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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 20 (2. Juliheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0357
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nämlich das Problem des modernen
Liederstils, dessen Lösung die Flug-
schrift nicht einmal versucht, sondern
durch eine „kräftige Sprache"' zu er-
setzen trachtet. Zugleich laufen Mauke
die wundersamsten musikhistorischen
Schnitzer unter, wenn er z. B. von
Goethes ablehnender Haltung gegen
Beethovens grotze Messe und Neunte
Symphonie schreibt oder wenn er cine
Grundlchre der Geschichte: „Kolora-
turen (Melismen) sind Akzente, also
Ausdrucksmittel" als eine zopfige
Schrulle NiemannS behandeln möchte.
Schade um Mauke, dah er immer
mchr ins .unentwcgte" Fortschritts-
philisterium und in schlagwortge-
waltigen Journalismus verfällt! Er
hatte ein nicht allzuhüufiges Talent,
lebendig und anschaulich zu schreiben.
Stilblüten wie S.ss, wo von Sternen,
die in der Mauserung begriffen sind,
die Rede ist, gehören auch jetzt noch
nur zu den Entgleisungen eines guten
Deutsches. R. B.

kilctencte urict arigervsnctte Nunst.

* Die Darmstädter Aus-
st e l l u n g.

Die sogenannte öffentliche Meinung
scheint dem „Dokument deutscher Kunst'
auf der Mathildenhöhe in Darmstadt
fast allgemein ziemlich übel mitgespielt
zu haben.

Die Herren, die von Berufswegen
ins schöne Hessenland gezogen warcn,
um mit dem Schwergewicht der hinter
ihnen stehendcn Abonnenten das
Schlutzurteil zu prägen, sanden auch
genug dcs Absonderlichen und Mih-
glückten, um ungemütlich zu roerden;
wie viele von ihnen aber auher dem
Mute der eigenen Meinung und der
Fähigkeit, »interessant" zu schreiben —
was bekanntlich heutzutage zum Kritiker
genügt — auch noch ein offenes Auge
für keimende Kunst, für erste
Regungen von neuen Gewalten haben,
lasse ich dahingestellt. Das aber ist
sicher, dah es dieser Fähigkeit nicht

gut ist, wenn ihr Besitzer von Berufs-
wegen sich als Richter fühlt; er wird
unmerklich der Sklave seines eigenen
Mahstabes. Man muß die Fähigkeit
haben, vor dieser Macht des inneren
fertigen Mahstabes von Zeit zu Zeit
zu erschrecken und sich selbst abzu-
rüffeln, wenn man entdeckt, dah man
irgend einem Neuen gegcnüber doch
alt geworden ist, dah man also von
Rechts wegen doch wieder etwas um-
lernen müsse.

Jch gestehe gern, dah es mir in
Darmstadt ungesähr so gegangen ist,
und ich glaube dieS — abgesehen davon,
dah Einem mit den Jahren vor der
eigenen kritischen Gottähnlichkeit bange
wird — dem Umstande zu verdanken, dah
ich nicht dorthin gekommen war, um
über die Ausstellung zu schreiben.
Erst die mancherlei absprechenden Ur-
teile von anderer Seite drücken mir
die Feder in die Hand. Jch schreibe
drum auch nicht als „Kritiker", übrigens
auch nicht als der von „Kollegen",
sondern als einer, der Anregungen
nicht untergehen lassen möchte, die ihm
zu einem Erlebnis geworden sind.

Jch bin mit üblen Vorahnungen
nach Darmstadt gekommen, das sage
ich ganz offen. Jch kannte die Unaus-
gegohrenheit der Modernen aus so
manchen dreist vorgetragenen Ab-
surditäten. Es wurde nicht besser, als
mir auf freiem Felde längs der Bahn
in amerikanischer Neklame „Ein Doku-
ment deutscher Kunst" durch ein Niescn-
schild vorgepriesen wurde, und all'
meine berlinische Spottlust wurde lose,
als ich vor dem Portalbau der Aus-
stellung stand, diesen beiden großen
Marionettenkästen, denen man von der
Seite in ihr Skelett schaut wie in eine
ausgenommcne Gans, und vor dieser
pimpligen vergeistreichelten Ein-
zäunung des Ausstellungsgeländes.

Wer dann noch das Unglück hatte,
zunächst die violette Totenkammer,
genannt Theater, und die waschblaue
' Monstrosität der Blumenhalle zu sehen,
2. Iuliheft ;qoi
 
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