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TAPETEN UND BEMALTE WOHNRÄUME IN HAMBURG
konnte. Und das war das Malergewerbe. Diese Gründer-
zeit hat das Malergewerbe, wie es in unserem Bewußtsein
lebt, gemodelt und hat es damit in Mißkredit gebracht für
eine spätere kunstgewerbliche Zeit. Zugleich aber hatte
die Großstadtentwicklung der Gründerperiode das Maler-
gewerbe zahlenmäßig anschwellen lassen, so daß ein Rück-
schlag wirtschaftlich tiefer einschneiden mußte, als wenn
er nur ein schwach vertretenes Gewerbe betroffen hätte.
Man denke an die Xylographen, ihre Ausschaltung greift
wohl in einzelne Menschenleben schmerzlich ein, wenn
aber ein Beruf von über 200 000 erwerbstätigen Angehö-
rigen eine solche Ausschaltung erfährt, so bedeutet das
fast eine gewerbliche Katastrophe, die auch andere Berufe
in Mitleidenschaft zieht. □
□ Aus diesem Turm der Bedrängnis suchen nun die Maler
herauszukommen; sie suchen sich einen Platz zu erobern
neben den anderen kunstgewerblichen Branchen, die die
Stilbewegung auf die Höhe geführt hat. Freilich ist das
nicht widerstandslos durchzuführen. Wie der Luxus unserer
Zeit ein anderer geworden ist, so ruht er auch auf der
Anwendung anderer Techniken und vor allem anderer
Materialien. Die Verwendung von Marmor und gediegenem
Metall, von echtem fremden Holz, von guten reellen Stoffen,
von Keramik, Mosaik, wirklicher statt imitierter Glasmalerei
ist zum Gebrauch geworden, nicht nur in eigentlichen
Luxusbauten, sondern auch in Zweckbauten nahezu all-
täglicher Art; der gestiegene Nationalreichtum schafft sich
hier eine sehr glückliche Gelegenheit, der Kultur zu nützen.
Aber mit dieser Echtheit, die zuweilen sogar in Echtheits-
protzentum Umschlägen kann, jagt man den Maler aus
dem Hause, dessen Kunst oder Handwerk doch immer
nur die Oberfläche begreift und sich um das Grundmaterial
wenig kümmert. Mit dem Axiom, daß die Zweckform für
sich allein und für alle Zeiten die Schönheit in sich
trage, muß der Maler, der zur Zweckform nichts oder nur
wenig beitragen kann, zurückweichen. □
□ Hätte somit der Maler schon allein gegen diese Strö-
mung im kunstgewerblichen Leben einen schweren Stand,
so fand er da, wo sich von der Doktrin doch nicht alle
über die Zweckform hinausreichende Beweglichkeit in
Formen- und Farbenspiel lähmen ließ, einen Nebenbuhler:
die Tapete. Sie hat im 19. Jahrhundert immer Schritt ge-
halten mit der Stubenmalerei; was die Stubenmaler machten,
wurde ebenso, mit demselben Material und in der Wirkung
der Schablonenarbeit des Stubenmalers ganz gleich auf das
Papier gedruckt, allerdings noch im Handbetrieb und nicht
billiger, als die originalen Arbeiten der Stubenmaler, immer-
hin aber doch warenmäßig, auf Vorrat und beim Vertrieb
auf den Händler angewiesen, der ein Interesse daran hatte,
Kunden zu suchen. Die Tapeten waren noch nicht billig.
Aber das ward mit einem Male anders, als aus der Tapeten-
manufaktur die Tapetenfabrik wurde. Als die Tapeten-
druckmaschine von England um die Mitte des 19. Jahr-
hunderts nach dem Kontinent kam, da war auch die Er-
zeugung endlosen Papiers so weit gediehen und die Dampf-
maschine so weit, entwickelt, daß von nun an mittels
Dampfkraft und mittelst Rotationsmaschinen auf endloses
Papier Tapeten gedruckt werden konnten und nun mußten
diese notwendigerweise Massenartikel werden und also
— massenhaft Malerarbeit verdrängen. Denn die Tapete
als Massenartikel ist nichts als warenmäßig, auf Vorrat,
zur Auswahl, als industrieller Massenartikel, als Export-
ware hergestellter Wand- und Deckenanstrich mit jeder
Art von Musterung. Ist also eine maschinenmäßige Ab-
lösung handwerksmäßiger Malerarbeit, auch noch, nachdem
die Auswüchse des Tapetenwesens beschnitten und sie auf
die Bekleidung der Fläche beschränkt ist. a
□ So treten sich in Hamburg die Maler und die Tapeten-
fabrikanten in ihren Ausstellungen entgegen, hier, um zu
zeigen, daß Wohnräume ausgemalt werden sollten, dort,
um zu zeigen, daß man in Wohnräumen alles auch tape-
zieren kann, die Fenster mit opakem Papier nicht aus-
geschlossen, und da auch das Linoleum mit der Tapeten-
industrie verwandt ist, kann auch der Fußboden mit hinzu-
gerechnet werden; der Maler mag sich dann mit dem An-
strich der Türen und Fenster begnügen. □
□ Es ist klar, daß solche Ausstellungen einseitig ihre In-
teressen vertreten; darin liegt ihr Prinzip und diese prin-
zipielle Einseitigkeit ist bei der Tapetenausstellung nahezu
restlos durchgeführt; die Ausstellung bemalter Wohnräume
läßt den Zügel ihres Prinzips lockerer hängen, trotzdem
natürlich Papiertapeten in ihr nicht zu sehen sind. Aber
dafür kann man öfter sehen, daß die Maler mit ihrer
Wandbehandlung der Wirkung der Tapete gleichzukommen
suchen, weil man immer sagen hört, die Wandbemalung
wirke bei aller sorgfältigen Ausführung kälter als die Tape-
zierung. In einigen Zimmern ist die Wandbehandlung
technisch so vollendet, daß sie dem Eindruck nach von
Tapete nicht zu unterscheiden ist; es fragt sich nur, ob sie
dann auch im Preise mit einer solchen Tapete konkurrieren
kann. Da liegt des Pudels Kern; sonst möchte ich nicht
rechten darum, ob das richtig sei, wenn die Maler die
Tapete mit gleichen Ausdrucksmitteln ersetzen wollen. Die
Tapete hat die Malerei imitiert, hat dabei vermöge der
Drucktechnik bestimmte Vorzüge in den Effekten errungen
und nun der Maler ohne besondere Künsteleien diese
Effekte mit seinen Mitteln auf einfache Weise hervorbringen
kann, so soll ihm das nicht als Imitation ausgelegt werden.
Die Praxis greift hier schon selbst regelnd ein, wenn es
sich um die — Bezahlung handelt. □
n Die Maler haben unter den Kunstgewerblern viele
Feinde und man sieht von hohem kunstgewerblichen Olymp
TAPETEN UND BEMALTE WOHNRÄUME IN HAMBURG
konnte. Und das war das Malergewerbe. Diese Gründer-
zeit hat das Malergewerbe, wie es in unserem Bewußtsein
lebt, gemodelt und hat es damit in Mißkredit gebracht für
eine spätere kunstgewerbliche Zeit. Zugleich aber hatte
die Großstadtentwicklung der Gründerperiode das Maler-
gewerbe zahlenmäßig anschwellen lassen, so daß ein Rück-
schlag wirtschaftlich tiefer einschneiden mußte, als wenn
er nur ein schwach vertretenes Gewerbe betroffen hätte.
Man denke an die Xylographen, ihre Ausschaltung greift
wohl in einzelne Menschenleben schmerzlich ein, wenn
aber ein Beruf von über 200 000 erwerbstätigen Angehö-
rigen eine solche Ausschaltung erfährt, so bedeutet das
fast eine gewerbliche Katastrophe, die auch andere Berufe
in Mitleidenschaft zieht. □
□ Aus diesem Turm der Bedrängnis suchen nun die Maler
herauszukommen; sie suchen sich einen Platz zu erobern
neben den anderen kunstgewerblichen Branchen, die die
Stilbewegung auf die Höhe geführt hat. Freilich ist das
nicht widerstandslos durchzuführen. Wie der Luxus unserer
Zeit ein anderer geworden ist, so ruht er auch auf der
Anwendung anderer Techniken und vor allem anderer
Materialien. Die Verwendung von Marmor und gediegenem
Metall, von echtem fremden Holz, von guten reellen Stoffen,
von Keramik, Mosaik, wirklicher statt imitierter Glasmalerei
ist zum Gebrauch geworden, nicht nur in eigentlichen
Luxusbauten, sondern auch in Zweckbauten nahezu all-
täglicher Art; der gestiegene Nationalreichtum schafft sich
hier eine sehr glückliche Gelegenheit, der Kultur zu nützen.
Aber mit dieser Echtheit, die zuweilen sogar in Echtheits-
protzentum Umschlägen kann, jagt man den Maler aus
dem Hause, dessen Kunst oder Handwerk doch immer
nur die Oberfläche begreift und sich um das Grundmaterial
wenig kümmert. Mit dem Axiom, daß die Zweckform für
sich allein und für alle Zeiten die Schönheit in sich
trage, muß der Maler, der zur Zweckform nichts oder nur
wenig beitragen kann, zurückweichen. □
□ Hätte somit der Maler schon allein gegen diese Strö-
mung im kunstgewerblichen Leben einen schweren Stand,
so fand er da, wo sich von der Doktrin doch nicht alle
über die Zweckform hinausreichende Beweglichkeit in
Formen- und Farbenspiel lähmen ließ, einen Nebenbuhler:
die Tapete. Sie hat im 19. Jahrhundert immer Schritt ge-
halten mit der Stubenmalerei; was die Stubenmaler machten,
wurde ebenso, mit demselben Material und in der Wirkung
der Schablonenarbeit des Stubenmalers ganz gleich auf das
Papier gedruckt, allerdings noch im Handbetrieb und nicht
billiger, als die originalen Arbeiten der Stubenmaler, immer-
hin aber doch warenmäßig, auf Vorrat und beim Vertrieb
auf den Händler angewiesen, der ein Interesse daran hatte,
Kunden zu suchen. Die Tapeten waren noch nicht billig.
Aber das ward mit einem Male anders, als aus der Tapeten-
manufaktur die Tapetenfabrik wurde. Als die Tapeten-
druckmaschine von England um die Mitte des 19. Jahr-
hunderts nach dem Kontinent kam, da war auch die Er-
zeugung endlosen Papiers so weit gediehen und die Dampf-
maschine so weit, entwickelt, daß von nun an mittels
Dampfkraft und mittelst Rotationsmaschinen auf endloses
Papier Tapeten gedruckt werden konnten und nun mußten
diese notwendigerweise Massenartikel werden und also
— massenhaft Malerarbeit verdrängen. Denn die Tapete
als Massenartikel ist nichts als warenmäßig, auf Vorrat,
zur Auswahl, als industrieller Massenartikel, als Export-
ware hergestellter Wand- und Deckenanstrich mit jeder
Art von Musterung. Ist also eine maschinenmäßige Ab-
lösung handwerksmäßiger Malerarbeit, auch noch, nachdem
die Auswüchse des Tapetenwesens beschnitten und sie auf
die Bekleidung der Fläche beschränkt ist. a
□ So treten sich in Hamburg die Maler und die Tapeten-
fabrikanten in ihren Ausstellungen entgegen, hier, um zu
zeigen, daß Wohnräume ausgemalt werden sollten, dort,
um zu zeigen, daß man in Wohnräumen alles auch tape-
zieren kann, die Fenster mit opakem Papier nicht aus-
geschlossen, und da auch das Linoleum mit der Tapeten-
industrie verwandt ist, kann auch der Fußboden mit hinzu-
gerechnet werden; der Maler mag sich dann mit dem An-
strich der Türen und Fenster begnügen. □
□ Es ist klar, daß solche Ausstellungen einseitig ihre In-
teressen vertreten; darin liegt ihr Prinzip und diese prin-
zipielle Einseitigkeit ist bei der Tapetenausstellung nahezu
restlos durchgeführt; die Ausstellung bemalter Wohnräume
läßt den Zügel ihres Prinzips lockerer hängen, trotzdem
natürlich Papiertapeten in ihr nicht zu sehen sind. Aber
dafür kann man öfter sehen, daß die Maler mit ihrer
Wandbehandlung der Wirkung der Tapete gleichzukommen
suchen, weil man immer sagen hört, die Wandbemalung
wirke bei aller sorgfältigen Ausführung kälter als die Tape-
zierung. In einigen Zimmern ist die Wandbehandlung
technisch so vollendet, daß sie dem Eindruck nach von
Tapete nicht zu unterscheiden ist; es fragt sich nur, ob sie
dann auch im Preise mit einer solchen Tapete konkurrieren
kann. Da liegt des Pudels Kern; sonst möchte ich nicht
rechten darum, ob das richtig sei, wenn die Maler die
Tapete mit gleichen Ausdrucksmitteln ersetzen wollen. Die
Tapete hat die Malerei imitiert, hat dabei vermöge der
Drucktechnik bestimmte Vorzüge in den Effekten errungen
und nun der Maler ohne besondere Künsteleien diese
Effekte mit seinen Mitteln auf einfache Weise hervorbringen
kann, so soll ihm das nicht als Imitation ausgelegt werden.
Die Praxis greift hier schon selbst regelnd ein, wenn es
sich um die — Bezahlung handelt. □
n Die Maler haben unter den Kunstgewerblern viele
Feinde und man sieht von hohem kunstgewerblichen Olymp