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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 10 (2. Februarheft 1900)
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Bartels, Adolf: Die Deutsche Literatur und R. M. Meyer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0381
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13. Aabrg. Lvveites Februarbett 1900. Dett 10.

DLe deutscde Literatur und N. M. Me^er.

Wir alle sind wohl darüber einig, daß, wer über Literatur schreibt,
der Kritiker, der Aesthetiker, der Geschichtsschreiber, eine besondere Be-
gabung haben müsse; daß er ein kluger, gebildeter, belesener Mann sei,
genügt nicht. Und zwar muß diese besondere Begabung wesentlich ästhe-
tischer Natur sein, Anschauungsvermögen, wie es der Dichter selber neben
seiner gestaltenden Krast besitzt, dann die Gabe zu unterscheiden und zu
vergleichen und damit weiter die zu kombinieren und zuletzt zu urteilen.
Wissenschast im strengen Sinne wie die Naturwissenschast ist die Literatur-
geschichte, ist alle Geschichte nicht, dem „Jdeal einer objektiven, empirischen
Eoidenz", wie es Scherer erstrebt haben soll, wird sie sich niemals annähern
lassen. Aber sie kann eine relative Wissenschastlichkeit gewinnen, wenn
nämlich der Literaturhistoriker, der immer den Kritiker und den Aesthe-
tiker voraussetzt, aber noch ein bischen mehr ist, das „Spezisische" (der
Begriss ist hier unvermeidlich), das jedem Dichter und jeder Dichtung
Besondere wirklich sehen, es zu Verwandtem in die natürliche Beziehung
setzen, es aus Leben und Literatur, soweit es möglich ist, ableiten und
endlich seine thatsächliche und mögliche Wirkung aus Leben und Literatur
richtig abmessen kann. Die letzten Thätigkeiten geben dann auch das
Werturteil, im ganzen aber entsteht ein bestimmtes Bild einer Litera-
tur, eine große Komposition mit wohlgeordneten, aufeinander bezogenen
Teilen, in dem jeder Dichter seinen festen Platz hat, eine Entwicklungs-
geschichte, die den Eindruck der Notwendigkeit hervorbringt, die aber zuletzt
sreilich dochimmer aus subjektivemGrunde ruht. Denn nur insosern von einer
Begabung mit vorhandenen Thatsachen ehrlich gearbeitet wird, ist Wissen-
schastlichkeit da, die Aussassung der Thatsachen und ihre Verknüpsung
bleibt immer individuell, und nur, wenn viele selbständige Persönlichkeiten
gleich ausfassen, gleich verknüpsen, ergibt sich eine größere Wahrscheinlich-
keit. Man kann an die philosophischen Systeme denken, die ja auch stets
nur ein subjektives Bild der Welt geben, wo man aber gleichfalls die
innere Notwendigkeit, das Zusammenstimmen verlangt. Thatsachen der

Runstwart 2. Februarheft t900
 
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