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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 22 (2. Augustheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0482

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I.ose klälter.

Zus Soelkes Iugerictbriefen.

V o r b ein er k u n g. Wieder ist Goethes Geburtstag da, wieder
empfinden wir alle mit innigeni Gliicke, daß er uns noch lebt. Und das
ist eine köstlichc Folge der Anderthalbjahrhundert-Feier vor drei Jah-
ren gewcsen, daß wir beim erneuten Naheherantreten an seine Gestalt
schier allenthalbcn dic Liebe in uns empfunden habcn, die nicht nur
vom Kopf zum Kopfe, sondern vom Herzen zum Hcrzen drängt. Die
Gocthe-Philologie mit ihrcn Erzeugnissen tritt gegenwärtig weit zu-
rück hintcr jeue Gabeu, die zum Teil allerdings ohne ihre Borarbeit
kaum möglich wärcn, doch aber zugleich Zeuguissc eines neuen Gcistes,
eineS neuen Verhältnisses zu Goethe sind, eines neuen Verlangens
nach dem Erfassen des herrlichen Menschen in ihm. Wir haben von
dcn Bodeschen und von anderen Veröfseutlichungen, die solchem Ziel
znstrebcn, schon gesprochen, auch die Steinsche Ausgabe der „Goethe-
Briefe", von der jctzt bei Elsner in Berlin die ersten zwei Bände
erschienen sind, gehört in ihre Reihe. Denn keiner kann das Gcwordcne
ohne das Werden verstehn, nichts aber zeigt uns das Werden Gocthes
klarer als seine Briese.

Daraufhin bitteu wir, auch die solgenden Probcn anzusehn. Mit
dem Briese eines Füufzehnjährigen an einen Siebzehnjährigen be-
ginnen sie, und weun's uns bei der Pracht dicser Jünglings-Rede schwcr
wird, ernst zu öleiben, so glückt es dcn srisch dem Kollcg entnommcnen
Vermahnungen des Leipziger Studentleins an seiue Schwester auch
uicht recht, uns zu imponieren. Noch im Folgenden mcnschelt's viel bei
Goethe, aber nicmals versteckt cr dieses Menschcln, wir schen ihn
auch immer, wie er ist. Und so gewinnt auch das Edle in ihm unwider-
stehliche Ueberzeuguugskraft, wie sich mit dem Reifen seines Geistes
ein Stück Naturschönheit ohne Gleichen vor uns ausrollt.

An Buri, der damals Vorsitzender der „Arkadischen Gesellschast
Philandria", eines jugendlichen Tugendbundes, war. Goethes erster
bekannt gewordener Brief:

Wohlgebohrner,

Jnsonders Hochzuehrender Herr,

Ew. Wohlgebhrn werden Sich wundern, wenn ein unbekannter
sich unterstehet, bey Jhnen eine Bitte vorzubringen. Doch billig solten
Sie mit allcn Denjeuigcn, die ihre Verdienste kennen, nicht erstauncn.
Da Sie wohl wissen können, daß ihre Eigenschafften selbst auch noch in
fernern Ländern als wo ich wohne die Gemüther Jhnen eigen zu machcn
vermögend sind.

Sie sehen aus meiner Vorrede, daß ich zur Zeit, um nichts als
ihre Bekanntschasst anhalte, biß Sie erfahren, ob ich werth bin, ihr
Freund zu seyn, und in ihre Gesellschafft einzugehen.

Werdcn Sie über meine Künheit nicht uuwillig, und verzeihen
Sie ihr. Jch kann nicht anders, denn wenn ich auch länger schweigeu
und ihre grose Eigenschafsten insgeheim verehren wolte, wie ich biß-
her gethan habe, so würde mir dieses die größte Betrübnüß von der
Welt erwecken. Keiner von meinen Freunden die Sie kennen, gönnt

2. Augusthefr 1902
 
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