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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 22 (2. Augustheft 1902)
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Göhler, Georg: Giuseppe Martucci
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0481
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nicht so und so oft aufgeführt ist, macht eine einzige, gute Aufsührung einem
Dirigenten und Orchester mshr Arbeit, als drei der üblichen Symphonie-Konzerte
mit all ihren Nummern. Und solche Umstände liebt man in den modernen
Schnellröstereien mit elektrischsm Betriebe nicht. Am ehesten könnten noch
gute kleine Hofkapellen so was leisten. Oder könnte nicht eines oder das andere
der reisenden Orchester sich mit einem Pianisten verbinden und, um die oiele
Mühe nutzbar zu machen, das Konzert auf einer seiner Rundreisen mit führen?
Vielleicht ist's aber dazu zu ^undankbar"! Es hat eben Alles, wo's ums
Geschäft geht, immer einen tzaken.

Die Symphsnie Martuccis wird mit demselben Unrecht von den Dirigenten
der grotzen Orchester vernachlässigt. Sie ist dadurch mit Draesekes tragischer
Shmphonie verwandt, datz sie sich an die geistig und musikalisch reifsten
Menschen wendet und der Menge nicht die geringste Konzession macht. Auch
liegt ihr wohl wie jener ein verschwiegenes Programm zu Grunde. Dah sie
mit der „Neunten" Beethovens verwandt ist, hat bereits Kretzschmar bemerkt,
dessen sehr hartem Urteil ich allerdings nicht beistimmen kann. Er hült all
die Größe für gemachl und schreibt: „Der künstliche Rausch, in dcm Martucci
im ersten Satze des Werks spricht, wirkt zu stark abstoßend. Sein tzauptthema
kann für eine Sammlung vorgemcrkt werden, in der die grötzten Leistungen
musikalischen Schwulstes Unterkunft finden sollen" und weiterhin: „Pose und
Selbsttäuschung haben bei der Komposition dieser Symphonie ohne Zweifel
mitgespielt." Jch bin der Ueberzeugung, datz diese scharfen Worte niemand
unterschreibt, der alle die hier besprochenen Werke des Komponisten in sich auf-
genommen hat. Und auch für die Symphonie glaube ich noch an die An-
erkennung nicht blotz ihrer musikalischen Gediegenheit, sondern auch ihrer künst-
lerischen Grötze. Es wäre dringend notwendig. daß einer unserer grotzen Diri-
genten, der vollständiger Orchestcrbeherrscher ist und autzcrdem Liebe, Zeit und
Verstand für Novitäten hat, sich des Werkes annühme. Ein von Nikisch in Berlin
gemachter Versuch, dem Werke Freunde zu gewinnen, hat, so viel ich weiß,
leider bei Kritik und Publikum nicht rechtes Verständnis gefunden. Vorläufig
empfehlen wir allen, die sich inzwischen mit dieser Symphonic vertraut machen
wollen,-das Spielen dss visrhändigen Klavierauszuges, der sicher, wenn er
gründlich studiert ist, vielen Hausmusikanten grotzen Genutz bereiten wird.
Freilich, ohne das Werk gehört zu haben, werden nur die besten Dilletantcn
sein Wesen rasch ersassen. Man gehe von den beiden Mittelsätzen aus, in
denen man abcr auch stets sorgfältig die führenden Stimmen verfolgen mutz.
Jm ersten Satze wird besonders der I)-äur-Eintritt nach dem erregten Abschnitt,
der den grotzen Orgel-Punkt auf ä enthält, auch am Klavier sehr schön wirken.
Die vielen rhythmischen Frciheiten des ersten ämd letzten Satzes sind zudem
schon vom erzieherischen Standpunkt aus sehr gute Uebungen im symphonischcn
Spielen. Jch halte aber auch ihre Kraft und ihre Steigsrungen nicht für posiert,
sondern für echte Empfindung einer allerdings stark deutsch beeinflutzten, aber
temperamentvollen italienischen Künstlernatur. Georg Göhlcr.

Kunstwart
 
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