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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Breuer, Robert: Büste und Grabdenkmal: (ein Kapitel der Renaissance)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0097

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BÜSTE UND GRABDENKMAL

feinnervigen Architektur das gleiche Wohlgefühl wie
beim Betrachten eines schönen herben Jünglingsleibes.
— Zwei Einzelheiten: die Mitra des Bischofs schneidet
in die Muschelfüllung hinein. Eine Muschel wirkt
stets als Bewegung, Auflockerung — die präzisen,
geraden Linien der Kegelspitze (der Bischofsmütze)
schaffen sofort wieder Ruhe, Stabilität. Man beachte
die zurückhaltende Dekorierung auf den Flächen der
Pilaster, keine Selbständigkeit beanspruchend, nur ein
wenig anmutig belebend. —- Die gleiche künstlerische
Vollkommenheit zeigt Minos Nischengrab des Conte
Ugo in Florenz. Auch hier wieder empfindet man
deutlich das Gleichgewicht der Teile, bei klarer Sonde-
rung und Selbständigkeit der einzelnen Glieder; auch
hier wiederum muß man von einem Organismus
sprechen, von architektonischen Gelenken und Funk-
tionen. Alles ist übersichtlich: die Stufen, der Sockel,
der Pilaster, die Hauptnische, die Nebennischen,
das deckende Gebälk, der zusammenschließende
Rundbogen, die zentral angebrachte Horizontale des
Toten gegen die Vertikale der Pilaster und gegen
den Bogen. Diese strenge Harmonie, die man fast
zahlenmäßig empfindet, die eine ungeheure Ruhe und
Sicherheit auslöst, wird durch diskreten Schmuck be-
gleitet, betont, heiter gestimmt. Die große Kunst der
Komposition kommt uns erst ganz zum Bewußtsein,
wenn wir uns von der Fülle des untergebrachten
Schmuckwerkes überzeugt haben. Da sind Kannelüren,
Muscheln, die Nischen mit ihren Schatten, Medaillons;
die Rückwand ist durch Marmorinkrustation aufgeteilt,
die Sockelfläche durch Relief belebt. Auch die Neben-
figuren in den Nischen fügen sich der Rechnung
völlig ein, springen weder heraus, noch werden sie
gequetscht. Man empfindet sie nicht als »Verzierung«,
sondern durchaus als architektonischen Bestandteil, als
Glied, als Notwendigkeit; dennoch (im Gegensatz zur
Gotik): als selbstständige Monumentalwerke. c
* *
*
a Je näher wir der Hochrenaissance kommen, desto
reicher wird der Formenschatz, den die Künstler ver-
walten und regieren. Wo früher nur wenige präg-
nante Instrumente zusammenspielten, rauscht jetzt ein
glänzendes Orchester — aber die strenge Leitung,
die zweckmäßige und bewußte Ausnutzung der Mittel,
bleibt die gleiche. Freilich, zuweilen wird aus dem
größeren Reichtum bombastische Überladung und
protzenhaftes Zeigen des »Könnens«. — Entwicklungs-
geschichtlich gewinnt jetzt Rom ständig zunehmenden
Einfluß auf die Kunstübung des gesamten Italien1).
Rom mit seiner lauten, repräsentativen Kunst, Rom

1) Wie mächtig der Einfluß Roms auf jeden war, der
in den Bann der ewigen Stadt kam (man denke an Luther),
zeigt das Beispiel Fra Angelicos. Wir lieben ihn als einen
wunderfeinen Minnesänger himmlischer Glorie, als einen
zarten Dichter und Liebhaber schimmernder Farben und
sanften Goldes. Wenn wir nun aber die Stephanusfresken
sehen, die er für die vatikanische Kapelle Nikolaus’ V. ge-
malt hat, so glauben wir unsern Augen nicht zu trauen:
trotz alles Tastens eine pathetische Monumentalität — das
war Roms Geschoß. —

mit der Monumentalität der Titanen, des Bramante,
des Michelangelo. — Die Bronzebüsten dieser Zeit
sind von einer wundervollen technischen Vollkommen-
heit. Die Willensenergie, die feinsten seelischen
Regungen dieser prachtvollen Menschen werden in
großformigen Physiognomien vor uns aufgerollt1);
die Kleidung bekommt kostbaren Schmuck, sie wird
mit virtuosen Ziselierungen (oft allzu reichlich) bedeckt
(Benvenuto Cellini). Die unterschiedliche Behandlung
von Kopf und Oberkörper schwindet mehr und mehr,
beide Teile werden mit gleichem Schwung, gleicher
Verve behandelt; der Rumpf tritt aus seiner Zurück-
haltung (als Träger des wichtigeren Kopfes) heraus,
er ist nicht mehr Sockel, sondern ein gleichberech-
tigter Faktor. Der Faltenwurf der Kleider wird be-
wegter, pompöser. Für das Marmor- und Stukko-
werk mußte die Polychromie aufgegeben werden, die
Farbe wurde von dem Schatten verschlungen, von
dem Schatten, der sich zwischen den wogenden Massen
lagert. Auch der Reichtum an schwellenden Einzel-
formen verbot die Farbigkeit, die nur bei plastischer
Simplizität (wie in der Frührenaissance) oder strenger
Stilistik (wie in Griechenland) optisch erträglich und
technisch möglich ist. Für die Plastik gilt sehr nach-
drücklich der Gegensatz von farbig und malerisch.
Die Plastik des Cinquecento und noch mehr die des
Barock ist malerisch, darum bevorzugt sie die Bronze,
dies schmiegsame, weich zu faltende, aus der Tiefe
spiegelnde Material. Ein sehr schönes Beispiel dieser
gereiften Büstenform ist der Berliner Gregor XIII.;
in der den Geist ausprägenden Großformatigkeit des
Hauptes, in dem malerischen Reichtum des die mäch-
tigen Schultern umfassenden Pluviale offenbart sich
eine michelangeleske Art des Sehens, eine selbstgewisse
technische Vollkommenheit2). □
* *
*

1) Von einem großen Teil der Bildwerke der Hoch-
renaissance gilt freilich mit vollem Recht, was Bode sagt:
»Sie leiden vielfach an nüchterner Einförmigkeit, gesuchter
Ziererei und leerer Empfindungslosigkeit, die sich doppelt
fühlbar machen durch den kolossalen Maßstab.«:
2) Um eine Vorstellung von der Höhe dieser Voll-
kommenheit zu erlangen und zugleich von dem Tempo,
mit dem die technische Entwicklung vor sich ging, ver-
gleiche man mit den cinquecentistischen Güssen die des
Quattrocento. In Berlin etwa mit dem Gregor XIII., den
Kopf Ludovicos III. von Donatello, oder den Knabenkopf
von Rosselino. Man beachte besonders: die Schläfen, das
Ohr, die Backenknochen, die Mundwinkel, die Behandlung
des Haares; die Masse der Bronze, deren Farbe, die Guß-
art. Für jeden einzelnen dieser Faktoren ist der ungeheure
Fortschritt sofort deutlich. — Die köstlichsten Blüten dieser
edlen Kunst bietet die Kleinplastik. Welch erlesener,
welch göttlicher Genuß ist es, diese feingliederigen Figür-
chen in der Hand zu drehen und mit den Fingern zu lieb-
kosen. — Die Berliner Sammlung ist besonders reich an
Leckerbissen: welche sprühende Lebendigkeit, welche kri-
stallenen, dünnen Güsse, welche flüsternde Sinnlichkeit.
Die Ziegen des Riccio . . . und wir glauben, mit Makart
die Renaissance wiedergewonnen zu haben! Und der
Flirschkäfer und der Taschenkrebs und der bockende
Neger . . .
 
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