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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Breuer, Robert: Büste und Grabdenkmal: (ein Kapitel der Renaissance)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0099

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92

BÜSTE UND GRABDENKMAL

□ Für das Grabdenkmal der Hochrenaissance ist der
typische Repräsentant Andrea Sansovino, ein Schüler
des prachtliebenden Pollajulo. Denken wir jetzt an
das Werk des Mino zurück, so dünkt es uns ein an-
mutiges Stück Jugend; Andrea Sansovino aber ist der
ausgereifte, formvollendete, klassische Sinfoniker, der
aus der Fülle schöpft, dessen Reichtum keine Grenzen
kennt, der unter Pauken und Fanfaren mit dem Ma-
terial majestätisch schaltet. Die Pracht und die Kraft
am Grabdenkmal des Johannes Michaele und seines
Sekretärs Antonio d’Orso (Rom) ist geradezu unge-
heuerlich und überhaupt nur erträglich, weil allem
ein bis in das kleinste durchrechnetes Skelett zu-
grunde liegt, weil eine eiserne architektonische Logik
jedem Teil seinen Platz gewiesen hat. Wehe! wenn
auch nur eine Einzelheit herausgenommen würde;
wehe! wenn die Einzelheiten blieben und die Rech-
nung, das Skelett, die Logik verloren gingen. Es
kommt viel weniger darauf an, all die Pracht und
den schier unerschöpflichen Reichtum zu sehen, als
vielmehr die Beziehungen der einzelnen Formen als
architektonische Werte zu anderen, als Funktionen
zum Ganzen. Eins ist gewiß: einen einzigen Schritt
weiter und alles fliegt auseinander. — Auf das Grab-
mal des Ascanio Sforza (Rom) sind zwei laufende
Engel gestellt; mit einer großen Bewegung, Fackeln
tragend, kommen sie herbei, die Gewänder fliegen,
die Formen treten üppig heraus. Das Bewegte, Aus-
schwingende, Wogende ist ein charakteristisches Stil-
kriterium. Sogar die Figur des Toten ist davon er-
griffen worden. Der Bischof liegt nicht als ein Ge-
storbener in ruhiger Horizontale, er schlummert, halb
auf die Seite gedreht, den Oberkörper ein wenig
gehoben, den Kopf auf die Hand gestützt, die Beine
übereinander geschlagen, wie träumend, wie ein gast-
mahlender Römer, den der Wein übermannt. Für
unser Empfinden und ganz gewiß auch für den
klassischen Stil der Renaissance, für den Stil einer
mit selbständigen figürlichen Gliedern rechnenden
Architektur, bedeutet diese Bewegung der Körper
(sowohl der Engel, wie des Bischofs) eine Verwirrung,
ein Zerstören der Einheit1). °

1) Man könnte versuchen, diese »schlafenden« Toten,
die sich vielfach finden, zu verteidigen: die Nebenfiguren
zeigten mehr Leben als früher, die starre Horizontale wäre

n Die Formen werden immer üppiger, bewegter,
dramatisch, schreiend. Dem Material wird Gewalt
angetan, der Marmor scheint Wachs geworden2). Die
Technik ist so glänzend ausgebildet, daß sie vor
keiner Schwierigkeit zurückschreckt; sie wird aus
einem dienenden Faktor zu einer die Darstellung be-
herrschenden Selbstherrlichkeit. An die Stelle der
strengen Rechnung tritt Virtuosität, aus der festgeglie-
derten Tektonik der logischen Harmonie wird pathe-
tischer Schwung und schließlich Getaumel. Ein Bei-
spiel derartiger Auflösung ist das einem Nachfolger
des Andrea Sansovino zugeschriebene Hochrelief »Der
Sturz des Phaeton« im Berliner Museum. Ein wildes
Durcheinander, ein völliges Verkennen der plastischen
Möglichkeiten: der abstürzende Wagen mit den rea-
listisch ausgearbeiteten Rädern, das Knäuel der
Pferde, dazwischen kopfabwärts der Körper des Phaeton,
unten die dicht beblätterte Krone eines Baumes. Die
Form des Reliefs ist zersprengt, der Zusammenhang
mit der Hintergrundplatte wird nur an wenigen Stellen
gewahrt, wie locker aneinandergeklebt wirken die
Objekte, keineswegs als ein sich als Relief darstellender
Organismus. Statt eines edlen Rhythmus empfinden
wir das Tosen eines Strudels. Unwillkürlich gedenken
wir der Gigantomachie von Pergamon oder römischer
Sarkophage. Hier wie dort ist der Barock ein Auf-
lösungsprozeß. Das sei festgehalten. Gewiß, dieser
Auflösungsprozeß des 17. Jahrhunderts ist (wie auch
der in Pergamon) ein äußerst glanzvoller, die Ge-
schichte wertet ihn als einen eigenen Stil, als einen
Stil der robusten Gesundheit und des schwelgenden
Reichtums. Aber trotz alledem: die Kunst ist im
Niedergang, weil, wenn das Skelett verkümmert, auch
der statiöseste Körper schließlich zusammenbrechen
muß. o

als ein zu scharfer Kontrast empfunden worden — dies
gälte besonders für die Doppelgräber, auch hätten hier
zwei horizontal liegende Körper parallel übereinander,
zwischen den Architekturlinien, langweilig gewirkt; einer
dieser Körper hätte als Bewegung schaffendes Mittel be-
nutzt werden müssen. Von dem horizontal liegenden
Toten war größtenteils nur das Profil wahrnehmbar, warum
sollte ein Teil der schwierigsten Arbeit dauernd verdeckt
bleiben. —
2) Etwa bei Bernini und Maratti.
ROBERT BREUER.

□ Der Wind, der von den Gräbern der Alten her-
weht, kommt mit Wohlgeriichen über einen Rosenhiigel. Die
Grabmäler sind herzlich und rührend und stellen immer
das Leben her. Da ist ein Mann, der neben seiner Frau
aus einer Nische wie zu einem Fenster heraussieht. Da
stehen Vater und Mutter, den Sohn in der Mitte, einander
mit unaussprechlicher Natürlichkeit anblickend. Hier reicht
ein Paar sich die Hände. Hier scheint ein Vater, auf
seinem Sofa ruhend, von der Famdie unterhalten zu werden.
Hier ist ein geharnischter Mann auf den Knien, der eine

fröhliche Auferstehung erwartet. Der Künstler hat mit mehr
oder weniger Geschick uns die einfache Gegenwart der
Menschen hingestellt, ihre Existenz dadurch fortgesetzt und
bleibend gemacht. Sie falten nicht die Hände, schauen
nicht in den Himmel, sondern sie sind hienieden, was sie
waren und was sie sind. Sie stehen beisammen, nehmen
Anteil aneinander, lieben sich, und das ist in den Steinen,
sogar mit einer gewissen Handwerksunfähigkeit, allerliebst
ausgedriickt.« a

Goethe.
 
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