Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

DOI Artikel:
Buschmann, Johannes: Dilettantische Wirtschaftsreformer, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0078

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ARBEITEN VON ALFONS UNOERER

71

gerade auf diesem Wege richtig befriedigt. Der Produzent
auf der anderen Seite hat begreiflichen Anlaß, auf eine
Ausdehnung seines Absatzes bedacht zu sein, und er be-
nützt nur allzugern die Neigungen des Publikums, indem
er ihm Waren anbietet, die das Aussehen begehrter hoch-
wertiger Erzeugnisse haben, die aber eben, aus geringerem
Material hergestellt, entsprechend billiger sind und des-
halb begierig aufgenommen werden. □
n Obwohl hier eine Vermögensschädigung nicht vorliegt,
wird man das Verfahren doch nicht billigen, wobei man
aber nun nicht die Fabrikanten allein als die Schuldigen
hinstellen darf. Das Scheinwesen dieser Imitationswaren
ist eines Kulturvolkes unwürdig und es kann sicherlich
allerlei niedrigen Instinkte — des Protzens und des gei-
stigen Talmitums — zu bedenklicher Verbreitung verhelfen.
Wir haben Beispiele genug erlebt. Die Produktion, die
die Imitationskünste nicht überwindet, versperrt sich aber
auch selbst den Weg zur qualitativen Veredlung ihrer Er-
zeugnisse, denn eine ästhetisch befriedigende Gestaltung
ist nicht anders als auf Grundlage der Materialechtheit
möglich. Deshalb ist sie z. B. von der kunstgewerblichen
Reformbewegung mit Recht als eine ihrer fundamentalen
Forderungen immer wieder betont worden. Und da die
dauernden Interessen der deutschen Volkswirtschaft sicht-
lich nach der Richtung der qualitativen Veredlung der
Produktion weisen, so haben wir alle Ursache, das un-
ehrliche Imitationsfabrikat zu bekämpfen, wo wir ihm be-
gegnen. □
n Zwischen diesen beiden »Materialvergehen«, der heim-
lichen und der offenen Materialunterschiebung, liegt ein
drittes: die Entwertung von Rohstoffen durch eine, auch
wieder der Billigkeit zuliebe vorgenommene, unzweck-
mäßige Bearbeitung. Von den Ursachen der Verbilligung
gilt dabei das oben Gesagte. Hierher gehören beispiels-
weise: die Beschwerung der Seide mit Chlorzinn, die es
zwar ermöglicht für einen geringen Preis »griffige, füllige«
Ware herzustellen, die aber das Material der raschen Zer-
störung aussetzt; ferner die unechten Färbungen, die nach
ganz kurzem Gebrauch verschießen und dann nicht nur
den Verlust des Aufwandes an Farbstoffen zur Folge haben,
sondern auch das gefärbte Material, das Wollen- oder
Seidengewebe, mehr oder weniger vollkommen entwerten.
Auch hiergegen sind ernste volkswirtschaftliche Bedenken
zu äußern und wirksame Gegenmaßregeln, wie in den
andern Fällen, willkommen. o
□ Pudor vertritt nun den Gedanken einer staatlichen Ma-
terialkontrolle. Soweit er Deklarationspflicht verlangt, kann
man ihm beistimmen. Aber sie wird auch heute schon
von allen gewissenhaften Kaufleuten geübt. Seine strengere
Forderung, daß Geschäfte, die unechte oder halbechte
Waren führen, nicht auch gleichzeitig echte feilhalten dür-
fen, ist jedoch schon einer jener dogmatischen Radikalis-
men, denen wir bei Pudor noch verschiedentlich begegnen.
Er geht aber noch viel weiter. Er möchte einen Wall
aufrichten gegen alle Materialverschlechterung und Quali-
tätsminderung dadurch, daß er die vorhin hier erörterten
Erscheinungen, auch soweit sie nicht schon jetzt strafrecht-
lich als Betrug zu fassen sind, unter das Gesetz gegen
den unlauteren Wettbewerb stellen will. Und auch damit
noch nicht genug: der Staat soll Kontrollstationen ein-
richten, die von je einem technischen, künstlerischen und
kaufmännischen Sachverständigen verwaltet werden. Will
ein Fabrikant ein neues Material, eine neue Materialver-
bindung oder -Verwendung einführen, dann soll er gehalten

Alfons Ungerer, Getriebene Teller in Kupfer und Messing,
der obere ausgeführt im Hause V. Hillmer, Berlin


11
 
Annotationen