Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

DOI Artikel:
Fischer, Aloys: Das Musikzimmer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0197

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
190

DAS MUSIKZIMMER

Beispiel verglichen sein. Schumacher baut den Erker
weit von der Tonquelle weg und füllt ihn mit Möbeln;
dadurch nimmt er den Zuhörern, die er darin unter-
bringt, fast ganz den Blick auf den Musizierenden
und erschwert ihnen die Aufmerksamkeit. Aber mit
dem geräumigen Erker gewinnt er einen schönen
Familienplatz, und so scheint das Wohnzimmer zu
gewinnen, was das Musikzimmer einbüßt. Aber es
scheint nur so; denn dadurch, daß alle Sitz- und
Arbeitsgelegenheit in diesen Erker hinausverlegt ist,
wird er wieder zu klein für den Lebensgebrauch; und
außerdem ist die -— wahrscheinlich aus akustischen
Gründen gewählte — flache Tonne ein anspruchsvoll-
unbehaglicher Deckenabschluß für einen alltäglichen
Raum. Hempels Zuhörererker ist dagegen von be-
haglicher Tiefe und beginnt gleich neben dem Flügel;
dadurch gewinnt der Architekt noch einen zweiten
Platz, eine weitere Ecke für Publikum. Ähnlich wie in
Hempels Musikzimmer ist die Raumdisposition auch in
dem musterhaft schönen Zimmer auf Saaleck (S. 186),
freilich trägt bei diesem der Charakter des Mobiliars
und des wirklich Belebten viel zum Eindruck bei,
was bei Ausstellungszimmern fehlt und wohl immer
fehlen muß. Ein Ausstellungszimmer soll noch der
Individualität des künftigen Bestellers und Besitzers
Spielraum lassen und muß deshalb verhältnismäßig
kahl, seelenlos sein, wenn ich mich so ausdrücken
darf. □
□ An die rechteckigen Grundrisse reihen sich die
ovalen, die Rechtecke mit Apsisabschluß, die Recht-
ecke mit erhöhtem Podium an der Schmalwand. Der
ovale Grundriß eignet sich mehr für das Musik-
Arbeitszimmer; für Zuhörer ist kein rechter Platz darin,
während man sich lebhaft vorstellen kann, wie in dem
von Altherr entworfenen Raume die Sängerin am
Flügel übt, hin und her geht, studierend, Noten lesend,
oder an dem kleinen Tischchen schreibt. (S. 184.
Es konnte leider nur die Hälfte des Zimmers hier
veranschaulicht werden. Red.) □
□ Alle Rechtecke müssen, wenn sie für das Musik-
zimmer sich eignen sollen, auch eine gute Breiten-
entwicklung haben; schmale, korridorartige Zimmer
sind unglücklich für Musizierende und Zuhörer; ent-
weder wird der Ton gepreßt oder er dröhnt wie in
einer Röhre. Bei rechteckigem Grundriß ist die Größe
des Raumes wirklich der entscheidende Faktor, und
da in unseren Zimmern das Rechteck noch immer
einen — unerklärlichen —-Vorzug besitzt, so darf man
wohl auf Muster hinweisen, wie das Schrödersche
Musik-Empfangszimmer mit zwei Klavieren, und den
auch in der farbigen Ausstattung gelungenen Raum
im Landhaus Koepp-Rekum von Runge & Scotland
(Bremen). In beiden Zimmern handelt es sich um
Schöpfungen, die auch auf dem Hochparterre eines
Miethauses möglich sind. □
o An die zentrierten Räume, an die Zimmer mit

einer dominierenden Ausbreitung schließen sich solche,
deren Grundriß durch Ausbauten, Erker, durch Niveau-
unterschiede sehr gliederungsreich ist. Es sind Räume,
in denen viele »Situationen« entstehen, voneinander
unabhängige Wohnplätze (S. 181). Sie sind, wenn nicht
gar zu dezentralisiert und zerklüftet, der Absicht des
Musikzimmers nicht ungünstig: ich möchte die Halle
im Hause Christiansen als Beispiel dafür geltend machen.
Bei ihr wirkt freilich die luftige Höhe noch mit;
aber selbst wenn wir uns den Plafond des ersten
Stockwerkes durchgezogen denken, bleibt noch ein
Raum, in dem sich ungezwungen eine verschieden
interessierte Gesellschaft verträgt, in dem dort zwei,
drei Menschen plaudernd sitzen, hier eine Gruppe
steht, dort ein Einzelner zu beschaulichem Überblick
und andächtiger Aufmerksamkeit ein Asyl findet, in
welchen der Musiker aus seiner Ecke unter der Treppe
beherrschend hineinblickt und hineinsingt. □
a Die Arbeiten von Muthesius, Bruno Paul, Schultze-
Naumburg und W. Kreis sind typische Lösungen des
Musikzimmer-Problems; ihnen ist es gelungen, die
Zuhörerplätze so zur Tonquelle zu orientieren, daß
die Bedingungen der Auffassung möglichst günstig
sind, und daß zugleich im Raum einheitlich verbun-
dene Gruppen, Situationen entstehen, die im wohl-
tätigen Gegensatz zu der Monotonie der Sitzreihen
im Konzertsaal den Charakter des Privaten, Wohn-
lichen fundieren. Dazu kommt, daß auch die Aus-
stattung passend gewählt ist, sowohl die Dinge,
die vorhanden sind, wie namentlich, was als über-
flüssig, zweckwidrig, ablenkend aus dem Musikraume
verwiesen wurde. Darum ist der Eindruck dieser
Räume ein eindeutiger, klarer, unaufdringlich stim-
mungsvoller, durchaus erfüllt von einer Atmosphäre,
die auf den Vortrag edler Musik würdig vorbereitet.
Eben diese eindeutige Stimmung läßt auch jede
andere Verwendung des Raumes als Mißbrauch er-
scheinen; und ein Musikzimmer ist nur dann wahr-
haft, was sein Name sagt, wenn es nichts anderes
sein kann. Das klingt komisch, ist aber richtig, und
ich meine, daß der komische Klang solcher Sätze
um so mehr verschwindet, je stärker in Künstlerschaft
und Publikum der Sinn für zweckdienliche Durch-
bildung aller kunstgewerblichen Formen wächst.
Zweckmäßigkeit ist jedoch nicht einfache Brauchbarkeit,
notdürftiges Genügen; höchste Prägnanz und Rück-
sicht auf die ästhetischen Empfindlichkeiten des Men-
schen sind ihr noch essentieller. Ich meine, an den
Beispielen gezeigt zu haben, daß man zwar in fast
jedem Raume Musik machen kann, daß aber erst,
wenn das Musikmachen zum Zweck des Raumes er-
hoben wird, eine eigenartige Formgebung einsetzt,
und daß derjenige Künstler die meiste Aussicht hat,
zu neuen ästhetischen Werten geführt zu werden, der
den Zweck am tiefsten erfaßt und für das Auge über-
zeugend gestaltet. □
 
Annotationen