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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Buschmann, Johannes: Dilettantische Wirtschaftsreformer, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0062

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GLASMALEREIEN UND GLASMOSAIKEN

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W. Lehmann, Schmelzmosaik; ausgeführt von Gottfr. Heinersdorff, Berlin

existenz beschäftigen. Denn schließlich regeln sich doch
auch die Angelegenheiten des Wirtschaftslebens nach be-
stimmten, im Wesen der Dinge liegenden Gesetzen, die
Kräfte balanzieren in sich, und man darf nicht rein dogma-
tisch im Sinne vorgefaßter Ideen ihr Spiel in Bahnen
zwängen wollen, die ihnen fremd sind, fremd sein müssen,
weil sie ihrerNatur zuwider laufen. Diese— eigentlich selbst-
verständliche — Wahrheit von Zeit zu Zeit auszusprechen,
ist notwendig, denn sie wird noch immer allzusehr
mißachtet von solchen, die sich berufen fühlen, als
Wirtschaftsreformer aufzutreten. Es ist im Grunde
immer dasselbe Bild: Diese Apostel und Weltver-
besserer haben irgendwo eine kleine Teilwahrheit
aufgelesen und nach ihr möchten sie nun das Leben
ummodeln. Wo sie’s anfassen, sehen sie nur seine
Schattenseiten, die natürlich, je nachdem, an welcher
Stelle sie ihr Lichtlein aufstellen, bald hier und bald
da sind. In diesen Schatten erschöpft sich ihre ganze
Anschauung von den Dingen, und weil sie die
anderen Seiten, die vielleicht heller sind, nicht
sehen, auch Vorteile und Schäden einer Institution
nicht gegeneinander abzuwägen verstehen, laufen sie
in dilettantischem Radikalismus gegen die Erscheinung
als solche Sturm und suchen sie aus den Angeln zu
heben. Und auch das, was sie dann als Ersatz dafür
konstruieren, wird nur ganz einseitig auf seine Trag-
fähigkeit geprüft. Ob das Endresultat nicht vielleicht
ein viel ungünstigeres wird als beim alten Zustande,
vermögen die in ihre Idee Verrannten gar nicht
abzuschätzen. Weil aber gerade diese glatten, runden
Reformideen auf alle aus irgend einem Grunde
Unzufriedenen und meistens ebenso Urteilslosen eine
große Anziehungskraft ausüben, liegt eine nicht gering
zu achtende Gefahr in ihnen, zumal es sich bei
wirtschaftlichen Dingen immer um die Grundlagen
unserer nationalen und kulturellen Existenz handelt.
Um nur einige Beispiele zu nennen: zu diesen dilettan-
tischen Verbesserungsplänen gehören die mancher
Richtungen in der sogenannten »Mittelstandsbewe-

gung«, gehören sozialpolitische Utopien, die Lehren
der Bimetallisten und noch allerhand anderes. □
□ Um der Sache wie um der Methode willen möchte
ich hier auf einen solchen Reformvorschlag eingehen,
der gerade jetzt der Öffentlichkeit unterbreitet wird
und der gekennzeichnet werden muß, ehe er Ver-
wirrung stiftet. Dr. Heinrich Pudor unterhält das
Lesepublikum zahlreicher Zeitungen und Fachzeit-
schriften (namentlich auch solcher kunstgewerblicher
Art) mit seinen Plänen zur Hebung der deutschen
gewerblichen Produktion und letzten Endes der deut-
schen Volkswirtschaft überhaupt. Kürzlich hat er
nun alles, was er darüber zu sagen weiß, in einer
Broschüre zusammengetragen. Er nennt sie »Deutsche
Qualitätsarbeit. Richtlinien für eine neue Entwicklung
der deutschen Industrie«. (Leipzig 1910.) Die Bro-
schüre darf m. E. nicht wie eine beliebige Publikation
behandelt werden, die man beiseite legt, wenn man
sie ablehnt. Pudor hat es verstanden, für seine
Gedanken auch unmittelbar Propaganda zu machen
und in einer von ihm zusammengebrachten »Kom-
mission zur Ausarbeitung eines deutschen Material-
buches«, die der Verwirklichung der nachher zu
erörternden Pläne dienen soll, sind eine Reihe an-
gesehener gewerblicher Korporationen und allerhand
einflußreiche Persönlichkeiten — Ministerialdirektor
Staatsrat Dr. Slevogt, Weimar, Geh. Oberregierungs-
räte Robolsky und Dungs vom Reichsamt des Innern,
Prof. Köhler, die Oberbürgermeister Pabst-Weimar,
v. Borscht-München, Dr. Dittrich-Leipzig, Wilms-Posen, die
Bundesratsmitglieder Geheimrat Dr. Fischer und Ritter von
Treutlein-Mördes, usw. — vertreten. Übrigens, das wäre ein
Kapitel für sich, zu untersuchen, auf Grund welcher Erwägung
dieseHerren sich andern schließlich doch ganz privaten Unter-
nehmen Pudors beteiligt haben. Die oben erwähnte Bro-
schüre legt nun die Reformpläne der breiten Öffentlichkeit vor
und wir dürfen uns hier also mit ihnen auseinandersetzen.

Aug. Unger, Schmelzmosaik; ausgeführt von Gottfr. Heinersdorff, Berlin
 
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