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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

DOI article:
Lange, Konrad: Die Stuttgarter Glasperlenausstellung
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0074

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DIE STUTTGARTER GLASPERLEN-AUSSTELLUNG



An erster Stelle steht eine praktische
Forderung, nämlich daß sie nicht an
Gegenständen angebracht werden
sollte, die stark strapaziert werden.
Arbeitskleider wird niemand mit Perlen
besticken. Das ist eigentlich die ein-
zige Forderung, der die Indianer-
arbeiten nicht Rechnung tragen. Denn
sie befinden sich an Gewändern, die
zu Pferde, im Kampf und auf der
Jagd getragen werden. Aber bei der
Größe der Perlen und der Solidität
der Arbeit ist die Gefahr der Abnutzung
wohl nicht sehr groß. n
□ Größer sind in dieser Beziehung
die Verstöße des 19. Jahrhunderts.
Handkoffer, Reisetaschen, Pfeifen-
rohre, Tischplatten usw. sind wohl
nicht die richtigen Gegenstände, um
mit Perlen bestickt zu werden. □
□ Zweitens sollten Flächenstickereien
nicht so groß und dick sein, daß sie
bei Gebrauchsgegenständen die Be-
nutzung erschweren. Die zierlichen
Schirmchen und Knickerchen der Bie-
dermeierzeit, deren Reiz doch gerade
auf ihrer Leichtigkeit beruht, haben
mit ihren schweren Perlstickereien
einen sehr unpassenden Schmuck er-
halten. Perlengestickte Kinderhauben
sollten, wenn sie nicht so leicht orna-
mentiert sind wie Abbildung S. 66,
von den Ärzten verboten werden. Eine
Bluse von Frau Dr. Richard Dehmel-
Blankenese bei Hamburg, deren Sticke-
rei sonst in Farbe und Muster sehr
gut ist, dürfte schwer und unbequem
zu tragen sein. □
n In bezug auf die Größe der Perlen
kann man keine allgemeinen Gesetze
aufstellen. Sie muß sich dem zu ver-
zierenden Gegenstände anpassen. Der
freihängende Schmuck erlaubt im all-
gemeinen größere Perlen als die
Flächenverzierung. Isoliert aufgestickte
Perlen werden in der Regel größer
sein als solche, die einem Mosaik-
ornament angehören. Wo das Kleid
fest an den Körper anschließt wie
beim Gürtel, können die Perlen größer
sein, als wo es locker sitzt. □
□ Nur vor zu kleinen Perlen muß
gewarnt werden. Ein Täschchen des
18. Jahrhunderts, bei dem eine Lupe liegt, besteht aus
Perlen, die in ihrer Kleinheit für unbewaffnete Augen
kaum wahrnehmbar sind. Von modernen Arbeiten leisten
in dieser Beziehung besonders die von Clara Pastor
und Marie Sturm-Gräfelfing bei München das Menschen-
mögliche. Nicht nur aus hygienischen, sondern auch aus
ästhetischen Gründen sollte die Feinheit nicht über eine
gewisse Grenze gehen. Sobald die technische Herstellungs-
art fiir den Beschauer nicht erkennbar ist, fehlt eine Be-
dingung der ästhetischen Schönheit. Wir wollen bei jeder
künstlerischen Arbeit die Art, wie sie entstanden ist, er-
kennen. Deshalb lieben wir z. B. bei der Malerei keine
glatten vertriebenen Farben, sondern einen kecken und
flotten Pinselstrich. Das gehört zu den der Täuschung ent-
gegenarbeitenden Elementen, die jedes Kunstwerk auf-

weisen muß. Eine Perlenstickerei soll nicht wie eine
Malerei aussehen, sondern sich aufrichtig als Perlenstickerei
geben. In dieser Beziehung sind die Indianerarbeiten (Ab-
bildung S. 66) vorbildlich. □
n Was die Farbe betrifft, so ist davon auszugehen, daß
die Perlenstickerei die einzige textile Kunst ist, bei der sich
die Farben dauernd halten. Man kann also nicht darauf
rechnen, daß die Zeit durch Verblassen der Töne oder
Bildung einer Patina harmonisierend einwirkt. Daraus
scheint mir hervorzugehen, daß grelle Farben und starke
Farbengegensätze möglichst zu vermeiden sind, daß viel-
mehr auf harmonische und weiche Farbenakkorde Wert
gelegt werden sollte. Dem Geschmack primitiver Völker
mögen auch hier kräftige bunte Farben mehr entsprechen.
Der entwickelte europäische Geschmack wird hier ganz
 
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