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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 9 (1. Februarheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Zehn Gebote zur Wohnungseinrichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0355
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nehm, ein Haufen noch so netter Sachen, auf deren jedem wieder ein
Haufen noch so netter Sächelchen stehen, machen sie lächerlich. Niemals
zwei Linien, wo eine gleich gut den Zweck ersüllt, niemals zwei Farben,
wo eine genügt! Sind kleine Formen nicht zu vermeiden, müssen sie
zusammenaefaßt und zusamrnen eingeordnet werden ins Ganze.

Siebentes: Fürchte dich nicht vor der Form!

Wähle unverzagt diejenige Form, die das Material und den
Zweck am besten ausdrückt, und ob sie auch ungewöhnlich sei. Was
die Konstruktion ergibt, das verdecke und verstecke nie ohne Not. Sieh
lieber, ob du nicht gerade das Konstruktive auch sür das Auge zur
Hauptsache machen kannst; gelingt es dir, so machst du in der That
aus der Not eine Tu g en d. Denn so gewinnt das kunstgewerbliche Ding
sozusagen Mnskeln. Verhüllungen sind Schneiderwerk, sie bleiben was
Aeußerliches und wenn du sie noch so niedlich mit Zierereien beklebst,
bebrennst oder bestickst.

Achtens: Fürchte dich nicht vor der Farbe!

Farbe ist eine köstliche Sache; um ein paar Groschen davon aus
dem richtigen Tops, und oft ist, was eben noch nichtssagend war, an-
mutig belebt. Freilich: aus dem richtigen Tops; es dars z. B. nicht
lederfarben bestrichen werden, was nicht ledern aussehen soll. Leder-
farbe oder Lehmfarbe oder Löwenfarbe oder aber Steinfarbe u. s. w.,
kurz alle die gelblichen und grüulichen Farbensuppen sind nun gerade
schrecklich beliebt; besonders in sreier Luft wagt man sich erst in letzter
Zeit wieder häufiger an ein krüstiges Grün, Rot, Blau heran. Und
doch könnten wir gerade in Gottes sreiem Raum, an Zäunen, Thüren,
Fenstern, Balkonen, am Fachwerk und nicht zuletzt am Hausverputz ein
ehrliches Farbengeleucht so tresslich brauchen! Daß seine Heiterkeit nicht
übermütig wird, dafür sorgen Luft, Sonne und Regen bald. Müssen
aber auch in den Häusern Thüren und Fußböden sast immer bloß weiß
oder grau oder braun sein?

Neuntens: Strebe nach Ruhe!

Denn das lebensvolle Sprechen der Wohnung dars kein Schreien
sein. Eine Wohnung, in der jedes Stück ausfallen will, gleicht einer
Gesellschast, in der alle zugleich aus dich losreden. Jedes Stück ordne
sich zurückhaltend dem Ganzen ein, nur das Zierstück trete an seinem
Platz ein wenig hervor, aber nicht indem es eitel rust: „Wie schön bin
ich!", sondern indem es, ein Zierstück, sagt: „Sieh, wie schön es ist,
wo ich bin!" Steht es so, so findest du gleichsam überall um dich
Antwort, wenn du hören willst, sonst aber nur jenes leise Summen,
jene gedämpste Formen- und Farbenmelodie, die dich bei Arbeit und
Erholung nicht stört, sondern stimmt. Und so wird es gut sein, denn
die Wohnung soll doch nur den Hintergrund unseres Daseins geben.

Zehntens: Führe auch sreie Kunst in dein Heim!

„Freie Kunst", ich meine: Kunst, deren Gebilde an keinen prak-
tischen Zweck gebunden sind, somit Werke der Malerei, Grisseltunst,
Bildhauerkunst. Bist du im besonderen Sinne ein Kunstfreund, so wirst
du ja sammeln, öoch das gehört in Mappen und Schränke, nicht in die
Wohnung zu stundstündlichem Beschaun. Was du dauernd ossen aus-

Februarheft 1900
 
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