsequenz entwickelten Kunststile stehen durch-
aus auf geometrischer Basis, am klarsten der ägyptische,
griechische und gotische; aber auch die gründliche
Analyse der anscheinend willkürlichsten Stilarten, Ba-
rock und Rokoko, bringt uns schließlich auf geome-
trische Grundformen. Wenn also gefordert wird, daß
die Formgebung auf geometrische Basis zu stellen
sei, so liegt nichts ferner, als die Entwicklung starrer,
unkünstlerischer Formen«. Es handelt sich also keines-
wegs darum, eine geometrische Form überhaupt und
unbedingt zur äußerlichen Empfindung zu bringen,
als vielmehr darum, daß jeder Arbeit ein geometrisches
Thema zugrunde gelegt werde, das im geheimen die
Harmonie der schönen Proportion und die Klarheit
in der Formschönheit erzeugen wird. Also ist mit
der strickten Durchführung dieses Prinzipes der Ge-
fahr vorgebeugt, daß ein in unrichtigen Verhältnissen
gegebenes Werk, das vielleicht im einzelnen Schön-
heiten besitzt, um seine Gesamtwirkung gebracht werde.
Und es will uns scheinen, daß der konsequente Auf-
bau nach einem klaren Thema und dessen Abwand-
lung bis in die feinsten Gliederungen nicht etwa
nur eine mechanische, rechnerische Verstandestätig-
keit, sondern vielmehr erheblich mehr geistige Kraft
und Gefühl für künstlerische Form erfordere, als wie
die zufällige Gestaltung rein »aus den Fingern her-
aus«. — Daß eine Formgebung auf geometrischer
Basis kein willkürlich angebrachtes Ornament vertragen
kann, ist wohl ohne weiteres klar und begründet die
Berechtigung des fünften Programmpunktes. Wenn
aber Ornamente angebracht werden, so müssen sie
mit den tektonischen Grundformen im Gleichgewicht
stehen; mit anderen Worten: sie können eben das
geheime geometrische Thema des Gegenstandes in
höchst wirkungsvoller Weise von ferne mitklingen
lassen. Auch hier ist größte Delikatesse des Schöpfers
erforderlich. □
□ Die »Wegleitung« zur Ausstellung, als deren Ver-
fasser wir wohl mit Recht den Leiter der Züricher
Kunstgewerbeanstalten, Prof. J. de Praetere vermuten,
bietet übrigens bedeutend mehr, als man von erläu
ternden Programmschriften gemeinhin gewöhnt ist,
denn es ist aus ihr das erfolggekrönte Bestreben des
Verfassers zu erkennen, sich in das weitverzweigte
ästhetische Thema vorerst mit allem Nachdruck und
bis in die letzten Einzelheiten zu vertiefen und erst
nach dieser gewissenhaften Analyse zu einer Synthese
zu schreiten. Wir schließen uns seiner Meinung an,
daß seine Vorarbeit an sich schon so fruchtbar werden
kann, um die Mühe einer Ausstellung zu lohnen.
Wenn nur die Einsicht und die materielle Bereitwillig-
keit der Aussteller hinzutritt, so wird die Ausstellung
gewiß gut werden, da so klare und ästhetische Grund-
lagen gegeben sind. □
 
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