DER KUNSTMARKT
Vor allem fanden sich alle in dem einen Gedanken zusammen, die ganze Welt schön zu gestalten. Alles
sollte inHarmonie geordnet, in großeKreise eingeschaltet werden. Die bildenden Künste straffen sich zunächst
zur Einfachheit. Das Kunstwerk sucht seinen Gehalt zu innervieren, um Ausdruckskunst zu werden. Und aus
der Straffung heraus, aus dem Verlangen nach Klarheit, übersichtlicher Gliederung und Bedeutsamkeit wird die
Linie das Ausdrucksmittel des neuen
Darstellung, sondern als Ausdruck
geistiger Bewegungen und der bild-
beherrschenden Schönheit. Von
Hodler und von Munch kamen
Ströme, aus denen der Jugend-
stil schöpfen konnte. Freilich ver-
mied er die gewaltigen Affekte,
die seelischen Erschütterungen,
denn er wollte ja in die
Breite wirken, wollte heiter und
harmonisch sein. England mit
Beardsley und dem Studio-Kreis
war verwandter. Ein bacchanti-
sches Temperament wirft sich auf
den Effekt der Abstraktionen und
die Phantastik in Farben und
Linienführung. Welche Wirkungen
lassen sich mit plötzlich auf-
tauchenden und ausschwingenden
Linien in der Fläche erzielen!
Außerdem wird das Recht der
Expression ausgenutzt, mit inter-
essanten und immer neuen Inhalten
zu überraschen. Der Ausdruck hält
sich aber stets zurück gegenüber
Bücher, Möbel, Tapeten, alle
Stils. Der Jugendstil bekennt sich
Und dann kam, was
Gebrauchsgegenstände,
zur Linie nicht nur als Mittel der
dem Endziel, schön zu wirken, eine
Dekoration zu schaffen. Die Jugend-
stilleute standen in Front gegen
den Impressionismus; aber letzten
Endes waren sie nur Frondeurs,
die vom Geist des Gegners nie
völlig los konnten. Wie einem
Rausche gibt man sich der Linie
hin. Die Ornamentarisierung des
Bildinhaltes macht vor nichts Halt.
Alles gerät in ein schmiegsames
Gleiten und Drehen; und dieses
Spiel setzt sich, sei es in abstrakten
Linien oder in floristischen Motiven,
bis auf den Rahmen fort.
Seinem tiefsten Wesen nach
hätte der Jugendstil ein Stil der
Oeffentlichkeit und der Feste wer-
den müssen; aber es resultierte
nur ein Schmücken an allen
Enden. Es bestand keine Kon-
gruenz zwischen Stilwillen und ge-
meingültigen Inhalten. Der Jugend-
stil bemächtigte sich der „ange-
wandten Künste“, Er schmückte
kommen mußte: man übernahm sich.
und es wurde allen furchtbar übel. Und später unter dem Eindruck der Weltkatastrophe, wurde dieselbe Linie,
bisher schwingend und gekurvt, nun zackig und gebrochen, und an die Stelle der sehnsüchtig erstrebten bac-
chantischen Schönheit traten hemmungslose, zynische, brutale Gestaltungen seelischer Vorgänge, Seiltanz auf
den Nerven.
VAN DE VELDE. ORNAMENT
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Vor allem fanden sich alle in dem einen Gedanken zusammen, die ganze Welt schön zu gestalten. Alles
sollte inHarmonie geordnet, in großeKreise eingeschaltet werden. Die bildenden Künste straffen sich zunächst
zur Einfachheit. Das Kunstwerk sucht seinen Gehalt zu innervieren, um Ausdruckskunst zu werden. Und aus
der Straffung heraus, aus dem Verlangen nach Klarheit, übersichtlicher Gliederung und Bedeutsamkeit wird die
Linie das Ausdrucksmittel des neuen
Darstellung, sondern als Ausdruck
geistiger Bewegungen und der bild-
beherrschenden Schönheit. Von
Hodler und von Munch kamen
Ströme, aus denen der Jugend-
stil schöpfen konnte. Freilich ver-
mied er die gewaltigen Affekte,
die seelischen Erschütterungen,
denn er wollte ja in die
Breite wirken, wollte heiter und
harmonisch sein. England mit
Beardsley und dem Studio-Kreis
war verwandter. Ein bacchanti-
sches Temperament wirft sich auf
den Effekt der Abstraktionen und
die Phantastik in Farben und
Linienführung. Welche Wirkungen
lassen sich mit plötzlich auf-
tauchenden und ausschwingenden
Linien in der Fläche erzielen!
Außerdem wird das Recht der
Expression ausgenutzt, mit inter-
essanten und immer neuen Inhalten
zu überraschen. Der Ausdruck hält
sich aber stets zurück gegenüber
Bücher, Möbel, Tapeten, alle
Stils. Der Jugendstil bekennt sich
Und dann kam, was
Gebrauchsgegenstände,
zur Linie nicht nur als Mittel der
dem Endziel, schön zu wirken, eine
Dekoration zu schaffen. Die Jugend-
stilleute standen in Front gegen
den Impressionismus; aber letzten
Endes waren sie nur Frondeurs,
die vom Geist des Gegners nie
völlig los konnten. Wie einem
Rausche gibt man sich der Linie
hin. Die Ornamentarisierung des
Bildinhaltes macht vor nichts Halt.
Alles gerät in ein schmiegsames
Gleiten und Drehen; und dieses
Spiel setzt sich, sei es in abstrakten
Linien oder in floristischen Motiven,
bis auf den Rahmen fort.
Seinem tiefsten Wesen nach
hätte der Jugendstil ein Stil der
Oeffentlichkeit und der Feste wer-
den müssen; aber es resultierte
nur ein Schmücken an allen
Enden. Es bestand keine Kon-
gruenz zwischen Stilwillen und ge-
meingültigen Inhalten. Der Jugend-
stil bemächtigte sich der „ange-
wandten Künste“, Er schmückte
kommen mußte: man übernahm sich.
und es wurde allen furchtbar übel. Und später unter dem Eindruck der Weltkatastrophe, wurde dieselbe Linie,
bisher schwingend und gekurvt, nun zackig und gebrochen, und an die Stelle der sehnsüchtig erstrebten bac-
chantischen Schönheit traten hemmungslose, zynische, brutale Gestaltungen seelischer Vorgänge, Seiltanz auf
den Nerven.
VAN DE VELDE. ORNAMENT
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