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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Elster, Alexander: Von den Grenzen einer Kunstgattung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0162
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VON DEN GRENZEN EINER KUNSTGATTUNG

VON DR. ALEXANDER ELSTER

ZU dem Gesetz, das jedes Ding in sich trägt, gibt
den Kommentar die Kunst. Und wehe der Kunst,
wenn sie falsch kommentiert; sie macht nicht allein
ihre eigene Arbeit unbrauchbar, sie schädigt zugleich auch
die Sache, die sie zu heben glaubte.

Nur allzuoft haben Künstler und kunstgewerbliche Ge-
stalter die Wahrheit übersehen, die sie nie übersehen durften:
daß man mit dem Kunstfleiß Schaden anrichtet, wenn man
sich von dem Gesetz des Stoffes entfernt. Und so einfach
und abgelaufen diese Weisheit ist, so wird doch immer
noch gegen sie gesündigt.

Eines der eindrucksvollsten Beispiele dieser Art ist die
kürzlich vorgeführte Filmung der »Lohengrin«-Oper. Mit
großem Geklingel angekündigt gab man Wagners »Lohen-
grin«, also mit der regelrechten Musik und den üblichen
Kulissen, mit den Solo- und Chorgesängen auf und vor
der Leinwand und meinte fürwahr, damit einen Fortschritt
der Filmkunst getan zu haben. Spottete seiner selbst und
wußte nicht wie. Wem zum besten sollte das dienen?
Nicht etwa das Märchenhaft-Phantastische, die Gralherkunft,
die wunderbare Ankunft, die Gottfried-Verwandlung, alles
Dinge, die ich mir in einem Lohengrin-Film wirklich her-
vorragend eigenartig und schön denken kann — nein, aus-
gerechnet eine Durchschnitts-Bühnenaufführung der Oper,
mit ihrer gemalten Scheide, den ausgeputzten Choristen,
dem ganzen Opernzug der Telramund- und Heerruferpartien,
mit dem künstlichen Schwan, der Taube am Draht und
was es alles noch für Kompromisse der Opernbühne gibt.
Man war also in unglaublicher Beschränktheit geradezu
allem aus dem Wege gegangen, was für den Film neue
und besondere Kunstwirkung gewesen wäre, und hat über-
dies mit der Wahl gerade dieser Oper so daneben gehauen,
wie man es gar nicht schlechter hätte treffen können.

Wir wissen wohl, was man Richtiges gewollt hat: die
Musik als eine notwendige Ergänzung des stummen be-
wegten Bildes in künstlerische Beziehung zum Bilde zu
setzen und sie zugleich den Zufalls- und Gewaltanpassungen
der Kinoklavierspieler zu entreißen. Wollte man da einen
Großen der Kunst bemühen, so wäre Wagners Siegfried
eher etwas dafür gewesen, gesetzt den Fall, ein wahrer
Künstler des Films hätte Regie geführt — eine neue Land-
schafts- und Naturregie und den Sagen- und Mär-Gehalt
gewoben und neu ans Licht gebracht. So aber vergaß man
jegliche Kunstforderungen des Lichtbilddramas und übersah
alle Grenze der besonderen Kunstgattung. Was das
Musikalische aber betrifft, so gibt es auch jetzt schon Kino-
kapellen, die Mustergültiges in der Anwendung vorhandener
Musikstücke auf Filmstücke leisten und das opernhafte
Element völlig herstellen.

Solches Verkennen der Kunst steht aber heute durch-
aus nicht allein. Von den vielen ebenso in der Kunstgrenze
sich irrenden Kinodramen soll dabei gar nicht einmal ge-
sprochen werden; ein anderes theaterartiges Kunstgewerbe,
das Puppenspiel, weist gleiche Sünden auf.

Selbst die höchste Natürlichkeit der Puppen hat doch
immer noch etwas Grotesk-Komisches: ein Homunkulus
ist nicht etwa eine bewegliche Statue, sondern bleibt immer
ein Kunstgnom. Und Gnomen sind Kerle, die man nicht
ernst nimmt (wenn man sie nicht wie einen Golem oder
einen Teufel ins Schaurige, Gruselige verzerrt). Aber selbst
solche Gestalten sind von den größten Künstlern immer
mindestens mit einem Anflug von Komik ausgestattet

worden. Kurzum: der kleine Gott der Welt läßt sich nicht
äffen, und Lessings Philotas, den Heldenjüngling ehrbarster
untadeligster Richtung, auf die Puppenbühne zu bringen,
ist ein Mißgriff. Schon das Vorspiel auf dem Theater aus
Goethes »Faust« eignet sich nicht dafür trotz der vorzüg-
lich charakteristischen Gestalt, die Ivo Puhonny den drei
Personen gegeben hat, und trotz der natürlichen, ja oft
packenden Bewegungen, in denen sie sich geben. Aber
es ist doch letztlich nur Freude am technischen Experiment,
das wir dabei empfinden, Freude an Kunstfertigkeiten —
nicht Kunstfreude selber. Sobald der Puppenspieler ins
Märchenhafte oder ins Groteske oder ins Komische geht,
hat er sein Publikum fest und mit Fug in der Hand. Den
Prolog im Himmel hat Puhonny glänzend gemacht; er
malte einen phantastisch großartigen, stilisierten Himmel
im kleinen, verzichtete auf die Gestalten des Herrn und der
Erzengel, die er unbekannt woher sprechen ließ und stellte
Mephisto in außerordentlich packender Mensch-Fledermaus-
Gestalt rot in die Mitte. Das wirkt und ist Kunst wie
alles das, was wirklich fürs Puppenspiel geschrieben oder
aus seiner unwirklichen Art herausgeboren und möglich
geworden ist.

Man kann auch hier wieder verstehen, daß es den
Künstler trieb, die Grenzen seiner Kunst kennen zu lernen
und sie zugleich so weit zu stecken, wie es irgend angängig
schien, und daß es ihm nicht ganz vorbeigelang, spricht
immerhin für sein Geschick. Aber eben nur für dieses —
ein künstlerischer Irrtum bleibt es doch.

Und so kommen wir noch zu einem Dritten. Das
Feuilleton ist literarisches Kunstgewerbe. Die Zeitung ist
dazu da, Neues zu bringen; über dem Strich bringt sie
Staats- und politische Sachen, unter dem Strich — was der
ernste Politiker »Blechkasten« nennt, bringt sie gelehrte
und künstlerische Sachen. Auf daß etwas ein rechtes
Feuilleton sei, muß es also entweder der Gelehrsamkeit
oder der Kunst in leichter Form dienen und Neues bringen.
Das alles scheint mir unanfechtbar. Da gibt es aber Schrift-
steller mit Namen, die (das ist freilich ihr gutes Recht)
das unglaublichste Zeug zusammenschreiben und es (was
schon schlimmer ist) auch an namhafter Stelle anbringen.
Was soll man z. B. dazu sagen, wenn Peter Altenberg
kürzlich in der »Vossischen Zeitung« unter dem Titel
»Speisehaus Prodromos« »ein unerfülltesldeal« seiner gastro-
nomischen Muse gibt, das alles andere als gelehrte
oder künstlerische Aufgaben erfüllt? Entweder macht man
so etwas mit Herbeischaffung von Gründen, durch die die
Zweckmäßigkeit und »ideale« Gestalt dieses »Ideals« auch
dem blutigen Laien verständlich wird — oder aber man
gibt der Sache eine künstlerische und damit allgemeingültige
Form. Aber bloß paradoxe oder barocke Forderungen
hinzuschreiben, die deshalb etwas wert sein sollten, weil
sie Herr Peter Altenberg gerade richtig findet — nun es
wird viele Leute geben, die eine andere Meinung von
Feuilleton haben und seine Grenzen jedenfalls höher stecken.
»Es werden nur Speisen sein, die in drei bis fünf Stunden
verdaut sind. Daher bei jeder Speise ein sogenannter
Hygiene-Zuschlag von 50 Heller« . . . »zu jedem tiefen
Kristall-Schüsselchen Kartoffeln ein ebensolches Schüssel-
chen Tunke«......»der fast heilige Spinat . . . Bohnen-
püree kalt mit Zitronensaft bereitet . . . ausgelöste (ohne
Haut und Gräten) große Fischstücke in kalten oder warmen
Tunken in tiefen Porzellanschüsselchen, Näpfen, ange-

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